ELSER – ER HÄTTE DIE WELT VERÄNDERT | Elser
Filmische Qualität:   
Regie: Oliver Hirschbiegel
Darsteller: Christian Friedel, Katharina Schüttler, Burghart Klaußner, Johann von Bülow, Felix Eitner, David Zimmerschied, Rüdiger Klink
Land, Jahr: Deutschland 2014
Laufzeit: 110 Minuten
Genre: Historische Filme
Publikum: ab 12 Jahren
Einschränkungen: G
im Kino: 4/2015
Auf DVD: 10/2015


José García
Foto: Lucky Bird Pictures, Bernd Schuller

Es fehlten ganze 13 Minuten. Als am Abend des 8. November 1939 im Münchner Bürgerbräukeller unmittelbar hinter dem Rednerpult des „Führers“ eine Bombe explodiert, die acht Menschen in den Tod reißt, ist Adolf Hitler nicht unter ihnen. Der Diktator hat zusammen mit seiner Entourage 13 Minuten zuvor den Versammlungsort verlassen, an dem die Nazi-Oberen alljährlich des gescheiterten Ludendorff-Hitler-Putschs von 1923 gedenken. Der Spielfilm „Elser“ von Oliver Hirschbiegel (Regie) sowie Fred und Léonie-Claire Breinersdorfer (Drehbuch) zeigt zwar zu Beginn ganz kurz, wie Georg Elser (Christian Friedel) die Bombe in eine Säule des Bürgerbräukellers hineinlegt. Die eigentliche Handlung beginnt jedoch mit Elsers Verhaftung bei seinem unbeholfenen Versuch, in die Schweiz zu gelangen. Nun beginnen Elsers „verschärfte“ Verhöre durch Gestapo-Chef Heinrich Müller (Johann v. Bülow) und den Chef der Kripo im Reichssicherheitshauptamt Arthur Nebe (Burghart Klaußner).

„Elser“ stellt nicht die Attentatsvorbereitungen in den Mittelpunkt. Der Film konzentriert sich vielmehr auf seine Persönlichkeit. Dazu sind Aussagen aus den Vernehmungsprotokollen – „Der Hitler ist nicht gut für Deutschland“ – genauso bedeutsam wie die ausgedehnten Rückblenden, die im Jahre 1932 einsetzen. Musik, Frauen und die schöne Bodensee-Landschaft füllen Elsers Leben aus, als in einem Telegramm seine Mutter ihn bittet, in sein Heimatdorf Königsbronn zurückzukehren. Dort erlebt er nach 1933, wie schnell sich die Stimmung zugunsten der neuen Machthaber verändert. Nicht nur die Kommunisten, sondern etwa auch Gottesdienstbesucher geraten ins Visier der Nazis. So beginnt der einfache Schreiner Georg Elser mit den Vorbereitungen auf ein Attentat, das die Geschichte ganz gewiss verändert hätte. Denn: „Es muss sein“.


Interview mit Fred Breinersdorfer, Mit-Drehbuchautor und Produzent, sowie dem Hauptdarsteller Christian Friedel


Georg Elser ist weniger bekannt als andere Gestalten des Widerstands. Wie kamen Sie auf ihn?

Fred Breinersdorfer: Der Anstoß kam von meinem Kollegen Boris Ausserer, der aus Frankreich stammt. Dort würde ein solcher Widerstandskämpfer mit großem Stolz angesehen. Mein Blick auf Georg Elser war bestimmt vom „Tyrannenmord“, einem Topos, der aus der Antike stammt und nichts von seinem prägenden moralischen Konflikt und seiner Größe eingebüßt hat.

Christian Friedel: Ich muss zu meiner Schande gestehen, dass ich von Elser nicht einmal im Geschichtsunterricht in der Schule gehört hatte. Man hatte gehört, dass im Bürgerbräukeller ein Attentat war, aber mit Georg Elser habe ich mich erst auseinandergesetzt, als ich das Drehbuch bekam.


