FRÄULEIN JULIE | Miss Julie
Filmische Qualität:   
Regie: Liv Ullmann
Darsteller: Jessica Chastain, Colin Farrell, Samantha Morton, Nora McMenamy
Land, Jahr: Norwegen/Großbritannien/Irland/Frankreich 2014
Laufzeit: 129 Minuten
Genre: Dramen
Publikum: Erwachsene
Einschränkungen: X -
im Kino: 1/2015
Auf DVD: 4/2015


José García
Foto: Alamode

Das von August Strindberg im Jahre 1888 verfasste Theaterstück „Fräulein Julie“ („Fröken Julie“) wurde bereits als Stummfilm im Jahre 1912 durch die schwedische Regisseurin und Schauspielerin Anna Hofman-Uddgren verfilmt. Nach weiteren schwedischen und internationalen Filmproduktionen hat nun Liv Ullmann das Theaterstück für die große Leinwand adaptiert. Ullmann, die auch das Drehbuch schrieb, verlagerte die Handlung nach Irland.

Abgesehen von einer kurzen Einführung der Tochter des Herrenhauses Julie als Kind (Nora McMenamy), die sich im riesigen Haus ganz einsam fühlt, spielt sich die Handlung in der Mittsommernacht des Jahres 1890 und dem Morgen darauf. Weil der Graf verreist ist, bleibt seine Tochter Julie (nun von Jessica Chastain dargestellt) auf dem Anwesen mit der Dienerschaft allein zurück. Die einzigartige Atmosphäre dieser lauen Nacht und die Abwesenheit des Vaters führt Julie dazu, sich unter die Bediensteten zu mischen. Nachdem sie mit dem Butler John (Colin Farrell) getanzt hat, stellt sie ihm in der Küche nach. Obwohl John mit der Köchin Kathleen (Samantha Morton) verlobt ist, der er gerade von Julies abstoßendem Benehmen erzählt hat, lässt er sich auf das Spiel ein. Ein Spiel, das von Anziehung handelt, aber auch von Unterwerfung – Julie lässt sogar John ihre Stiefel küssen.

Irgendwann einmal sind sich die beiden über die Klassenunterschiede hinweg so nahe, dass John Julie von seinem Traum erzählt, am Comer See ein Hotel zu eröffnen. Der Diener gesteht ihr auch, dass er als kleiner Junge in sie verliebt war. Auch Julie möchte sich verändern, sich aus den gesellschaftlichen Zwängen und aus der Enge des Elternhauses befreien. Nachdem Julie Johns ersten Kuss mit einer Ohrfeige quittiert hatte, lässt sie dann doch alle Hemmungen fallen. Nachdem sich Julie von John hat verführen lassen, sehnt sich danach, dass er ihr seine Liebe gesteht: „Wir sind jetzt gleich“. Allerdings sind nach der Verführung die Rollen vertauscht: Nun ist der ambitionierte Bedienstete es, der über die Herrschaft bestimmt. Zärtlichkeit schlägt in kalte Verachtung für die Entehrte um. Er scheut nicht einmal davor, sie zu demütigen. Der Diener befiehlt der jungen Herrin sogar, Geld aus der Bibliothek ihres Vaters zu stehlen. Denn John ist es klar, dass er in diesem Hause nicht mehr bleiben kann. Und für seine Hotelpläne braucht er Startkapital. Julie hofft, damit zusammen mit John ein neues Leben beginnen zu können. Plötzlich steht aber Kathleen in der Küche, wo Julie dem Butler das Geld übergeben hat. Die Köchin, die alles mitbekommen hat, ist angewidert von Julie, die ein Vorbild sein sollte. Sie verlangt von ihrem Verlobten, dass John und sie gemeinsam eine neue Stelle suchen sollen. Der Butler ist zwischen einer Zukunft mit Julie oder mit Kathleen hin- und hergerissen.

Liv Ullmann verfilmt „Fräulein Julie“ als Kammerspiel, das bis auf wenige Ausnahmen die Einheit des Orts, der Zeit und der Handlung einhält. Hauptschauplatz ist das Haus, ja die Küche des Herrschaftssitzes, die sich als Bühne präsentiert, auf der sich das Spiel von Anziehung und Abstoßung, von Herrschaft und Unterwerfung, von Geschlechter- und Klassenkampf ausbreitet. Was womöglich noch stärker den Ursprung von „Fräulein Julie“ als Theaterstück verrät, ist die Sprache. Es sind geschliffene Dialoge, die von den Figuren, aus denen dieses Drei-Personen-Stück besteht, auf bühnenreife Art aufgesagt werden.

Über die zeitbedingten Eigenheiten hinweg bietet „Fräulein Julie“ eine allgemein gültige Studie über die Anziehung, die in Verachtung umschlagen kann, über echte und kalkulierte Zuneigung sowie über die Manipulation, die aus einer vermeintlichen oder tatsächlichen übergeordneten Position erwächst. Jedenfalls sind die Motive der Handelnden bei dem gefährlichen Spiel, wer wen unterwirft, nicht immer eindeutig. Über die beiden wirft jedoch noch der eigentlich anwesende Graf seinen Schatten. Die Zerbrechlichkeit der Situation, die durch Julies und Johns Verhalten hervorgerufen wurde, betont darüber hinaus die aus melancholischen Streicher- und Klavierklängen bestehende Filmmusik.

„Fräulein Julie“, das als Theaterstück in Schweden zunächst von der Zensur verboten und deshalb erst im Jahre 1906 aufgeführt wurde, nachdem es bereits in Frankreich und Deutschland gespielt worden war, lässt allerdings auch eine moralische Lesart zu. Nicht nur weil Hochmut, Intrige und Herrschsucht zu einer aussichtlosen Lage, letztlich zu einer Tragödie führen. Diese Entwicklung wird außerdem von der dritten Figur, von der Köchin Kathleen, beobachtet. Dadurch, dass sie innerhalb des Personendreiecks die einzige ist, die moralisch korrekt handelt, nimmt Kathleen eine bewertende Position ein. Aufschlussreich ist es dabei, dass Kathleen nicht nur für Beständigkeit, sondern auch für Gottesvertrauen steht. Durch die als sehr religiös gezeichnete Kathleen kommen in „Fräulein Julie“ tiefgründige Themen über die Vergebung und die Gnade ins Spiel: „Wem gibt Gott den Glauben? Gnade. Nur Gott weiß es.“ Auch wenn sich Einiges in der Handlung von Ullmanns Verfilmung repetitiv ausnimmt, bietet die einstige Bergmann-Muse mit ihrer Strindberg-Adaption das Psychogramm zweier gequälter Menschen und ein Feuerwerk menschlicher Leidenschaften, die schlagartig von einem zum anderen Extrem wechseln.
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