TANNBACH | Tannbach
Filmische Qualität:   
Regie: Alexander Dierbach
Darsteller: Henriette Confurius, Jonas Nay, Nadja Uhl, Heiner Lauterbach, Martina Gedeck, Ludwig Trepte, Alexander Held, Ronald Zehrfeld, Peter Schneider, Natalia Wörner, Florian Brückner, Maria Dragus
Land, Jahr: Deutschland 2014
Laufzeit: 270 Minuten
Genre: Historische Filme
Publikum: ab 12 Jahren
Einschränkungen: G
Auf DVD: 12/2014


José García
Foto: ZDF

Anhand des an der bayerisch-thüringischen Grenze liegenden, fiktiven Dorfes Tannbach erzählt der dreiteilige Fernsehfilm die Geschichte der Teilung Deutschlands von den letzten Kriegstagen bis zur Gründung der Bundesrepublik und der DDR. In „Der Morgen nach dem Krieg“ statuiert die SS durch den Verrat des Nazi-Bauers Franz Schober (Alexander Held) ein Exempel: Weil sie ihren desertierten Mann Georg (Heiner Lauterbach) versteckt, wird Gräfin Caroline von Striesow (Natalia Wörner) erschossen. Tochter Anna (Henriette Confurius) findet einen Vertrauten in Friedrich Erler (Jonas Nay), der mit Mutter Liesbeth (Nadja Uhl) und Bruder Lothar (Ludwig Trepte) auf dem Gut Zuflucht gefunden hat. Im zweiten Teil „Die Enteignung“ ist der Ort 1946 von den Rotarmisten kontrolliert. Die Großgrundbesitzer werden enteignet und deportiert. Franz Schober entgeht der Deportation durch einen klugen Schachzug seines ungeliebten Sohnes Heini (Florian Brückner), Anna von Striesow durch die Heirat mit Friedrich, der von Landrat Konrad Werner (Ronald Zehrfeld) protegiert und für den Aufbau eines „neuen Deutschlands“ begeistert wird. Eine neue Grenzziehung teilt das Dorf in eine amerikanische und eine sowjetische Zone. Im dritten Teil „Mein Land, dein Land“ ist Tannbach 1948 zwar geteilt, aber die Grenzen sind noch durchlässig. Dies ändert sich jedoch, als die neuen Machthaber in der Sowjetzone dem Weggang unzähliger Menschen ein Ende bereiten wollen. Zudem beginnen bald Zwangsumsiedlungen.

In den dargestellten sieben Jahren der unmittelbaren Nachkriegszeit schildert der Film die Entstehung zweier verschiedener Gesellschaftsordnungen, wobei der Akzent eher auf der sowjetischen Zone und der späteren DDR liegt. Flüchtlinge, Desserteure und Naziopportunisten sind die Überlebenden eines Krieges, der Verluste und tiefe Wunden, aber auch in vielen Menschen Schuld hinterlassen hat. Werden in diesem „Klein-Berlin“ auf dem Lande Familien auseinandergerissen, so versuchen Einige eine neue, gerechtere Gesellschaft aufzubauen – was allerdings bald Lügen bestraft werden soll. Das Auseinanderleben beider Landesteile hin zum Kalten Krieg wird anhand des Schicksals eines Dorfes sichtbar.


Interview mit Regisseur Alexander Dierbach und Hauptdarstellerin Henriette Confurius

Obwohl „Tannbach – Schicksal eines Dorfes“ in einer anderen Zeit als „Unsere Mütter, unsere Väter“ spielt, haben die beiden Mehrteiler doch eins gemeinsam: Nachdem lange Zeit der Holocaust im Mittelpunkt von Filmen gestanden hatte, gerät nun die deutsche Sicht in den Blick. Ist dies ein Trend?

Alexander Dierbach: Ich weiß nicht, ob man grundsätzlich vom Trend sprechen kann. Inhaltlich sind sie nicht zu vergleichen, wohl aber von der Art der Großproduktion. Ich glaube, der Trend liegt im Mut, Mehrteiler über historische Stoffe zu produzieren. Wir erzählen von den letzten Kriegstagen und der Entstehung der Teilung dieses Landes – eine Zeit, die meines Wissens im Fernsehen so noch nicht beleuchtet wurde.


Auch wenn „Tannbach – Schicksal eines Dorfes“ ein Ensemblefilm ist, steht Anna von Striesow wohl im Mittelpunkt. Jedenfalls macht sie eine sehr große Wandlung durch...

Henriette Confurius: Im ersten Teil lernt der Zuschauer viele Gesichter kennen. Im zweiten und dritten Teil hat er Zeit, diese Menschen besser kennenzulernen. Ich weiß nicht, ob man jemand von ihnen in den Mittelpunkt stellen kann. Anna ist am Anfang noch ein Kind. Sie ist mit Werten aufgewachsen, die dann wegfallen. Ihr Vater war eigentlich abwesend und bleibt trotzdem Respektperson. Dazu wurde sie erzogen. Nachdem der Vater zurückkehrt, wird ihr Respekt ihm gegenüber in Frage gestellt. Sie verliert ihre Brüder im Krieg. Sie hat keine schöne Kindheit. Sie verliert den Halt unter ihren Füßen, und muss ihren eigenen Weg finden. Das macht sie, indem sie anfängt, eigene Entscheidungen zu treffen. Am Ende hat sie selbst ein Kind, ist eine junge Mutter. Sie hat sich für ein Leben entschieden, an dem sie festhält und das sie zusammen mit ihrem Mann aufbaut.

