GONE GIRL – DAS PERFEKTE OPFER | Gone Girl
Filmische Qualität:   
Regie: David Fincher
Darsteller: Ben Affleck, Rosamund Pike, Carrie Coon, Kim Dickens, Scoot McNairy, Lisa Banes, David Clennon
Land, Jahr: USA 2014
Laufzeit: 145 Minuten
Genre: Thriller
Publikum: Erwachsene
Einschränkungen: D, G, X
im Kino: 10/2014
Auf DVD: 1/2015


José García
Foto: Twentieth Century Fox

Leere Straßen in einer Provinzstadt am frühen Morgen. Nick Dunne (Ben Affleck) begibt sich zu seiner Zwillingsschwester Go (Carrie Coon) in die Bar, die von beiden geführt wird. Früher arbeitete Nick in der Medienbranche in New York, wo er seine Frau Amy (Rosamund Pike) kennenlernte. Das Paar kehrte in Nicks Heimatstadt nach Missouri zurück, um seine schwerkranke Mutter zu pflegen. Nach dem Tod der Mutter sind Nick und Amy einfach im Mittleren Westen geblieben. Auf dem Höhepunkt der Medienkrise wäre es für den Journalisten offenkundig ein zu großes Risiko gewesen, sich in New York auf Arbeitssuche zu begeben. In Carthage, Missouri bewohnt das Ehepaar immerhin ein großes, hübsch eingerichtetes Haus mit Garten. Nick versucht sich weiterhin als Autor und hält Vorlesungen an der Uni über Kreatives Schreiben. Amy, durch und durch New Yorkerin („Die Welt endet am Hudson“) und früher Inspirationsquelle für eine erfolgreiche Kinderbuchreihe namens „Amazing Amy“, die von ihren Eltern (Lisa Banes, David Clennon) herausgegeben wurde, langweilt sich allerdings zusehends in der Provinz.

Als Nick an diesem 5. Juli, seinem fünften Hochzeitstag, in sein Haus zurückkehrt, findet er die Haustür sperrangelweit offen vor. Die Möbel sind im Wohnzimmer verstreut und von seiner Frau fehlt jede Spur. Die unter Kommissarin Rhonda Boney (Kim Dickens) ermittelnden Polizisten finden Kampf- und Blutspuren im Haus. Prompt gerät Nick unter Verdacht. Jedenfalls steht seine Schuld für Boneys Assistenten Jim Gilpin (Patrick Fugit) von Anfang an fest, während sich die Kommissarin gegen das Vorurteil wehrt, beim Verschwinden einer Ehefrau sei so gut wie immer deren Ehemann der Hauptverdächtige. Dennoch kommen der Kommissarin einige Dinge eigenartig vor, etwa dass Nick weder die Blutgruppe seiner Frau kennt noch überhaupt weiß, was sie den ganzen Tag eigentlich tut. Nick selbst zeigt sich verblüfft darüber. Wie gut kennt er Amy?

Diese Frage steht im Mittelpunkt von David Finchers Verfilmung des 2012 erschienenen Romans „Gone Girl – Das perfekte Opfer“ von Gillian Flynn. Denn das ebenfalls von Gillian Flynn verfasste Drehbuch beschränkt sich nicht auf die Handlung eines herkömmlichen Thrillers. Zu ihrem Roman sagte Autorin Flynn in einem Interview mit der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ vom Dezember 2013: „Die Ehe ist eine einzige Geschichte von ,Er sagt es so, sie sagt es anders‘“. So verknüpft die Filmdramaturgie zwei Parallelstränge miteinander: Schreitet die Haupthandlung mit den polizeilichen Ermittlungen, der Suche nach der verschwundenen Amy und immer mehr mit der Verteidigungsstrategie Nicks voran, der irgendwann einmal den als „Schutzpatron der Gattinnenmörder” geltenden Staranwalt Tanner Bolt (Tyler Perry) engagiert, so erfährt der Zuschauer Amys Perspektive aus deren Tagebuch. Die Eintragungen, die sich nach und nach macht, oder auch aus denen sie vorliest, enthüllen ein komplexes Bild. Der in der Gegenwart spielende und der in der Vergangenheit angesiedelte Handlungsstrang werden in der Montage von Kirk Baxter vortrefflich zusammengesetzt.

Die in Rückblenden wiedergegebenen Szenen der Ehe von Nick und Amy beginnen mit einer romantischen Begegnung. Es folgen der Heiratsantrag bei einer PR-Veranstaltung von „Amazing Amy“ und die erste glückliche Ehezeit. Nach beruflichen Rückschlägen zieht das Paar von New York nach Missouri. Die Ehe beginnt zu kriseln, insbesondere nachdem Nick mit einer Studentin eine Affäre anfängt. Kann der Zuschauer den offensichtlich subjektiven Perspektiven von Nick und Amy glauben? Wie sehr Drehbuchautorin Gillian Flynn und Regisseur David Fincher mit der Zuschauerwahrnehmung spielen, verdeutlicht eine unerwartete Wendung nach etwa einer Stunde, nach der alles ganz anders ist als zunächst gedacht. Der Technosound von Trent Reznor und Atticus Ross unterstützt hervorragend die verschiedenen Tonlagen des Filmes. Dazu erklärt Trent Reznor: „Wir überlegten uns, mit etwas ganz Sanftem und Süßem einzusteigen, um dann später zu zeigen, wie es unter der gelackten Oberfläche heftig brodelt“.

Flynn und Fincher fügen mit einer überdeutlichen Medienkritik eine weitere Ebene hinzu: Von Anfang an entsteht nach Amys Verschwinden ein großes Medieninteresse. Kein Wunder, denn durch die fiktionale Figur „Amazing Amy“ steht Amy im öffentlichen Rampenlicht. Ein kleiner Fehler bei beziehungsweise am Rande einer Pressekonferenz verwandelt den besorgten Ehemann in den Hauptverdächtigen. In Talkshows wird über Nick Gericht gehalten. Weil er Enttäuschungen eingesteht und offensichtliche Geheimnisse hütet, die Anlass zu Spekulationen geben, kommt die veröffentliche Meinung sehr schnell zu einer Verurteilung Nicks. Wie schnell sich die öffentliche Wahrnehmung wandelt, zeigt „Gone Girl – Das perfekte Opfer“ jedoch ebenso eindrücklich, nachdem der bereits vorverurteile Ehemann zu einer quotenschweren Fernsehsendung eingeladen und ihm die Möglichkeit eingeräumt wird, seine Sicht der Dinge darzulegen.

Den beiden Hauptdarstellern Ben Affleck und Rosamund Pike gelingt es mit kräftiger Unterstützung der deutschen Zuschauern weitgehend unbekannten Kim Dickens und Carrie Coon, die verschiedenen Biegungen und Wendungen des Filmes glaubwürdig darzustellen. „Gone Girl – Das perfekte Opfer“ nimmt sich nicht nur als mit der Wahrnehmung des Zuschauers spielender Thriller, sondern auch als Studie einer Ehe aus, die von Eifersucht und Misstrauen zersetzt wird.
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