MÄDCHEN HIRUT, DAS | Difret
Filmische Qualität:   
Regie: Zeresenay Berhane Mehari
Darsteller: Tizita Hagere, Meron Getnet, Haregewine Assefa, Brook Sheferaw, Mekonen Laeake, Meaza Tekle, Shetave Abreha
Land, Jahr: Äthiopien 2014
Laufzeit: 99 Minuten
Genre: Dramen
Publikum: ab 12 Jahren
Einschränkungen: G
im Kino: 3/2015
Auf DVD: 7/2015


José García
Foto: Alamode

Äthiopien 1996. In der Hauptstadt Addis-Abeba kämpft die Rechtsanwältin Meaza Ashenafi (Meron Getnet) mit ihrer Organisation „Andenet“ für die Rechte der Frauen im Allgemeinen und gegen häusliche Gewalt im Besonderen. Sie verspricht beispielsweise einer Hilfe suchenden Frau, mit deren Mann Klartext zu reden, damit die Misshandlungen aufhören. Was sie auch ziemlich beherzt tut. Drei Stunden von der Hauptstadt entfernt lebt die 14-jährige Hirut (Tizita Hagere) in einer Hütte mit ihren Eltern und ihrer jüngeren Schwester. Auf dem Nachhauseweg von der Schule im Nachbardorf wird Hirut eines Tages von einer Gruppe Reiter umzingelt, die sie entführen und in einer Hütte einsperren. Entsprechend der auf dem Lande praktizierten Tradition der „Telefa“, der Entführung zum Zweck der Eheschließung, wird Hirut von ihrem Entführer vergewaltigt. Am nächsten Morgen gelingt dem Mädchen die Flucht. Sie wird aber von den Männern verfolgt, die sie auch bald einholen. Mit dem Gewehr, das sie aus der Hütte mitgenommen hatte, erschießt Hirut ihren Entführer. Die Polizei kann sie noch vor der Lynchjustiz retten.

Rechtsanwältin Meaza Ashenafi nimmt sich des Falls an. Obwohl der Dorfpolizist ihr erklärt, dass dem Mädchen die Todesstrafe droht, will die Anwältin Hirut in einem fairen Prozess vertreten. Denn für sie handelt es sich eindeutig um einen Fall von Notwehr. Ashenafi begegnet zunächst nur Schwierigkeiten: Als sie das verletzte Mädchen in ein Krankenhaus bringen will, behauptet der stellvertretende Staatsanwalt, Hirut lüge, sie sei bereits älter als 14. Allen Ernstes verlangt er ihre Taufbescheinigung – und als ihm diese vorgelegt wird, stellt er deren Echtheit in Frage. In dieser Situation wendet sich die Anwältin an ihren Mentor, ein ehemaliges Regierungsmitglied. Darüber hinaus informiert sie einen Journalisten über den Fall. Am nächsten Tag versammeln sich eine ganze Reihe Pressevertreter vor der Polizeiwache. Letzten Endes ist es jedoch einem Anruf von oberster Stelle zu verdanken, dass Hirut gegen Kaution entlassen wird. Sie kann aber unmöglich in ihr Dorf zurückkehren, wo der Fall vor den Dorfältesten verhandelt wird. Sie fällen eine „endgültige, nicht verhandelbare“ Entscheidung. Die offizielle Gerichtsverhandlung soll jedoch in Addis-Abeba stattfinden. Weil der Ältestenrat Hiruts Verbannung beschlossen hatte, fordert die Anwältin das Justizministerium dazu auf, sich einzuschalten. Als es sich aber weigert, aktiv zu werden, reicht Meaza Ashenafi Klage gegen das Ministerium ein. Die Folge: Ihre Organisation Andenet wird verboten. Und die Chancen auf einen fairen Prozess für Hirut schwinden.

In der Wirklichkeit führte dieser Fall im Jahre 1996 zu einem Wendepunkt für die Frauenrechte in Äthiopien. Regisseur Zeresenay Berhane Mehari lernte die Frauenrechtlerin Meaza Ashenafi persönlich kennen und entschloss sich, die Geschichte der zwei Frauen auf die Leinwand zu bringen. Im Laufe der Produktion konnte er Hollywood-Star Angelina Jolie als Koproduzentin gewinnen. Dem Film merkt man in jeden Augenblick an, dass „Das Mädchen Hirut“ ein engagierter Film mit einer Botschaft ist.

Dies schlägt sich in der Dramaturgie des Filmes nieder, die sich eher einfach ausnimmt. Drehbuchautor und Regisseur Zeresenay Berhane Mehari dreht keinen Gerichtsfilm im eigentlichen Sinn, obwohl etwa auch persönliche Animositäten zwischen Staatsanwalt und der Rechtsanwältin durchaus eine Rolle spielen. Dem Regisseur geht es eher darum, die Widersprüche in der äthiopischen Gesellschaft aufzuzeigen. Als da wäre zunächst einmal der Gegensatz zwischen der „offiziellen“ und der auf dem Lande durch „Ältestenräte“ praktizierten Justiz. Die drei Autostunden, die Addis-Abeba von Hiruts Dorf trennen, stellen sich als eine Reise in die Vergangenheit heraus. Zeigen die wenigen Bilder aus der Hauptstadt, die „Das Mädchen Hirut“ bietet, diese als halbwegs moderne Metropole, so ist das Leben auf dem Land durch archaische Strukturen geprägt: Hiruts Eltern sind Analphabeten und betreiben eine recht primitive Landwirtschaft und Viehzucht. Dies wiederum führt dazu, dass Hiruts Vater auf die Mitarbeit des Mädchens besteht und einen Schulbesuch in Frage stellt. Der Gegensatz zwischen den unterschiedlichen Gesellschaftsformen wird aber insbesondere in den zwei Protagonistinnen deutlich: Meaza Ashenafi wird als moderne und emanzipierte Frau dargestellt, die ebenso gut in einer westlichen Gesellschaft leben könnte. Hirut lebt hingegen in einer patriarchal geprägten Struktur. Dass das Leben einer unabhängigen Frau auch Schattenseiten haben kann, wird allerdings auch deutlich.

Trotz der schlichten, mitunter konstruiert wirkenden Dramaturgie geht der Film dem Zuschauer doch nahe. „Das Mädchen Hirut“ gewann denn auch sowohl auf der Berlinale 2014 als auch beim Sundance-Filmfestival den Publikumspreis. Obwohl sich der Regisseur allzu oft eines didaktischen Duktus bedient, entgeht er der Versuchung, sowohl die Figur der Rechtsanwältin Meaza Ashenafi zu idealisieren, als auch das traditionsverhaftete Leben auf dem äthiopischen Land zu verteufeln. Die halbdokumentarische Inszenierung der Verhandlung vor dem Ältestenrat etwa sagt schon Einiges über das Leben auf dem Land in Äthiopien wenigstens im Jahre 1996 aus.
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