Alexander Dierbach: Das Ensemble ist letztendlich die Figur des Filmes. Aber Anna von Striesow macht den größten Wandel durch. Sie hat auch die größte Fallhöhe: Sie verliert ihr Gut, ihre Mutter, in einer gewissen Art und Weise auch ihren Vater und die eigene Haltung zu ihrem Vater. Dazu kommt es, dass sie sich plötzlich entscheiden muss – was wiederum für viele steht –, ob sie im Osten bleibt oder in den Westen geht.


Unter den Deutschen gibt es unterschiedliche Charaktere. Für jede Haltung gibt es im Film eine Figur. Die Russen und auch die Amerikaner sind allerdings eher holzschnittartig gezeichnet. Als erstes im Film erschießen die Russen einen Alten, eine Frau und ein Kind...

Alexander Dierbach: „Tannbach“ ist als Dreiteiler angelegt und horizontal erzählt. Wenn Sie Teil 2 und dann Teil 3 ansehen, relativieren sich die Eindrücke, neue kommen dazu, die Figuren gewinnen an Tiefe. Tannbach ist eine fiktionale Erzählung, da muss man Akzente setzen – zumal es dann eben für eine Zeit von sieben Jahren doch nur dreimal 90 Film-Minuten sind und wir viel Wert auf die historischen Begebenheiten wie die letzten Kriegstage, Enteignung und nicht zuletzt die Aktion Ungeziefer gelegt haben.


Spielen bei der Inszenierung etwa die Filme von Edgar Reitz „Heimat“ eine Rolle?

Alexander Dierbach: Ja, man kommt nicht umhin. Aber in der Vorbereitung spielt vieles eine Rolle, um sich in diese Zeit hineinzudenken, ob es sich um Kostüme oder um das Szenenbild handelt. Ein Beispiel: Wir mussten uns fragen, wie der Gutshof von Striesow werden sollte. Soll es Schloss-ähnlich werden? Auch wenn ich mich von Vorbildern inspirieren lasse, muss ich mich für eine bestimmte Visualisierung entscheiden.


Der Film beginnt mit einem Kleid. Was für eine Bedeutung hat für Sie als Schauspielerin das Anziehen eines alten Kostüms, um in die Rolle hineinzukommen?

Henriette Confurius: Sich in einem solchen Kostüm und in dieser Kulisse zu bewegen, gibt schon eine Haltung und ein Gefühl dafür. Dieses Kleid ist das Lieblingskleid ihrer Mutter, das Anna bestimmt das eine oder andere Mal aus dem Schrank genommen hat. Dabei geht es um die Sehnsucht, etwas Schönes anzuziehen, nicht immer nur die kriegsgraue Kleidung zu tragen. Diese Szene zeigt aber auch, dass sich Anna nicht erlauben kann, eine Kindheit zu haben.


1945 waren die 16-jährigen Mädchen, wie Anna am Anfang ist, ganz anders als heute. Wie haben Sie sich in diese Zeit hineinversetzt?

Henriette Confurius: Ich kann die Figur, die ich spiele, aus dem Drehbuch gut verstehen. Darüber hinaus kann ich mich an den Regisseur wenden, der intellektuell gut vorbereitet ist. Dadurch wird man in die Zeit hineinversetzt. Auch wenn die Zeit anders war, gibt es aber auch die gleichen Gefühle: Wenn sich damals ein 16-jähriges Mädchen verliebte, ist das nicht anders als heutzutage.


Und als Regisseur, wie haben Sie sich darauf vorbereitet?

Alexander Dierbach: Ich bin selbst in einem Dorf aufgewachsen. Da gibt es heute wie damals verschiedene Lager, die sich einmal überschneiden oder getrennt bleiben. Um mich in die Zeit hineinzuversetzen, habe ich viel gelesen und Bilder angeschaut, wie es in der Zeit aussah, wie die Strukturen aussahen. Allerdings muss man darauf achten, dass man das Mehrwissen von heute nicht in die Zeit hineinprojiziert. Wir wollen ja authentisch erzählen, wie die Menschen damals gelebt und gedacht haben. Von heute aus gesehen, hätten man auf die Barrikaden gehen sollen, als die ersten Bretter hochgezogen wurden. Aber damals wusste man nicht, worauf es hinauslief. In diesem Zusammenhang sagt Anna einen wichtigen Satz zu Friedrich: „Jede Woche ist etwas anderes“. So war es bei der Entstehung dieser Grenzsituation. Vielleicht braucht man nächste Woche einen Passierschein, um in die andere Hälfte zu kommen. Zunächst kommen die Amerikaner, dann die Russen. Dann wird ein Bretterzaun, später ein kleiner Stacheldraht aufgezogen. Die Menschen wussten damals noch nicht, wie es weitergehen sollte.
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