BORNHOLMER STRASSE | Bornholmer Straße
Filmische Qualität:   
Regie: Christian Schwochow
Darsteller: Charly Hübner, Milan Peschel, Ulrich Matthes, Rainer Bock, Max Hopp, Frederick Lau, Ludwig Trepte, Robert Gallinowski, Jasna Fritz Bauer, Ursula Werner, Thorsten Merten
Land, Jahr: Deutschland 2014
Laufzeit: 90 Minuten
Genre: Historische Filme
Publikum: ab 12 Jahren
Einschränkungen: --
Auf DVD: 10/2014


José García
Foto: ARD

„Das tritt nach meiner Kenntnis... ist das sofort, unverzüglich“. Die Worte, mit denen Politbüromitglied Günter Schabowski am Abend des 9. November 1989 auf der wohl bekanntesten Pressekonferenz in der DDR-Geschichte die Maueröffnung verkündete, haben sich zusammen mit den dazugehörigen Bildern in das kollektive Gedächtnis eingeprägt. Ob jeder die Sprachregelung aus dem Politbüro sofort verstand – Schabowski: „haben wir uns dazu entschlossen, heute eine Regelung zu treffen, die es jedem Bürger der DDR möglich macht, über Grenzübergangspunkte der DDR auszureisen“ – sei dahingestellt. Für viele Ostberliner war es jedoch sonnenklar. Nach und nach machten sich Menschenscharen am Abend und in der Nacht auf den Weg zu den Grenzübergangsstellen (GÜSt) nach Westberlin, so auch in die Bornholmer Straße.

Was sich dort stundenlang abspielte, haben Kameras festgehalten: Die Volkspolizei will die sich angesammelten Menschen nach Hause schicken. Diese fühlen sich verschaukelt, und fangen an zu murren. Der Andrang wird immer größer, bis sich die Grenzsoldaten entschließen, „ein Ventil zu öffnen“: Besonders Hartnäckige werden durchgelassen, allerdings mit einem ihnen nicht ersichtlichen Sondervermerk, der die Rückkehr nach Ostberlin unmöglich machen soll. Die Passkontrolleure – Angehörige des Ministeriums für Staatssicherheit – versuchen, von ihren Vorgesetzten klare Anweisungen zu erhalten ... bis die Situation unhaltbar wird. Irgendwann einmal skandiert die Menschenmasse „Tor auf“. Die Grenzer entscheiden eigenmächtig: Der Schlagbaum wird geöffnet.

Zum 25. Jahrestag der Maueröffnung strahlt die ARD den Fernsehspielfilm „Bornholmer Straße“ von Christian Schwochow aus, der die Ereignisse des Abends aus der Sicht der Grenzsoldaten schildert. Das Drehbuch stammt von den Eltern des Regisseurs Heide – die so gut wie alle Skripte zu seinen Regiearbeiten verfasst hat – und Robert Schwochow, der erstmals zu dem „Mutter-Sohn-Autorenteam“ dazu stößt. Zur Wahl des diensthabenden Offiziers an der GÜSt Bornholmer Straße als Hauptfigur seines Filmes erläutert Christian Schwochow: „Wer hat die Mauer geöffnet? Günter Schabowski? Die Partei? Die Bürgerrechtler? Das Volk der DDR? Alle Antworten sind richtig. Aber einer wird dabei vergessen: Jemand, dessen Namen kaum einer kennt, obwohl er am 9. November großen Mut bewies. Der Mann, der in jener Nacht den Schlagbaum am Grenzübergang Bornholmer Straße öffnete: Genosse Harald Jäger. Er ist die Hauptfigur in unserer Geschichte. Muss man über so jemanden einen Film machen? Über einen, der sein Leben in den Dienst der Staatssicherheit stellte? Ja! Die Geschichte des Volkes, das sich friedlich von den Mauern befreit, wurde oft erzählt. Es ist Zeit für eine andere Perspektive.“

Der von Charly Hübner dargestellte diensthabende Offizier der dem Ministerium für Staatssicherheit unterstellten Passkontrolleinheit Harald Schäfer (so Harald Jägers Name im Film) döst am frühen Abend des 9. November 1989, als ein kleiner herrenloser Hund aus Westberlin in das Gelände der Grenzübergangsstelle eindringt. Die Angelegenheit mit dem Hund, die sich durch den ganzen Film zieht und am Ende ein Happy End feiert, liefert heitere bis lustige Momente, zeigt aber auch die absurde Bürokratie an einer GÜSt („Feststellung eines Hundes“). Nachdem die Pressekonferenz mit Günter Schabowski im Fernsehen übertragen wurde, ahnt Oberstleutnant Schäfer, was auf ihn zukommen wird. In der Tat: Um 19.10 Uhr erscheinen die vier ersten Menschen an der Grenzübergangsstelle, die Schabowskis Ankündigung gehört haben und nach Westberlin wollen.

Obwohl einige der ausreisewilligen Menschen ein Gesicht bekommen und von bekannten Schauspielern (Thorsten Merten, Ursula Werner, Jasna Fritzi Bauer) dargestellt werden, konzentriert sich der Film auf die Grenzsoldaten, die verschiedene Typen darstellen: Hauptmann und Sicherheitsoffizier Burkhard Schönhammer (Max Hopp) vertritt die harte Linie: Die Staatsgrenze sei mit allen Mitteln einschließlich Waffengebrauch zu verteidigen, Major Peter Arndt (Rainer Bock) hält sich eher bedeckt, lässt aber erahnen, dass er eine ganz andere Lösung bevorzugt. Dies spiegelt sich in den jüngeren Grenzern wider: Bereitet Oberfeldwebel Axel Hoffmann (Ludwig Trepte) die Entwicklung Sorgen, zumal sich unter der Menschenmenge auch seine Freundin Melitta befindet, so ist der harte Feldwebel Jens Rambold (Frederick Lau) bereit, gegen alle Angriffe die Stellung zu halten. Er scheut sich nicht, die Konfrontation mit den Protestierenden zu suchen.

Immer wieder wird die Uhrzeit eingeblendet und damit eine Dramaturgie in Echtzeit – ähnlich Zinnemanns „Zwölf Uhr mittags“ – nahegelegt. Strukturiert wird die Handlung, deren Ton von der Musik zunächst mit „rosaroter Panther“-, später mit nachdenklichen Klängen unterstützt wird, jedoch von den Anrufen Harald Schäfers mit seinem Chef Oberst Hartmut Kummer (Ulrich Matthes), von dem sich Schäfer Entscheidungen erhofft. Aber auch Oberst Kummer ist lediglich Befehlsempfänger. Wenn er selbst keine Befehle empfängt, kann er sie logischerweise nicht weitergeben. Irgendwann einmal ist Oberst Kummer betrunken, und Oberstleutnant Harald Schäfer trifft, wohl zum ersten Mal in seinem Leben, eine eigenmächtige Entscheidung. Der Rest ist Geschichte.
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