ZU ENDE IST ALLES ERST AM SCHLUSS | Les Souvenirs
Filmische Qualität:   
Regie: Jean-Paul Rouve
Darsteller: Michel Blanc, Annie Cordy, Mathieu Spinosi, Chantal Lauby, William Lebghil, Audrey Lamy
Land, Jahr: Frankreich 2014
Laufzeit: 96 Minuten
Genre: Komödien/Liebeskomödien
Publikum: ab 12 Jahren
Einschränkungen: --
im Kino: 3/2015
Auf DVD: 9/2015


José García
Foto: Neue Visionen

Romain Esnard (Mathieu Spinosi) hat das ganze Leben noch vor sich. Eigentlich interessiert sich Romain für Literatur. Vielleicht möchte er auch ein Buch schreiben. Allerdings weiß er noch nicht so recht, welche Richtung er seinem Leben geben soll. Sein Vater Michel (Michel Blanc) hat ein ähnliches Problem: Er geht gerade in Rente – und weiß nicht, was er mit seiner Zeit anfangen soll. Romains geliebte Großmutter Madeleine (Annie Cordy) musste jüngst ins Seniorenheim, nachdem ihr Mann gestorben ist. Das Leben im Altersheim findet Madeleine so schrecklich, dass sie kurzerhand aus dem Heim verschwindet. Michel und seine Brüder sind so aufgeregt, dass sie eigentlich nichts unternehmen können. Dann bekommt Romain eine Postkarte der Großmutter. Er macht sich auf den Weg an die Nordküste, nach Etretat, wo die Großmutter ihre Kindheit verbrachte, und wo er sie zu finden hofft.

Nach dem Roman von David Foenkinos schildert Regisseur Jean-Paul Rouve eigentlich ganz gewöhnliche Dinge des Lebens: Lebensträume und Lebensentscheidungen in ganz unterschiedlichen Lebenssituationen und Lebensabschnitten. Oma und Enkel stehen sich sehr nahe, weil sie Gemeinsames erleben. Sie fassen etwa den Entschluss, den Amateurmaler ausfindig zu machen, der das hässliche Bild im Altersheim gemalt hat. Mit einem wunderbaren Gleichgewicht an komischen und ernsten Stimmungen, die sowohl Gefühlsduselei als auch Seichtes gekonnt umschifft, und vor allem mit bis in die Nebenrollen bestens gezeichneten Figuren – ein philosophierender Tankwart, ein junger, sympathischer Priester, der eine feinfühlige und tiefgründige Grabespredigt hält – gelingt Jean-Paul Rouve eine sehr französische Filmkomödie, die jedoch auch universell von der humana conditio erzählt.



Regisseur und Mit-Drehbuchautor Jean-Paul Rouve im Gespräch über den Spielfilm „Zu Ende ist alles erst am Schluss“


Ihr Film erzählt zwar die Geschichte dreier Menschen aus drei Generationen. Im Mittelpunkt steht aber die Beziehung zwischen der Großmutter und dem Enkel. Wie kamen Sie auf diese Geschichte?

Diese Frage müssten Sie dem Roman- und Mitdrehbuchautor David Foenkinos stellen, der es sich so ausgedacht hat. Ich fand die Enkel-Oma-Beziehung sehr spannend, bei der die Eltern sozusagen übersprungen werden. Dies sagt auch viel über die heutige Gesellschaft und die Vielfalt an Beziehungen aus. Ich hatte dennoch nicht die Absicht, die französische Gesellschaft als solche abzubilden. Ich zeige nur ein Prisma. Natürlich ist die französische wie die deutsche Gesellschaft viel komplexer, und sie erzählt auch ganz andere Familiengeschichten.

Was hat Sie an diesem Thema besonders interessiert?

Es geht darum, welchen Platz Menschen in ihrem Leben einnehmen. Wir bilden uns ein, unser Leben zu kontrollieren. Letzten Endes trifft aber die Gesellschaft gewisse Entscheidungen für uns. Hier entscheidet die Gesellschaft, wann die Großmutter ins Altersheim zu ziehen hat, oder wann der Vater in Rente gehen soll. Wenn man jung wie Romain ist, hat man gewisse Erwartungen an das Leben. Dann kommt das Leben und macht etwas anderes mit uns. Das muss nicht traurig sein, aber so geht Leben.

Alle drei Figuren stehen am Scheideweg. Die Großmutter muss ihre eigene Wohnung aufgeben. Michel weiß nicht, was er mit seiner Zeit machen soll. Romain hat noch nicht eine richtige Lebensentscheidung getroffen. Sind sie sich nicht über die drei Generationen hinweg sehr ähnlich?

