SÜSSE GIER, DIE | Il Capitale Umano
Filmische Qualität:   
Regie: Paolo Virzì
Darsteller: Fabrizio Bentivoglio, Fabrizio Gifuni, Matilde Gioli, Valeria Bruni Tedeschi, Luigi Lo Cascio
Land, Jahr: Italien/ Frankreich 2013
Laufzeit: 111 Minuten
Genre: Dramen
Publikum: Erwachsene
Einschränkungen: X +
im Kino: 1/2015
Auf DVD: 7/2015


José García
Foto: Movienet

Die eigentliche Handlung von Paul Virzìs „Die süße Gier – Il capitale umano“ ist schnell erzählt: Ein kleiner Geschäftsmann in mittleren Jahren schleicht sich in die Geld-Profiliga ein. Diese erweist sich jedoch als eine zu große Nummer für ihn: Aus Gier setzt er alles auf eine Karte. Nach der Finanzkrise verliert er aber sein ganzes Geld, während die Geldprofis unbeschädigt aus dem Schlamassel herauskommen.

Um diesen Kern entwerfen jedoch Regisseur Paul Virzì und seine Mit-Drehbuchautoren Francesco Bruni und Francesco Piccolo frei nach dem Roman „Human Capital“ (deutscher Titel: „Der Sündenfall“) von Stephen Amidon allerdings ein ausgeklügeltes Figurengerüst mit einer ebenfalls wohldurchdachten Dramaturgie in drei Episoden. Die Figurenkonstellation besteht insbesondere aus drei Paaren: Der Immobilienmakler Dino Ossola (Fabrizio Bentivoglio), der von ganz großen Geldgeschäften träumt, ist mit Roberta (Valeria Golino) zusammen, die Zwillinge erwartet. Dinos jugendliche Tochter Serena (Matilde Gioli) hat sich in Massimiliano (Guglielmo Pinelli) verliebt, den Sohn des superreichen Investmentmaklers Giovanni Bernaschi (Fabrizio Gifuni), dessen Ehefrau Carla (Valeria Bruni Tedeschi) unter dem langweiligen Leben der reichen Ehefrau ohne Lebensinhalt leidet. Diesen findet sie jedoch, als sie sich für ein altes Theater einsetzt, der wegen Immobilienspekulation abgerissen werden soll.

In drei Kapiteln steht je eine Hautfigur im Mittelpunkt: Kapitel 1 ist mit „Dino“ überschrieben. Der Immobilienmakler hat sich in den Kopf gesetzt, in den exklusiven Club der Reichen und Mächtigen einzusteigen. Durch seine Tochter Serena findet er Zugang zum Hause Bernaschi. Dabei kommt ihm sein gutes Tennisspiel zugute. Ein Doppel an Giovannis Seite ebnet ihm den Weg zu einer riskanten Investition. Dazu nimmt Dino trotz Giovannis Ermahnung einen hohen Kredit bei seiner Bank auf. Kapitel 2 erzählt aus Carlas Sicht, beginnend mit derselben Einstellung wie die erste Episode, nur eben aus einer anderen Perspektive. Da sich ihr Mann nur seinen Geschäften widmet, fühlt sich die reiche Ehefrau unausgefüllt. Das Theaterprojekt gibt ihrem Leben einen neuen Sinn. Es beschert ihr aber auch eine Affäre mit dem künstlerischem Direktor Donato (Luigi Lo Cascio). Bis ihr Mann ihr das liebgewonnene Spielzeug wieder wegnimmt und aus Geldnot die Kulturstätte zu Apartments umfunktioniert. Das dritte Kapitel stellt die etwa 18-jährige Serena in den Vordergrund: Die temperamentvolle junge Frau interessiert sich nicht für Geld wie ihr Vater. Dieser weiß allerdings nicht, dass sie sich von Massimiliano Bernaschi getrennt hat. Ihr Herz gehört jetzt dem künstlerisch talentierten Luca (Giovanni Anzaldo), der als Waise bei seinem drogendealenden Onkel lebt. Mit Massimiliano hält sie allerdings noch freundschaftlichen Kontakt, etwa dann, wenn er Hilfe braucht. Dies ist der Fall, als nach einer ausgiebigen Feier Massimiliano so betrunken ist, dass Serena sich anbietet, ihn nach Hause zu fahren.

In dieser Nacht ereignet sich aber der Unfall mit Fahrerflucht, den „Die süße Gier – Il capitale umano“ in einer Art Prolog schildert. Der Unfall beziehungsweise die Frage, wer wirklich am Steuer des Unfallautos saß, zieht sich zwar durch den ganzen Film. Trotz der offenen Frage baut Regisseur Paolo Virzì keine Spannung um den Fall auf. Dieses Thriller-Element dient vielmehr zur Verknüpfung der drei Episoden miteinander und zur Beleuchtung der unterschiedlichen Charaktere. In einem Epilog sieht der Zuschauer die Reichen unter sich – so jemand wie Dino ist selbstverständlich ausgeschlossen. Im Gegensatz zu diesem sind sie wieder einmal auf die Füße gefallen. Oder in den Worten von Giuseppe Tomasi von Lampedusa: „Alles muss sich ändern, damit alles so bleibt, wie es ist.“

Erstaunlich in einem Film über die Wirtschaftskrise, in dem die Gier der Finanzhaie an den Pranger gestellt wird, ist es allerdings, dass Giovanni Bernaschi im Hintergrund bleibt. Der Zuschauer erfährt kaum etwas anderes als Klischees über ihn. Natürlich spielt für ihn die Familie eine untergeordnete Rolle gegenüber seinen Geschäften. Um diese zu retten, geht er über die Neigungen und Gefühle seiner Frau hinweg. Dass er über Leichen gehen würde, untermauert der Film kaum. Im Gegenteil: Zu Giovannis Ehrrettung sei vermerkt, dass er von Anfang an Dino gewarnt hatte. Dino selbst hat sich durch seine Gier nach Geld und Macht den Ruin zuzuschreiben.

Der deutsche Titel „Die süße Gier“ lässt übrigens an die berühmte Rede des Finanzhais Gordon Gekko in Oliver Stones „Wall Street“ (1987) denken: „Die Gier ist gut. Die Gier ist richtig, die Gier funktioniert“. Nur dass am Ende von „Wall Street“ Börsenspekulant Gordon Gekko ins Gefängnis wandert und der junge Mann, der sich in Gekkos Team eingeschlichen hatte, geläutert aus der Affäre hervorgeht und seinen bescheidenen Platz im Leben findet. Bei Paolo Virzìs „Il capitale umano“ ist es genau umgekehrt: Der aus einfachen Verhältnissen stammende, hoch hinaus wollende Dino steht am Schluss mit leeren Händen da. Der unausstehliche Spekulant kann jedoch unbeschadet seinen Geschäften weiter nachgehen. Mit dieser zynischen Schlusspointe drückt Mitdrehbuchautor und Regisseur Paolo Virzì eine erbitterte Kritik am Finanzsystem aus.

„Il capitale umano“ gewann mehrere italienische Filmpreise David di Donatello (darunter Bester Film und Bestes Drehbuch) und wird Italien im Rennen um den Oscar 2015 in der Kategorie „Bester nichtenglischsprachiger Film“ vertreten.
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