SEHNSUCHT NACH PARIS | La Ritournelle
Filmische Qualität:   
Regie: Marc Fitoussi
Darsteller: Isabelle Huppert, Jean-Pierre Darroussin, Michael Nyqvist, Pio marmai, Jean-Charles Clichet, Marina Fois, Audrey Dana, Anais Demoustier
Land, Jahr: Frankreich 2014
Laufzeit: 98 Minuten
Genre: Komödien/Liebeskomödien
Publikum: ab 16 Jahren
Einschränkungen: X -
im Kino: 2/2015
Auf DVD: 12/2015


José García
Foto: Wild Bunch

Bei der Rinderzüchtung in der Normandie steht Brigitte Lecanu (Isabelle Huppert) seit Jahrzehnten ihrem Mann, dem bodenständigen Xavier (Jean-Pierre Darroussin) zuverlässig zur Seite. Zu Beginn des Spielfilms „Sehnsucht nach Paris“ („Paris Follies“) von Marc Fitoussi erlebt der Zuschauer Brigitte, wie sie einen Bullen für eine Rinderschau zurechtbürstet. Bei der Bullenleistungsschau wird Xavier selbstverständlich wie immer einen Preis gewinnen. Brigitte hält den Augenblick liebevoll mit der Kamera fest. Ihr Sohn Régis (Jean-Charles Clichet) ist bereits aus dem Elternhaus ausgezogen. Die Eltern besucht Régis selten, seitdem er eine Ausbildung zum Akrobaten begonnen hat, mit der sich sein Vater nicht gerade glücklich zeigt. Wie in so mancher Ehe stellt sich nach dem Auszug der Kinder in Brigittes und Xaviers Leben eine gewisse Routine ein. Brigitte fühlt manchmal eine diffuse Unzufriedenheit, auch wenn ihr Mann sie aus liebevoller Gewohnheit noch seine „kleine Schäferin“ nennt. Dass sie darunter leidet, äußert sich psychosomatisch unter einem Ausschlag am Hals, der sich zunehmend ausbreitet. Ihr Mann schlägt ihr vor, einen Dermatologen aufzusuchen, was sie jedoch zunächst anlehnt. Denn sie weiß, dass die Ursache des roten Ekzems in ihrer Verfassung liegt. Erst als sie bei einer Feier im Nachbarhaus dem jungen Stan (Pio Marmaï) aus Paris zufällig begegnet, der sich sichtlich für sie interessiert, erweist sich der Arztbesuch in Paris als ausgezeichnete Ausrede, um Stan wiederzusehen.

Das Wiedersehen mit Stan in der französischen Hauptstadt stellt sich zwar ganz anders heraus, als sie sich erhofft hatte. Aber im Hotel lernt Brigitte den dänischen Geschäftsmann Jesper (Michael Nyqvist) kennen, der mit seinen guten Manieren und seiner Weltgewandtheit die Provinzlerin regelrecht umgarnt. Während Brigitte noch hin- und hergerissen ist, ob sie sich auf ein amouröses Abenteuer mit dem charmanten Dänen einlassen soll, hat Xavier längst herausgefunden, dass der Arzt, zu dem Brigitte angeblich wollte, in Pension gegangen ist, so dass bei ihm die Alarmglocken läuten. Kurz entschlossen setzt sich Xavier ins klapprige Auto und fährt nach Paris. In der Seine-Metropole sieht er zwar, wie Brigitte lachend zusammen mit dem Fremden das Hotel verlässt. Statt sie aber zu verfolgen, geht er ins Museum. Bei der Betrachtung des Bildes „Die kleine Schäferin“ überlegt Xavier, warum Brigitte mit ihrem Leben unzufrieden ist, vor allem aber, wie er sie wieder gewinnen und die Ehe retten kann.

Marc Fitoussi inszeniert „Sehnsucht nach Paris“ mit unterschwelligem Humor, reichlich Zwischentönen und vor allem mit sicherem Gespür für Rhythmus. Nachdem sein Film zunächst gemächlich, ja fast betulich beginnt, bringen die Feier im Nachbarhaus und die Avancen des jungen Mannes gegenüber Brigitte Bewegung in den Film. Der Kontrast zwischen dem beschaulichen Landleben und dem pulsierenden Leben in der Hauptstadt verdeutlicht Brigittes „Sehnsucht nach Paris“ und ihren diffusen Wunsch, ein Abenteuer zu erleben. Dennoch gelingt es Drehbuchautor und Regisseur Fitoussi, dem Zuschauer dieses Gefühl auf subtile Art mitzuteilen. Größtenteils geht der gelungene Gesamteindruck auf die schauspielerische Leistung von Isabelle Huppert zurück, die jeden schrillen Ton vermeidet und sich bei der Verkörperung Brigittes zurücknimmt. Zu Brigitte erläutert die Hauptdarstellerin: „Sie ist eigentlich eine kleine Schäferin, die zurückkehrt ins traute Heim zu ihrem Ehemann, dem ihre Flucht erst klar macht, wie sehr er sie eigentlich liebt. Auch da beweist der Film ein großes Feingefühl, weil er auf Vorwürfe oder eine Abrechnung zwischen den beiden verzichtet. Er lässt nur eine Form der Müdigkeit ahnen diesem eingefahrenen Leben gegenüber, dem man eines Tages einen kleinen Schubs geben muss.“

Dass „Sehnsucht nach Paris“ nicht ausschließlich ein Film über Brigittes Sehnsüchte ist, verdankt er dem ebenfalls hervorragenden Spiel von Jean-Pierre Darroussin: Sein bodenständiger, wortkarger Xavier, der sich zunächst offenbar mehr um die Rinder als um seine Frau kümmert, schafft es, über seinen Schatten zu springen. Er ist bereit, Brigittes Seitensprung zu vergessen, und sich mehr um ihre Ehe zu kümmern. Dadurch erinnert „Sehnsucht nach Paris“ an die klassischen „Screwball“-Komödien Hollywoods oder genauer an das Untergenre der „comedy of remarriage“, etwa an George Cukors wunderbare Komödie „Ehekrieg“ („Adam’s Rib“, 1949) mit Katherine Hepburn und Spencer Tracy.

Für die Atmosphäre des Films spielen eine bedeutende Rolle sowohl die von Marité Coutard entwickelten Kostüme – Isabelle Huppert ganz ungewohnt in Gummistiefel und Umhang mit Schottenmuster sowie mit sibirisch anmutender Pelzmütze, oder Jean-Pierre Darroussin in Bauernkluft mitten in Paris – als auch die Kameraführung der erfahrenen Kamerafrau Agnès Godard, die „Sehnsucht nach Paris“ in eine eigentümliche Mischung aus realistischen Bildern und märchenhafter Anmutung taucht.

Auch dem Regisseur gelingt es, leichtfüßige, komödiantische Elemente mit Augenblicken der Reflexion, mit Tiefgang zu verknüpfen, um die Gefahren aufzuzeigen, die in einer routiniert geführten Ehe lauern. Die diffuse Unzufriedenheit, die eine ebenso undeutliche Sehnsucht nach aufregenden Erlebnissen, nach Abenteuern nach sich zieht, steht im Mittelpunkt von Marc Fitoussis geistreicher, französischer Variante der „comedy of remarriage“.
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