MEINE TOCHTER ANNE FRANK | Meine Tochter Anne Frank
Filmische Qualität:   
Regie: Raymond Ley
Darsteller: Mala Emde, Götz Schubert, Lion Wascyzk, Bettina Scheuritzel, Rosalie Ernst, Hannah Schröder, André Hennicke, Harald Schrott, Axel Milberg
Land, Jahr: Deutschland 2014
Laufzeit: 90 Minuten
Genre: Dramen
Publikum: ab 12 Jahren
Einschränkungen: S
Auf DVD: 2/2015


José García
Foto: HR/Pressestelle

Im Doku-Drama „Meine Tochter Anne Frank“ schildern Regisseur Raymond Ley und seine Mit-Drehbuchautorin Hannah Ley Anne Franks Entwicklung aus der Sicht von Otto Frank, Annes Vater, dem einzigen Mitglied der Familie, der den Krieg überlebte. Das Medium „Dokudrama“ verknüpft Fiktionales mit Dokumenten respektive Interviews. In „Meine Tochter Anne Frank“ bildet die fiktionale Ebene ein Fernsehfilm, der „Im Versteck“ in Amsterdam ab Mai 1944 angesiedelt ist. Bereits die erste Szene verdeutlicht, dass der Film einen besonderen Akzent auf Anne Franks erwachende Sexualität legt: Anne (Mala Emde) unterhält sich mit ihrer älteren Schwester Margot (Rosalie Ernst) über den etwa gleichaltrigen Peter van Pels (Lion Wascyzk), der zusammen mit seinen Eltern ebenfalls in der Amsterdamer Prinsengracht 263 Zuflucht gefunden hatte. Anne bescheinigt einerseits Peter „zu wenig Charakter“, lobt aber andererseits zum Entsetzen ihrer Schwester „die körperliche Liebe“.

Dennoch gehört diese sich im Mai 1944 abspielende Szene chronologisch nicht an den Anfang. Denn der zeitliche Beginn wird mit dem „ersten Tag im Versteck“ am 6. Juli 1942 markiert. Das ist der Tag, an dem Edith (Bettina Scheuritzel) und Otto Frank (Götz Schubert) mit ihren Töchtern Margot und Anne in das Hinterhaus von Franks Firma ziehen. Über eine mit einem Bücherregal verdeckte steile Treppe, die mit dem Gang vor den Büroräumen verbunden ist, gelangt man zum insgesamt rund 50 Quadratmeter großen Hinterhaus mit zwei Stockwerken. Auf der ersten Etage gibt es zwei kleinere Zimmer mit Bad und Toilette, darüber ein großes und ein kleines Zimmer; von letzterem führt eine Leiter auf den Dachboden. Diesen Raum teilte sich die Familie Frank mit der Familie van Pels, mit dem erwähnten Peter und dessen Eltern Auguste (Hannah Schröder) und Hermann (André Hennicke). Im November 1942 kam ein weiterer Gast, der Zahnarzt Dr. Fritz Pfeffer (Harald Schrott), dazu. Die acht Personen lebten in diesem Versteck mehr als zwei Jahre bis zu deren Verhaftung am 4. August 1944. „Wir haben sehr viel Wert darauf gelegt, dass man dieses Versteck begreift, dass man begreift, wie sich das anfühlt, auf so engem Raum zu leben, miteinander auszukommen“, erklärt Regisseur Raymond Ley.

Der fiktionalisierte Teil aus „Meine Tochter Anne Frank“ erzählt auf drei verschiedenen Zeitebenen: Neben den zwei Jahren im Versteck ist ein Handlungsstrang unmittelbar nach dem Krieg angesiedelt, als Otto Frank im August 1945 aus Auschwitz zurückkehrt. Ihm werden die losen Blätter des Tagebuchs seiner Tochter Anne überreicht, die er auf einer alten Schreibmaschine zu tippen beginnt, wobei der Film von Hannah und Raymond Lay verdeutlicht, dass Otto Frank auch Änderungen und Streichungen vornahm. Der dritte Erzählstrang spielt im Jahre 1962, als das Tagebuch bereits veröffentlicht ist: Der niederländische Journalist Jules Huf (Axel Milberg) besucht in Wien den Polizisten, der die Verhaftung in der Prinsengracht leitete. Seine wichtigste Frage lautet, ob der Polizist dort ein Tagebuch gefunden habe. Zur gleichen Zeit werden Leseabende veranstaltet, bei denen Otto Frank aus dem Tagebuch seiner Tochter vorliest. So lernt Otto Frank die verwitwete Fritzi Geiringer kennen, die er 1953 heiratete. Dadurch wurde Eva Schloss, die Tochter von Fritzi Geiringer, die Stieftochter Otto Franks. Leinwandprojektionen geben dokumentarisches Material etwa über den Einmarsch der Wehrmacht in die Niederlande, über die Verhaftungen auf der Straße oder über die Verschleppung jüdischer Familien wieder. Das Dokudrama erzählt konsequent aus der Sicht Otto Franks. Es stellt zwar das Vater-Tochter-Verhältnis in den Mittelpunkt. Dadurch jedoch, dass Otto Frank die geheimsten Gedanken und Sehnsüchte seiner Tochter kennenlernt, entsteht ein Bild mit scharfen Konturen der Persönlichkeit Anne Franks, wozu auch das hervorragende Spiel der bislang unbekannten Schauspielerin Mala Emde sowie des erfahrenen Darstellers Götz Schubert beiträgt. Der Zuschauer erfährt nicht nur Annes Witz und Treffsicherheit bei der Beschreibung ihrer Mitbewohner im Hinterhaus und ihrer Spannungen, sondern auch ihre Träume von Liebe, Freiheit und Sexualität.

Mit einer Prise Humor – so etwa in den Streitigkeiten der acht Hinterhaus-Bewohner oder im Streit Annes mit dem Zahnarzt Dr. Pfeffer um die Benutzung des Schreibtisches in ihrem gemeinsamen Zimmerchen – zeigt „Meine Tochter Anne Frank“ ein lebendiges Bild einer normalen, aber mit großer Sensibilität ausgestatteten Heranwachsenden: In der szenischen Aufarbeitung ihres Tagebuchs, das sie noch in Freiheit, mit 13 Jahren begann, wird der Übergang von der Kindheit zur jungen Frau mit seinen Stimmungsschwankungen und auch mit seiner Aufmüpfigkeit lebendig.
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