EVERY THING WILL BE FINE | Every Thing Will Be Fine
Filmische Qualität:   
Regie: Wim Wenders
Darsteller: James Franco, Charlotte Gainsbourg, Rachel McAdams, Marie-Josée Croze, Peter Stomare, Julia Sarah Stone
Land, Jahr: Deutschland / Kanada 2015
Laufzeit: 118 Minuten
Genre: Dramen
Publikum: ab 16 Jahren
Einschränkungen: --
im Kino: 4/2015
Auf DVD: 9/2015


José García
Foto: Warner Bros.

Der junge Schriftsteller Tomas Eldan (James Franco) kommt mit seinem Roman nur schleppend voran. Die Beziehung zu seiner Freundin Sara (Rachel McAdams) scheint ebenfalls in einer Krise zu stecken. Um einen klaren Kopf oder vielleicht auch Inspiration zu bekommen, fährt er mit dem Auto durch die schneebedeckte Gegend von Quebec. Sara ruft ihn an. Tomas achtet einen kurzen Augenblick nicht auf die Straße, als aus dem Nichts ein Kinderschlitten einen kleinen Hügel heruntergeglitten und direkt vor dem Auto zu stehen kommt. Ein Junge, Christopher, sitzt unverletzt da. Was aber Tomas zunächst nicht mitbekommen hat: Er hat Christophers jüngeren Bruder überfahren. Ein tragischer Unfall, bei dem keinen eine Schuld trifft: Weder Tomas, der dem Schlitten nicht ausweichen konnte, noch Christopher noch die Mutter Kate (Charlotte Gainsbourg), die ihre Kinder eigentlich schon früher ins Haus rufen wollte, aber – das wird der Zuschauer später erfahren – einfach von einer Buchlektüre zu sehr gefesselt war.

Sowohl Tomas als auch Kate sind am Boden zerstört. Überwindet aber die Mutter ihre tiefe Trauer im Gebet kniend auf einer Kirchenbank, so fällt er in eine Depression. Tomas unternimmt sogar einen (halbherzigen) Selbstmordversuch. Als bald darauf auch noch die Beziehung zu seiner Freundin Sara endgültig zerbricht, flüchtet sich Tomas in die Arbeit. Obwohl er kein gutes Gewissen dabei hat, verarbeitet der junge Schriftsteller die Erlebnisse zu seinem dritten Roman, der nun ein voller Erfolg wird. Auch privat gibt es einen Neuanfang: Er verliebt sich in Ann (Marie-Josée Croze). Mit ihr und deren siebenjähriger Tochter Mina will er eine Familie gründen. Dennoch lässt ihn das ungute Gefühl nicht los, dass sein beruflicher Erfolg auf das Unglück einer anderen Familie zurückzuführen ist. Zwei Jahre später fährt Tomas zur selben Stelle. Dort trifft er auf Kate, die ihm keine Vorwürfe macht: „Christopher und ich haben für Sie gebetet“.

In weiteren Episoden verfolgt „Every Thing Will Be Fine“, der Spielfilm von Bjørn Olaf Johannessen (Drehbuch) und Wim Wenders (Regie), Tomas’ Entwicklung über einen Zeitraum von etwa zwölf Jahren, bis der inzwischen zu einem Jugendlichen herangewachsene Christopher wieder in Tomas’ Leben tritt und die Aussprache mit dem Schriftsteller sucht.

Wim Wenders, der bei seinem mit dem Deutschen und dem Europäischen Filmpreis ausgezeichneten Dokumentarfilm „Pina“ (siehe Filmarchiv) erstmals die 3D-Technik eingesetzt hatte, verwendet sie hier in Zusammenarbeit mit Kameramann Benoît Debie und Stereographin Joséphine Derobe erneut. Die Technik, die in der Regel zur zuweilen künstlichen Erzeugung von Tiefe verwendet wird, setzt Wenders ein, um die Schauspieler noch weiter hervorzuheben. Dazu führt Wim Wenders aus: „Die 3-D-Kameras nehmen alles wahr – ‚wahr nehmen’ im Sinne des Wortes – was man vor ihnen ‚herstellt’. Die 3-D-Kamera zwingt den Schauspieler, zu sein und nicht nur zu spielen, weil sie die geringste Übertreibung gnadenlos offenlegt.“ Obwohl der Winterlandschaft eine bedeutende Rolle in der Geschichte zufällt, spielt sich dadurch die Handlung vorwiegend auf dem Gesicht der Protagonisten ab. Die Musik von Alexandre Desplat, die anfangs etwas unwirklich, gar märchenhaft anmutet, steigert im weiteren Filmverlauf die Emotionen, die der Zuschauer auf dem Gesichter wahrnimmt. Die zur Verdeutlichung der Zeitsprünge eingesetzten Schwarzblenden wirken freilich meistens etwas befremdlich.

Schuld und Vergebung stehen im Mittelpunkt von „Every Thing Will Be Fine“. Allerdings nicht nur oder nicht vorwiegend die Schuld am Tod des kleinen Jungen, sondern – so Wim Wenders selbst – „die Schuld, die man in jeder kreativen Arbeit, vor allem aber als Schriftsteller oder Filmemacher auf sich lädt, indem man das reale Leben benutzt oder ‚ausbeutet’. Darf man das, was andere Menschen erlebt oder erlitten haben, für die eigene Arbeit nutzen, indem man es in ein Kunstwerk, eine Geschichte, einen Film oder ein Bild verwandelt? Ist es erlaubt, die Erfahrungen und das Leid anderer in die eigene Fiktion einfließen zu lassen?“ Eine anregende Fragestellung, die sehr selten in Filmen oder auch in Romanen thematisiert wird.

Dennoch bleibt die gleichsam erste Schuld-Ebene ebenso bedeutsam, die Kates Vergebung umso deutlicher hervortreten lässt. In der Begegnung zwischen Tomas und Kate liegt der Kern von „Every Thing Will Be Fine“. Regisseur Wenders nennt Kate sogar „die eigentliche Heldin des Films“. Und zur Beziehung zwischen Schriftsteller und Mutter des ums Leben gekommenen Kindes erklärt er: „Mit Kate hat Thomas für eine kurze Zeit eine ganz starke Verbindung, frei von jeglichen sexuellen Implikationen. Obwohl sie nur wenig Zeit miteinander verbringen, sind ihre Schicksale so eng miteinander verstrickt, dass sie sich doch sehr nahekommen. Kate hat eine große Skepsis gegenüber diesem Mann, der den Tod ihres Kindes ausgelöst hat, aber sie begreift auch, dass ihn keine Schuld trifft und dass er im Innern seines Herzens ein guter Mensch ist. So eröffnet sie ihm eine Chance, das Geschehene zu verarbeiten. Sie lässt ihn einen Moment lang in ihr Leben, weil sie spürt, dass es ihm helfen wird. Das ist eine sehr selbstlose Tat.“

In ruhigem Rhythmus und mit schön eingefangen Bildern der kanadischen Landschaft schildert Wenders eine universelle Geschichte über Verlust, Schuld und Aussöhnung.
Diese Seite ausdrucken | Seite an einen Freund mailen | Newsletter abonnieren