VERSTEHEN SIE DIE BÉLIERS? | La Famille Bélier
Filmische Qualität:   
Regie: Éric Lartigau
Darsteller: Karin Viard, François Damiens, Éric Elmosnino, Louane Emera, Luca Gelberg, Roxane Durand, Ilian Bergala, Stephan Wojtowicz
Land, Jahr: Frankreich 2014
Laufzeit: 105 Minuten
Genre: Komödien/Liebeskomödien
Publikum: ab 12 Jahren
Einschränkungen: D
im Kino: 3/2015
Auf DVD: 7/2015


José García
Foto: Concorde

In einem Kuhstall in der französischen Provinz kommt ein Kalb zur Welt. Obwohl die Eltern dabei sind, wendet sich der Tierarzt auffälligerweise ausschließlich an die Tochter Paula (Louane Emera). Kein Wunder: Sie ist die einzige Nicht-Gehörlose in der Familie. Auf dem Wochenmarktstand, wo sie den selbst produzierten Käse verkaufen, wiederholt sich die Szene: Mutter Gigi (Karin Viard) und Vater Rodolphe (François Damiens) sowie Sohn Quentin (Luca Gelberg) lächeln zwar die Kunden an. Die Verkaufsgespräche führt natürlich Paula. Durch Paulas Funktion als „Dolmetscherin“ der Familie, die allerdings nicht immer ganz genau übersetzt, erinnert Éric Lartigaus Film „Verstehen Sie die Béliers?“ an Caroline Links „Jenseits der Stille“ (1996).

Wie Lara in „Jenseits der Stille“ entdeckt auch Paula in Lartigaus Film ihr musikalisches Talent. Spielte Lara Klarinette, so besitzt Paula eine schöne Stimme, die Musiklehrer Monsieur Thomasson (Éric Elmosnino) unbedingt fördern möchte. Dabei wollte Paula mit ihrer besten Freundin Mathilde (Roxane Duran) nur deshalb in die Chor-AG, weil dort ihr Schwarm Gabriel (Ilian Bergale) mitsingt. Bei den Proben entdeckt der Musiklehrer Paulas außerordentliche Gesangsbegabung, weshalb er sie auffordert, zusammen mit Gabriel für das Schulkonzert ein Duett einzustudieren. Monsieur Thomassons Pläne für Paula gehen jedoch noch viel weiter. Er schlägt der jungen Frau vor, eine Gesangsausbildung an einer renommierten Pariser Musikakademie aufzunehmen. Der Chorleiter erklärt sich darüber hinaus bereit, Paula auf die Aufnahmeprüfung vorzubereiten.

Damit befindet sich Paula jedoch in einem Dilemma: Gerne würde sie diesem Traum folgen, zumal ihre Freundin Mathilde immer wieder auf sie einredet, die Chance nicht ungenutzt zu lassen. Andererseits fühlt sie ihre Verantwortung ihrer Familie gegenüber. Schließlich ist Paula für sie so etwas wie der Kontakt zur Außenwelt. Ihre Hilfe ist umso mehr notwendig, seitdem sich ihr Vater für den Posten des Bürgermeisters bewirbt. Deshalb hat sie ihren Eltern nicht einmal erzählt, dass sie täglich bei Monsieur Thomasson übt. Dass sich Paula außerdem in Gabriel verliebt hat, was allerdings wenigstens zunächst nicht auf Gegenseitigkeit zu beruhen scheint, macht die Sache für Paula nicht gerade einfach.

Um die Wahrnehmung von Paulas Gesangskünste durch ihre gehörlosen Eltern darzustellen, greift Regisseur Éric Lartigau auf zwei verschiedene Kunstgriffe zurück: Bei einer Aufführung hört zwar der Zuschauer die Darbietung wie die meisten Konzertzuhörer. Aber ihm wird es auch deutlich, dass Paulas Eltern und Bruder die Gesangskünste des Mädchens nur durch die Reaktionen des Publikums wahrnehmen können. Später geht der Regisseur einen Schritt weiter: Er schaltet den Ton ab, während Paula singt, so dass sich der Zuschauer in die Lage ihrer Familie hineinversetzen kann.

Was die Mischung an Humor durch eigentümliche Figuren und nachdenklichen Tönen angeht, so steht „Verstehen Sie die Béliers?“ in der Tradition der jüngsten Publikumserfolge in Frankreich, allen voran „Ziemlich beste Freunde“ (siehe Filmarchiv) und „Monsieur Claude und seine Töchter“ (siehe Filmarchiv). Auch „Verstehen Sie die Béliers?“ ist im Nachbarland mit knapp 7 Millionen Besuchern zu einem Publikumsmagnet geworden. Obwohl sich der etwas spezielle Humor beispielsweise über die erste Regelblutung der Tochter ziemlich plump ausnimmt, überwiegen letztlich eine nie ins Rührselige abrutschende Darstellung sowie die skurrilen Charaktere. Zu denen zählt insbesondere Musiklehrer und Chorleiter Monsieur Thomasson, der sich in der Provinz verkannt fühlt und durch die Entdeckung von Paulas Talent seinen zweiten Frühling erlebt. Zu seinen Eigenschaften gehört nicht nur seine Vorliebe für die Chansons von Michel Sardou. Um die Auswahl für den Schulchor zu treffen, lässt er beispielsweise die Schüler die Nationalhymne singen. Auch die Bemerkungen, mit denen er die von ihm „Pickelgesichter“ bezeichneten Chormitglieder anfeuert, haben es in sich: „Fühlt Eure Gedärme. Es muss ’raus. Sonst bekommt Ihr Darmkrebs“.

Auch wenn Karin Viard in der Darstellung der hyperventilierenden Mutter und François Damiens als beleidigter Vater teilweise etwas chargieren, werden diese Darbietungen durch das nuancenreiche Spiel der jungen Louane Emera mehr als aufgewogen. Der 18-Jährigen, die in „Verstehen Sie die Béliers?“ ihr Spielfilmdebüt liefert, gelingt es, die unterschiedlichen Gefühle der Heranwachsenden im Abnabelungsprozess im Wettstreit mit der Verantwortung für ihre Familie überzeugend darzustellen. Folgerichtig erhielt sie für diese Rolle den diesjährigen französischen Filmpreis César als „beste Nachwuchsdarstellerin“.

Bei der Erteilung des Prädikats „besonders wertvoll“ führte die Deutsche Film- und Medienbewertung (FBW) dazu aus: „Der besondere Charme und Zauber dieser französischen Variante des Themas liegt in den Figuren des Films, vor allem der jungen Paula und ihrer Familie, deren alltägliche Sorgen und Freuden mit viel Humor, ohne billige Effekte und mit großer Empathie gezeigt werden.“

Eric Lartigau gelingt es, ein Gleichgewicht zwischen den humorvollen und den nachdenklichen Momenten zu finden, um das Erwachsenwerden einer Jugendlichen, aber auch um den Zusammenhalt einer „besonderen“ Familie zu verdeutlichen.
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