1001 GRAMM | 1001 Gram
Filmische Qualität:   
Regie: Bent Hamer
Darsteller: Ane Dahl Torp, Laurent Stocker, Stein Winge, Hildegun Riise, Per Christian Ellefsen, Didier Flamand
Land, Jahr: Norwegen/Deutschland/Frankreich 2014
Laufzeit: 93 Minuten
Genre: Komödien/Liebeskomödien
Publikum: ab 16 Jahren
Einschränkungen: X
im Kino: 12/2014
Auf DVD: 6/2015


José García
Foto: Pandora

Die Wissenschaftlerin Marie (Ane Dahl Torp) arbeitet wie ihr Vater Ernst Ernst (Stein Winge) beim norwegischen Eichamt. Mit ihrem Super-Kleinstauto „Buddy Elektroauto“ reist sie durch das Land, um Messgeräte – von Briefwagen über Benzinpumpen bis zu der Länge von Skisprungschanzen – zu überprüfen. Obwohl sich ihr berufliches Leben in den zuverlässigen Maßeinheiten von Gewichten und Längen abspielt, herrscht in ihrem Privatleben eher Chaos und Leere – diese sogar im wörtlichen Sinne: Mit stoischer Gelassenheit nimmt Marie hin, dass ihr von ihr getrennt lebender Mann Yngve (Torsten Knippertz) nach und nach die schöne Einrichtung aus dem schicken Bungalow mitnimmt. Das Haus, in dem beispielsweise ein halbes Bett steht, wirkt zunehmend leer. Es erzählt von Maries Einsamkeit, für die sie selbst keine Worte findet. Ihr Vater ist der einzige Mensch, zu dem Marie überhaupt eine Beziehung hat.

Die Handlung in Bent Hamers Spielfilm „1001 Gramm“ wird vorangetrieben, als Maries Vater durch einen Herzinfarkt daran gehindert wird, zu einem „Kiloseminar“ nach Paris zu fahren. Das Kilo ist die letzte physikalische Basiseinheit, die sich noch an einem natürlichen Objekt orientiert, nachdem die anderen Einheiten – so zuletzt der Meter – durch Messungen im Labor bestimmt werden. Seit 1889 beruht das Gewicht des Kilogramms auf einem Prototyp in Form eines Zylinders, der sich unter Verschluss im Internationalen Maß- und Gewichtsbüro (BIPM) bei Paris befindet. An der Stelle ihres Vaters soll nun Marie am Kiloseminar teilnehmen, um anhand dieses aus zu neunzig Prozent Platin und zu zehn Prozent Iridium bestehenden französischen Urkilos von 1889 das norwegische Referenzkilo neu kalibrieren zu lassen. Im norwegischen Eichamt wird das unter einer zweifachen Glasglocke stehende „norwegische Kilo“ einem Tresor entnommen und Marie überreicht. Dass sie es immer bei sich tragen muss, wird etwa am Flughafen zu der einen oder anderen komischen Situation führen.

Der 1956 geborene norwegische Regisseur Bent Hamer lieferte im Jahre 2007 mit „O’Horten“ eine präzise beobachtete, mit einer Prise lakonischen Humors garnierte Geschichte um einen einsamen pensionierten Lokführer, dessen Leben aus den immer gleichen Bahnen geriet. In „Home for Christmas“ („Hjem til jul“, 2010) zeigte Bent Hamer Momentaufnahmen aus dem Leben von Menschen, die sich nach Liebe und menschlicher Nähe sehnen. Auch in „1001 Gramm“ suchen die Menschen und insbesondere die Protagonistin Marie nach menschlicher Wärme, die ihre Einsamkeit zu überwinden hilft. Drehbuchautor, Regisseur und Produzent Bent Hamer fügt die genau gemessenen und in ihrer Farbgebung den Kontrast zwischen der kühlen Welt der Maße und Gewichte und der warmen Umgebung in Paris ausdrückenden Bilder von Kameramann John Christian Rosenlund durch eine etwas elliptische Erzählstruktur zusammen, die etwa Marie bei einem Spaziergang durch Paris mit dem Kilo in der Hand zeigen. Ane Dahl Torp verkörpert Marie mit einer Zurückhaltung, hinter der eine diffuse Melancholie auszumachen ist. Sie stellt die nüchterne Wissenschaftlerin, hinter der sich eine verletzliche Frau verbirgt, glaubwürdig dar. Laurent Stocker spielt den ehemaligen Wissenschaftler, der sich lieber der Natur als deren Vermessung widmet, mit der dafür erforderlichen Sensibilität. Durch die Begegnung mit Pi lebt Marie wieder auf. Was sich wie ein Klischee anhört – gefühlskalte Nordeuropäerin entdeckt die schönen Seiten des Lebens durch den Kontakt mit einem Franzosen – inszeniert Regisseur Hamer jedoch sensibel und mit viel Gespür für Rhythmus. Wie seine früheren Filme zeichnet sich auch „1001 Gramm“ durch genaue Beobachtungen und einen feinen Humor, gepaart mit einem gemächlichen Zeitmaß aus. Dies äußert sich in lakonischen Dialogen, die an die Filme des finnischen Regiemeisters Aki Kaurismäki erinnern.

Wieder einmal zeichnet Bent Hamer originelle Figuren, die er mit lakonischen Dialogen, schön kadrierten Bildern und einem feinen Humor verknüpft, der sich in skurrilen Situationen ausdrückt. So entsteht eine Komödie mit tieferen Fragen. „1001 Gramm“ geht beispielsweise auf humorvolle Art und Weise der Frage nach, die Maries Vater ihr aufgegeben hatte, wie viel die Seele wiegen mag. Eine weitere Aussage ihres Vaters bringt Marie ebenfalls zum Nachdenken: „Die schwierigste Last im Leben ist es, keine Last zum Tragen zu haben“. Deutlicher als vielleicht in seinen früheren Filmen lässt Bent Hamer in „1001 Gramm“ keinen Zweifel daran, dass das Leben keine exakte Wissenschaft ist.
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