Zum ersten Mal sind die Drei Meister ihrer eigenen Entscheidung. Aber sie stehen vor einer Wand, die sie zerstören müssen. Der Großmutter Madeleine gelingt es, indem sie flieht. Michel gelingt es zunächst nicht. Er fällt tief, um sich dann wieder aufrichten zu können. Romain muss auch seinen Weg gehen: Dank der Oma schafft er eine Initiationsreise im buchstäblichen Sinn.

In Ihrem Film gibt es eine Reihe interessanter Nebenfiguren: Vom Hotelbesitzer, den Sie selber spielen, über den skurrilen Maler, der nach Jahren wieder zu malen anfängt, bis zu dem jungen und sehr sympathischen Priester. Waren diese Figuren schon im Roman angelegt oder haben Sie sie ausgestaltet?

Im Buch war der Hotelbesitzer so alt wie Romains Vater, etwa 60. Ich wollte ihn nicht als eine Art Ersatzvater sehen. Es mag sein, dass er in Romain eine Art Ersatzsohn sieht. Aber nicht umgekehrt. Der Maler wurde so aus dem Roman übernommen. Die Rolle des Priesters habe ich ausgebaut. Die Rede, die er am Schluss hält, wurde von einem echten Geistlichen geschrieben. Ich wollte sogar, dass dieser Priester im Film mitspielt, aber leider hat es sein Bischof abgelehnt. Ich finde diese Rede sehr schön, weil sie sich auf das Menschliche konzentriert. Allerdings kann sie so nur ein tiefreligiöser Mensch schreiben.

Die erste Hälfte Ihres Filmes spielt in Paris, die zweite in Etretat, wo Madeleine ihre Kindheit verbracht hatte. Sehen Sie einen Gegensatz zwischen Paris und der Provinz?

Nein, überhaupt nicht. Beide Städte werden gleich behandelt. Ich versuche, Paris als ganz normale Stadt darzustellen. Es ist nicht Paris, was die Menschen ausmacht. Es sind die Menschen, die Paris ausmachen. Wenn überhaupt ist es Etretat, die als etwas Besonderes angesehen wird.

Könnte es sein, dass der Blick auf Etretat etwas verklärt wird, weil Madeleine es als die Stadt ihrer Kindheit so sieht, während sie in Paris eventuell ein hartes Leben geführt hat?

Ob sie in Paris ein hartes Leben führte, wissen wir nicht. In Etretat jedoch ist das Leben in der Erinnerung einer Achtzigjährigen stehen geblieben.

Eigentlich erzählt „Zu Ende ist alles erst am Schluss“ von ganz normalem Leben. Warum gelingt eine solche Erzählung französischen und nicht etwa deutschen Filmemachern?

Ich weiß es nicht. Aber es stimmt, dass der Film sehr französisch ist. Sogar die Amerikaner beneiden uns in dieser Hinsicht, denn ihnen gelingen solche Filme zurzeit nicht. In Frankreich haben sie eine lange Tradition, die auf die fünfziger Jahre zurückgeht. Später hat die „Nouvelle Vage“ eine andere Richtung eingeschlagen, aber in den siebziger Jahren kehrten diese Filme wieder. Danach waren sie wieder weg, als versucht wurde, in französischen Filmen amerikanische Einflüsse zu verarbeiten. Nun ist diese Art Filme wieder zurückgekehrt. Es handelt sich um Wellenbewegungen.

Solche Wellenbewegungen können etwa auch im italienischen Film festgestellt werden. Vor etwa zehn Jahren gab es wunderbare italienische Filme, die zurzeit verschwunden zu sein scheinen...

Was mit dem italienischen Kino passiert ist, ist eine Katastrophe. Der Unterschied besteht darin, dass bei uns die „exception culturelle“ das französische Kino gegen die amerikanischen Filme schützt, wofür ich sehr dankbar bin. Das italienische Kino war ein großes Kino, das heute leider keine Rolle mehr spielt. Ich bin mir aber sicher: Wenn die Italiener eine strengere Kulturpolitik betreiben, wird das italienische Kino wieder auferstehen, weil es eine große Tradition hat.

Sind Sie dafür, dass Quoten eingeführt werden, um das einheimische Kino zu schützen?

Es muss nicht unbedingt eine Quote sein. Der Schutz des französischen Kinos besteht darin, dass ein Teil der Eintrittsgelder dem „Centre National du Cinéma“ zur Verfügung gestellt wird, das französische Filme fördert. Außerdem gibt es Steuervergünstigungen zur Finanzierung französischer Filme. Französische Filme haben bei uns zurzeit einen Marktanteil über 50 Prozent, also höher als das amerikanische Kino.

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