PADDINGTON | Paddington
Filmische Qualität:   
Regie: Paul King
Darsteller: Hugh Bonneville, Sally Hawkins, Nicole Kidman, Julie Walters, Peter Capaldi, Jim Broadbent, Madeleine Harris, Samuel Joslin und Elyas M Barek als Paddingtons Stimme
Land, Jahr: Großbritannien 2014
Laufzeit: 95 Minuten
Genre: Familienfilme
Publikum:
Einschränkungen: --
im Kino: 12/2014
Auf DVD: 3/2015


José García
Foto: Studiocanal

Vor langer, langer Zeit stieß ein britischer Wissenschaftler im tiefsten Dschungel Perus auf eine Bärenart, die Orangenmarmelade über alles schätzt. Davon zeugen die (nachgestellten) Bilder einer schwarzweißen Wochenschau, die am Anfang von Paul Kings „Paddington“ stehen. Viele Jahre später ist das Bärenpaar alt geworden. Es lebt zusammen mit einem kleinen, ebenso Orangenmarmelade liebenden Neffen. Nach einer Naturkatastrophe müssen die Bären den Dschungel verlassen. Mit dem Hut, den der Wissenschaftler seinem Onkel geschenkt hatte, unter dem ein Marmeladesandwich für den Notfall versteckt ist, sowie mit einem Koffer voller Marmeladengläser macht sich der kleine Bär als blinder Passagier auf die Reise nach London, wo er den Wissenschaftler ausfindig zu machen, jedenfalls aber ein neues Zuhause zu finden hofft.

„Bitte kümmern Sie sich um diesen Bären. Danke!“ So steht es auf einem Schild, das der kleine Bär um den Hals trägt. Dies spielt auf die Kinderlandverschickung während des Zweiten Weltkriegs an – eine schöne, teils animierte Szene wird es später visualisieren. Auf das Schild hat im hektischen London jedoch den ganzen Tag niemand reagiert. Nachts steht der kleine Bär noch immer verloren auf einem Bahnsteig von Paddington Station, als eine Familie aus dem Zug steigt. Obwohl Mr. Brown (Hugh Bonneville) darauf hinweist, nicht auf ihn zu achten, lädt Mutter Mary Brown (Sally Hawkins) den hungrigen Bären ins Bahnhofsrestaurant ein. Da sich der eigentliche Name des Bären für Menschen als unaussprechlich erweist, gibt ihm Mrs. Brown den Namen „Paddington“. Weil es ziemlich spät geworden ist, nimmt sie Paddington mit nach Hause. Sohn Jonathan (Samuel Joslin), der mit altem Spielzeug wahre Ingenieurleistungen hervorbringt, ist für den neuen Hausbewohner aufgeschlossen. Nicht so seine pubertierende Schwester Judy (Madeleine Harris), die ihn „peinlich“ findet – genauso wie tausend andere Dinge in ihrer Familie. Der Risikomanager Mr. Brown ist ja geradezu entsetzt. Denn er sieht nur noch die Katastrophen, die Paddington anrichten kann... und wird. Als Erstes setzt Paddington das Badezimmer unter Wasser. Dies ist aber erst der Beginn einer Reihe Vorfälle, die aber zu einer Wandlung in der Familie Brown führen wird.

Drehbuchautor und Regisseur Paul King verfilmt mit „Paddington“ eine Kinderbuchreihe, die 1958 mit „Unser kleiner Bär“ („A Bear Called Paddington“) ihren Anfang nahm. Die „Paddington“-Bücher des englischen Autors Michael Bond verkauften sich weltweit 35 Millionen Mal in mehr als vierzig Sprachen. Produziert wurde „Paddington“ von David Heyman, der in sämtlichen acht Harry Potter-Filmen als Produzent verantwortlich zeichnete.

Die Mischung aus computererzeugten Bildern und Realfilm gelingt den Filmemachern vorzüglich. Das Fell der Bären überzeugt beispielsweise durch seine haptischen Eigenschaften. In der Inszenierung zeichnet sich „Paddington“ durch detailverliebte Einfälle aus: Das Haus der Familie Brown wird als Puppenhaus gezeigt. Eine Rückblende erklärt, wie aus dem verwegen motorradfahrenden Mr. Brown nach der Geburt seines ersten Kindes ein Sicherheitsfanatiker wurde. Dazu gehört etwa auch ein „Running Gag“ mit den Tauben, die hinter Paddingtons Marmeladesandwich her sind. Regisseur Paul Kind gelingt aber insbesondere eine liebevolle Zeichnung der Hauptfiguren. Für Dramatik sorgen die Schurken des Films: Die böse Präparatorin Millicent (Nicole Kidman) will Paddington unbedingt fangen, um ihn ausgestopft im Museum auszustellen. Ihr zu Hilfe kommt der mürrisch-engstirnige Nachbar Mr. Curry (Peter Capaldi), der sich um die Ordnung in der Straße sorgt.

Der arme Bär mit rotem Hut und blauem Dufflecoat in der fremden Großstadt lässt nicht nur an die ins Land verschickten Kinder während des Zweiten Weltkriegs denken. Einen aktuellen Bezug hat er ebenfalls zu den Flüchtigen unserer Tage, die ihr Glück in der Fremde suchen. Dieser gesellschaftspolitische Aspekt wird etwa auch von den falschen Vorstellungen betont, die Paddington von London hat. Statt huttragenden höflichen Briten begegnet er rastlosen Menschen, die nicht nur keine Notiz von ihm nehmen, sondern ihn auch noch immer wieder anrempeln.

Was allerdings an das London gemahnt, das sich wohl jeder vorstellt, ist die Straße („Windsor Gardens“), in der Familie Brown lebt. Eine Straße, die der Zuschauer beispielsweise aus „Mary Poppins“ (Robert Stevenson, 1964) kennt. Ähnlich „Mary Poppins“ wirft in „Paddington“ ein Außenstehender zunächst eine Londoner Familie gehörig durcheinander. Mit der Zeit hilft aber der Außenstehende der Familie, sich näherzukommen, wobei – sowohl in „Mary Poppins“ als auch in „Paddington“ – nicht in erster Linie die Kinder, sondern eher die Erwachsenen und insbesondere der Vater diese Wandlung vollzogen.

Aus John Lee Hancocks Film „Saving Mr. Banks“ (siehe Filmarchiv), der von der Verfilmung von P.L. Travers Kinderbuch „Mary Poppins“ handelt, weiß der Zuschauer, dass die britische Autorin in der Läuterung von Mr. Banks die Rettung ihres eigenen Vaters sah: Die Wendung vom strengen Erziehungsberechtigten zum liebevollen Vater wird zur Hommage an den eigenen, von der Schriftstellerin ein Leben lang vermissten Vater. In „Paddington“ wandelt sich der gebieterische, auf Sicherheit bedachte Mr. Brown zum zärtlichen Vater. Nicht so sehr die Rettung des kuscheligen Bärs, sondern die der Familie und besonders die des Familienvaters steht im Mittelpunkt von „Paddington“. Paul Kings Familienfilm hätte deshalb wohl auch „Saving Mr. Brown“ heißen können.
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