KILL BILL VOLUME 1 | Kill Bill Volume 1
Filmische Qualität:   
Regie: Quentin Tarantino
Darsteller: Uma Thurman, David Carradine, Darly Hannah, Lucy Liu, Michael Madsen
Land, Jahr: USA 2003
Laufzeit: 110 Minuten
Genre: Action/Western
Publikum: Erwachsene
Einschränkungen: G++++, D+


JOSÉ GARCÍA
Foto: Buena Vista International

Der Spielfilm „Pulp Fiction“ (1994) machte seinen Regisseur Quentin Tarantino über Nacht weltberühmt. Neben „Matrix“ (Larry und Andy Wachowski, 1999) gilt „Pulp Fiction“ als so genannter Kultfilm der neunziger Jahre schlechthin.

Tarantinos innovativer Umgang mit filmischen Erzählstrukturen war bereits in seinem Spielfilmdebüt deutlich geworden: „Reservoir Dogs“ (1991/92), der wegen seiner teilweise extremen Gewalt abstoßend wirkt, zeigt nicht die erwartete Ausführung eines Raubüberfalls, sondern springt ständig von der blutigen Schlusssequenz zu den in vier Rückblenden dargestellten Tatvorbereitungen hin und her.

Diese Vorliebe für eine nicht-lineare Erzählweise führte Tarantino in seinem zweiten Film „Pulp Fiction“ zu einem Höhepunkt. „Pulp Fiction“ scheint aus „drei ineinander verschachtelten Geschichten“ zu bestehen. Nach einer eingehenden Analyse durch den Filmpublizisten Robert Fischer wird jedoch deutlich, dass der Eindruck von äußerster komplexer Struktur durch zwei einfache Zeitsprünge entsteht. Eine geniale Lösung, die zum meist nachgeahmten Erzählmuster im Kino der letzten zehn Jahre wurde.

Tarantinos dritter Film „Jackie Brown“ (1997) enttäuschte allerdings die Fans des Starregisseurs wegen seiner konventionellen Art: Die lineare Erzählung wurde nur durch eine dreifache Darstellung einer Geldübergabe aus drei unterschiedlichen Perspektiven durchbrochen.

Dies soll sich mit „Kill Bill“ ändern, denn im „4. Film von Quentin Tarantino“ – wie der Film mit einem Augenzwinkern auf den „Kultstatus“ des Regisseurs angekündigt wird – scheint sich die Zeit ständig vor- und zurückzudrehen. „Kill Bill“ beginnt mit einem Prolog in schwarz-weiß: eine blutverschmierte Frau liegt am Boden. Eine Männerhand wischt ihr mit einem Taschentuch, in das der Name „Bill“ eingestickt ist, das Blut vom Gesicht. Dann richtet er eine Waffe auf seine ehemalige Mitstreiterin, die aussteigen wollte, und schießt. Darauf folgen mit typischen Tarantino-Zwischentiteln eingeleitete Episoden, in denen „Die Braut“ – wie die namenlose, ehemalige Berufsmörderin genannt wird – nach ihrem Aufwachen aus einem vierjährigen Koma zu einem Rachefeldzug gegen Bills Gangsterbande schreitet.

Doch mitten in der Handlung bricht der Film ab. Denn in die Kinos kommt zunächst nur der erste Teil, „Volume 1“ genannt; „Volume 2“ soll im nächsten Frühjahr folgen. Viel ist darüber spekuliert worden, warum „Kill Bill“ zweigeteilt wurde. Laut einem Bericht der „Süddeutschen Zeitung“ ließ Produzent Harvey Weinstein, der unlängst von Martin Scorsese eine Kürzung von „Gangs of New York“ auf drei Stunden Filmlänge verlangte, Tarantino gewähren und seinen Film in voller Länge – wenn auch in zwei Teilen – zeigen, weil Weinsteins Studio „Miramax“ gerade mit „Pulp Fiction“ groß geworden sei.

Ähnlich „Pulp Fiction“ scheint „Kill Bill“ eine sehr komplexe Struktur zu besitzen, unter anderem deshalb, weil einige Kapitel mit weißen Zwischentiteln, andere – in denen es um einzelne Charaktere geht – mit Titeln in gelben Lettern eingeleitet werden. Doch auch in „Kill Bill“ trügt der Schein: lediglich die Episode der Rache an „Vernita Green“, die eigentlich ans Ende von „Volume 1“ gehört, wird unmittelbar nach dem Prolog eingefügt. Im übrigen spielt sich der Film chronologisch ab, mit der Ausnahme eines zehnminütigen „Anime“-Kapitels, das die Vorgeschichte eines weiteren Bandenmitglieds erzählt.

In „Kill Bill“ finden sehr unterschiedliche Einflüsse Eingang: Italo-Western – besonders im Soundtrack, der sich stellenweise an die Musik der Sergio Leone-Filme anlehnt –, Kung-Fu- und japanische Samurai-Filme sowie der „Anime“ genannte japanische Zeichentrickfilm. Das Ergebnis ist nach eigenem Bekunden Tarantinos ein geschlossenes Filmuniversum: „‚Kill Bill’ ist mein erster Film, der vollständig in einer reinen Filmwelt spielt.“

Tarantinos Filmwelt ist gekennzeichnet durch eine stellenweise so brutale Gewalt, dass in einer Szene der Farb- zum Schwarz-Weiß-Film wird. Es handelt sich um ein reines Blutbad, in dem „Die Braut“ fünfzig oder hundert Gegner – wer kann dies nach dem Gemetzel noch wissen – mit einem Samurai-Schwert niederstreckt, verstümmelt, köpft. Weil sich diese Sequenz für die Filmhandlung als irrelevant erweist, wird die radikale Gewalt um der Gewalt willen zum Filmsujet stilisiert. Sie degradiert den menschlichen Körper zum bloßen Sadismus-Objekt.

In einem Interview mit der „Zeit“ erklärte Tarantino, seine Filmwelt entziehe sich einer moralischen Prüfung, etwa ob Rache oder Gewalt gut oder schlecht sei. „Über einen solchen Quatsch redet man in einem Samurai-Film natürlich niemals. Auch in einem Spaghetti-Western würde das den Leuten nie einfallen. Gewalt wird als etwas Gegebenes angesehen.“ Tarantinos Ethik wird durch eine bloße Filmästhetik ersetzt.
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