THE CUT | The Cut
Filmische Qualität:   
Regie: Fatih Akin
Darsteller: Tahar Rahim, Simon Abkarian, Makram J. Khoury, Hindi Zahra, Trine Dyrholm, Moritz Bleibtreu, Akin Gazi, Arsinée Khanjian, George Georgiou
Land, Jahr: Deutschland / Frankreich 2014
Laufzeit: 138 Minuten
Genre: Historische Filme
Publikum: ab 16 Jahren
Einschränkungen: G
im Kino: 10/2014
Auf DVD: 4/2015


José García
Foto: Pandora

Eine Schrifttafel klärt den Zuschauer darüber auf, dass sich im Jahre 1915 das Osmanische Reich im Niedergang befand, und Minderheiten zu Feinden erklärte. In Mardin, im nordöstlichen Mesopotamien, lebt der armenische Schmied Nazaret Manoogian (Tahar Rahim) mit Frau Rakel (Hindi Zahra) und den Zwillingstöchtern Arsinée und Lucinée (Zein und Dina Fakhoury). Bereits ihre Namen weisen darauf hin, dass es sich bei Familie Manoogian um Christen handelt. Eines Nachts wird die Familie von türkischen Gendarmen geweckt, die Nazaret, seinen Bruder Hrant (Akin Gazi) und seinen Schwager Vahan (George Georgiou) mitnehmen. Sie werden zu Zwangsarbeiten beim Straßenbau eingesetzt. An ihnen ziehen Trecks mit armenischen Alten, Frauen und Kindern vorbei. Wer zum Islam konvertiert, wird begnadigt. Aber nur wenige nehmen dieses Angebot an.

Nachdem er nur deshalb knapp einer Exekution entkommt, weil der ehemalige Dieb Mehmet, der ihn töten soll, ihn schwer am Hals verletzt, schleppt er sich durch die Wüste. Durch die Verletzung der Stimmbänder ist Nazaret nun stumm geworden. In einem Lager begegnet er Tausenden von dahinsiechenden Flüchtlingen. Dort trifft er auf seine Schwägerin, die ihn bittet: „Beende mein Leiden!“. Er erwürgt sie. Wieder ein Türke rettet ihm das Leben: Der Seifensieder Osmar Nasreddin (Makram J. Khoury) aus Aleppo schmuggelt ihn in die Stadt. Erst 1921 erfährt er in Aleppo, dass seine Zwillingstöchter überlebt haben. Nazaret macht sich auf eine mehrjährige Suche auf, die ihn über den Libanon und Kuba nach North Dakota führen wird.

Fatih Akin verwendet größte Mühe auf die Ausstattung seines mit seinen 138 Minuten episch angelegten Films, der darüber hinaus von der kraftvollen Filmmusik von Axel Hacke unterstützt wird. Dennoch wirken die Cinemascope-Bilder von Kameramann Rainer Klausmann seltsam entrückt. Wenn Akin dazu sagt: „Mit dieser Optik hat man immer einen gewissen Abstand zum Geschehen. Ich brauche diesen Abstand. Vor allem in der Darstellung von Gewalt. Das heutige Kino bedient in seiner Darstellung von Gewalt die niedrigsten Instinkte des Menschen“, so ist die Kehrseite dieses Abstands eine Distanzierung, die den Zuschauer selten berührt.

Die zentrale Frage aber lautet, ob der Film des deutschen Regisseurs mit türkischen Eltern vom in der Türkei tabuisierten Thema des Völkermoders an den Armeniern handelt. Dazu führt Fatih Akin selbst aus: „Ich erzähle die Geschichte eines Vaters, der seine beiden Töchter sucht und dafür um die Welt reist. Es ist ein Western, dieser Vater reist westwärts bis nach Amerika. Eine Geschichte über Auswanderung und Einwanderung. Die Geschichte spielt vor dem Hintergrund dieses Völkermords. Aber es ist kein Film über den Völkermord.“ Bedeutsam in diesem Zusammenhang ist es ebenfalls, dass der Film von Osmanen als Täter spricht, die auf Befehl des Sultans handelten. Davon, dass die Jungtürken – die später Mustafa Kemal Attatürk bei der Gründung der Türkischen Republik 1923 inspirierten – es waren, die 1915 den Genozid in Gang setzten, ist im Film keine Rede. Auf die Mitwisserschaft und Untätigkeit des Deutschen Kaiserreiches gegenüber dem Bündnispartner geht „The Cut“ ebenfalls gar nicht ein.

Bezeichnend für den Cineasten Fatih Akin ist es, dass sich eine der eindrücklichsten Szenen von „The Cut“ in einem improvisierten Kino abspielt. In Aleppo gerät Nazaret eher zufällig in einen Hinterhof, in dem Charlie Chaplins „The Kid“ (1921) vorgeführt wird. Beim Betrachten des Filmes kann der leidgeprüfte Nazaret nach Jahren endlich wieder lachen. Als am Ende von „The Kid“ der von Chaplin selbst dargestellte Tramp und der Junge (Jackie Coogan) voneinander getrennt werden, kommen ihm nicht nur die Tränen. Diese Szene bestärkt ihn darüber hinaus in seinem Vorhaben, seine Zwillingstöchter zu suchen, auch wenn er dafür um die ganze Welt reisen müsste.

Noch ein Wort zur Originalfassung des Filmes. Ein besonderer Reiz der immer häufiger werdenden mehrsprachigen Spielfilme besteht gerade in dem Mehrklang, der den Figuren eine zusätzliche Authentizität verleiht, während eine synchronisierte Fassung diese starken Nuancen wegnivelliert. In „The Cut“ sprechen Türken türkisch, Syrer arabisch und Kubaner spanisch. Ob es aus Mangel an den entsprechenden Schauspielern oder eher aus Gründen einer „internationalen Auswertung“ seines Filmes es geschah, sei dahingestellt. Die Entscheidung, in „The Cut“ armenisch durch mit starkem Akzent gesprochenes Englisch zu ersetzen (der Hauptdarsteller ist ja ein Franzose), ist freilich nicht nachvollziehbar. Besonders grotesk wirkt es in den Szenen, die in den Vereinigten Staaten spielen: Nazaret wird auf Englisch angesprochen, aber er versteht die Sprache nicht – obwohl der Schauspieler Tahar Rahim die ganze Zeit genau diese Sprache gesprochen hatte. Wenn Armenisch nicht zur Verfügung steht, kann die Hauptsprache genauso gut durch Deutsch ersetzt werden. Ob in der sogenannten Synchronfassung die anderen Sprachen (Türkisch, Arabisch, Spanisch) im Original bleiben oder auch synchronisiert werden, ist dem Rezensenten nicht bekannt.
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