WIEDERSEHEN MIT BRUNDIBAR | Wiedersehen mit Brundibar
Filmische Qualität:   
Regie: Douglas Wolfsperger
Darsteller: (Mitwirkende): Greta Klingsberg, Uta Plate, Annika Westphal
Land, Jahr: Deutschland / Tschechien 2014
Laufzeit: 85 Minuten
Genre: Dokumentation
Publikum: ab 12 Jahren
Einschränkungen: --
im Kino: 12/2014
Auf DVD: 10/2015


José García
Foto: Wilder Süden Filmverleih

Die 1938 vom deutsch-tschechischen Komponisten Hans Krása (1899–1944) komponierte Kinderoper „Brundibár“, bei der sich die Geschwister Aninka und Pepíček mit Hilfe anderer Kinder gegen den bösen Leierkastenmann Brundibár auflehnten, wurde in Theresienstadt 55 Mal aufgeführt. Das nationalsozialistische Regime nutzte „Brundibár“ zu Propagandazwecken, etwa beim Besuch einer Delegation des Roten Kreuzes im Juni 1944, der Theresienstadt als „heile Welt“ vorgespielt wurde. Ausschnitte aus der Kinderoper wurden in den berüchtigten Propagandafilm „Der Führer schenkt den Juden eine Stadt“ eingebaut sowie in der Wochenschau gezeigt. Nach dem Transport des Komponisten Hans Krása und von 192 Kindern, die bei der Oper mitgewirkt hatten, im Oktober 1944 wurde „Brundibár“ in Theresienstadt nicht mehr aufgeführt. Sie galt als verschollen, ehe Ende der 1970er Jahre die Benediktinerschwester Veronika Grüters auf der Suche nach der Geschichte ihrer Familie sie zufällig wiederentdeckte.

Es folgten mehrere Aufführungen, so etwa 2005 vom Leipziger Gewandhauskinderchor, der „Brundibár“ 2010 in Israel präsentierte. Im Jahre 2014 beginnt Uta Plate mit ihrer Jugendtheatergruppe „Die Zwiefachen“ an der Berliner Schaubühne am Lehniner Platz, das Theaterstück „Nach Brundibar“ vorzubereiten und zu proben. Der Filmemacher Douglas Wolfsperger hat sie begleitet. Daraus ist der Dokumentarfilm „Wiedersehen mit Brundibar“ entstanden, der nach seiner Teilnahme an mehreren Filmfestivals und nach der Nominierung für den „Prix Europa 2014“ nun im regulären Kino anläuft.

„Wiedersehen mit Brundibar“ zeigt nicht nur Theaterproben, sondern auch die Beschäftigung der jugendlichen Teilnehmer mit diesem Kapitel deutscher Geschichte. Dafür steht bereits die erste Szene in Wolfspergers Film: Die 18-jährigen Annika und Ikra schauen sich die stillgelegte Eisenbahnstrecke an, auf der im Jahre 1942 die Deportationen nach Theresienstadt begannen. Ihre Reaktionen auf Uta Plates Vorschlag, die Kinderoper „Brundibar“ aufzuführen, waren allerdings eher skeptisch: „Nicht schon wieder Holocaust“.

Diese Einstellung ändert sich insbesondere, nachdem die Jugendlichen die Protagonistin der Oper „Brundibár“ in Theresienstadt kennenlernen: Greta Klingsberg, 1929 in Wien geboren, sang die Rolle der Aninka. Später überlebte sie Auschwitz – im Gegensatz zu ihrer jüngeren Schwester Trude. Douglas Wolfsperger zeigt in „Wiedersehen mit Brundibar“ auch Originalaufnahmen von der Oper, in denen Greta Klingsberg als 14-Jährige zu sehen ist. Die Protagonistin der „Ur-Aninka“ und die heutige Darstellerin Annika Westphal lernen sich in Berlin kennen. Im Gespräch mit Greta Klingsberg kommen sehr viele Dinge über die Zeit in Theresienstadt zur Sprache, insbesondere beim gemeinsamen Besuch des ehemaligen Ghettos.

Regisseur Douglas Wolfsperger sowie seine Kameramänner Frank Amann und Ingor Luther halten sich zurück. Statt ins Geschehen einzugreifen und etwa Fragen zu stellen, beobachten sie die Annährung zwischen der inzwischen 85-Jährigen und den Berliner „Zwiefachen“. Zwar zeigt „Wiedersehen mit Brundibar“ auch Bilder von den Theaterproben und der Premiere. Wolfspergers besonderes Interesse gilt jedoch der Annährung der Jugendlichen an ein Thema, das manche für „auserzählt“ halten. Der Dokumentarfilm verdeutlicht, dass dies keineswegs der Fall ist. Denn die Jugendlichen hören gebannt zu, als ihnen Greta Klingsberg von der Bedeutung erzählt, die für sie die Arbeit an der Oper hatte: „Brundibár war die Rettung, dass man für ein paar Stunden alles um sich herum vergessen konnte.“ In Theresienstadt zeigt sie ihnen auch, wie das Leben dort aussah. Über diese Erlebnisse kommt es auch zu allgemeineren Fragen, etwa wie es zu den Deportationen und dem Massenmord kommen konnte. Dazu führt Regisseur Douglas Wolfsperger aus: „Irgendwann im Lauf der Dreharbeiten fingen sie an, sich zu fragen: Was wäre, wenn ich damals auf der Welt gewesen wäre? Auf welcher Seite hätte ich gestanden? Und was hieße das für mein Leben heute?“

„Wiedersehen mit Brundibar“ verdeutlicht, dass Jugendliche bereit sind, sich mit vermeintlich „auserzählten“ Fragen der deutschen Vergangenheit auseinanderzusetzen. Regisseur Wolfsperger: „Für mich war die Frage wichtig: Wie gestaltet man eine lebendige Erinnerungskultur ohne ritualisierte Gesten? Wie erreicht man jüngere Menschen mit diesem Thema?“

Mit „Wiedersehen mit Brundibar“ gelingt dies. Die am Theaterprojekt beteiligten Jugendlichen durchlaufen einen Lernprozess, bei dem sie sich von der Geschichte einer Überlebenden berühren und persönlich ansprechen lassen. Durch den Austausch der Generationen kommen Jugendliche, die zunächst nicht nur keinen Bezug mehr zu diesem Kapitel der Geschichte hatten, sondern auch eine Beschäftigung mit ihm ablehnten, zum Nachdenken. Durch den Kontakt mit Zeitzeugen erfahren sie Geschichte auf emotionale Art und Weise, aber auch was für sie dies heute bedeutet. Und dies alles ohne erhobenen Zeigefinger, sondern in einem sehr lebendigen Prozess.
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