Die Hauptquelle sind die Verhöre, die alles anders als objektiv sind. Wie sind Sie damit umgegangen? Haben Sie andere Quellen hinzugezogen?

Fred Breinersdorfer: Die Gestapo hat diese Verhörprotokolle nicht als möglichst objektive historische Dokumente erstellt, sondern einzig und allein um das Opfer ans Messer der Nazis zu liefern. Mich hat gerade deswegen fasziniert, dass Elser nie von eigensüchtigen Motiven sprach. Er muss in den Verhören eine sehr klare Haltung an den Tag gelegt haben, die nur wenig Manipulation zuließ. Nach dem Krieg wurde – allerdings halbherzig – versucht, den Fall juristisch aufzuarbeiten. Deswegen gibt es wenige Dokumente. Wir haben fürs Drehbuch die Forschungsarbeiten von Peter Steinbach und Johannes Tuchel über Elsers Leben hinzugezogen und selbst jahrelang recherchiert. Dabei haben wir uns neben den historischen Fakten auf das Leben im Dorf konzentriert, darauf, wie das Landleben vom Nazismus infiltriert wurde.


Georg Elser erhielt auch nach dem Krieg kaum Anerkennung ...

Fred Breinersdorfer: Er war immer „Attentäter“, nie Widerstandskämpfer. Königsbronn war als „Attentatshausen“ verfemt. Die Diskriminierung ging in der Bundesrepublik lange weiter. Die Attentäter des 20. Juli wurden verhältnismäßig früh, auch dank Fritz Bauers, rehabilitiert. Die Weiße Rose hatte in der Familie und im Freundeskreis Rückhalt. Als Einzelner und Linker hat es Elser bis heute viel schwerer, ihm fehlt die Lobby.


Fragt man sich bei der Beschäftigung mit Georg Elser, wie man selbst in dieser Situation gehandelt hätte?

Christian Friedel: Absolut. Ich weiß nicht, wie ich gehandelt hätte. Wir können mit unserem Wissen siebzig Jahre nach Kriegsende leicht sagen, wir wären alle Revoluzzer gewesen. Aber das glaube ich nicht. Ich glaube, den Mut und die Courage von Georg Elser hatten nur wenige. Ob auch ich den Mut und die Courage gehabt hätte, wage ich zu bezweifeln. Aber ich hätte bestimmt eine Wut im Bauch gehabt. Ich bin schon sehr froh darüber, in einem Land zu leben, in dem ich so frei sein kann wie ich will.

Fred Breinersdorfer: Ich habe mir diese Frage oft und intensiv gestellt. Man darf nicht vergessen, dass die Infiltration durch den Nazismus sehr geschickt und schleichend erfolgte. Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges sind in Deutschland tiefe kollektive Traumata entstanden. Dann kommt Hitler, der das geschickt ausnutzt und vom „Herrenvolk“ und besseren Zeiten schwafelt und die Juden für alles verantwortlich macht – und nach und nach folgen die meisten seiner Propaganda. Wäre ich widerständig gewesen? Möglicherweise. Die zweite Frage wäre aber: was hätte ich getan? Hätte ich Flugblätter gedruckt? Hätte ich mich an einer Verschwörung beteiligt? Ich weiß es nicht.


Wie würden Sie Georg Elser charakterisieren?

Christian Friedel: Ich sehe ihn als einen Menschen mit einer hohen intelligenten Emotionalität, der sehr freiheitsliebend war, der die Frauen, die Musik und das Leben liebte. Er stand seinem Elternhaus sehr zwiespältig gegenüber: Zu seinem betrunkenen Vater konnte er keinen Respekt aufbauen. Seine Mutter ging in ihrer Religion auf. Dies hat in ihm eine gewisse Wut ausgelöst, die dann kombiniert wurde mit den Beobachtungen, die er machte. Er ist zu einem stringenten, fokussierten Menschen geworden, der die kompromisslose Tat organisiert und durchführt. Wenn wir den Film sehen, sollten wir uns eine Scheibe abschneiden und sagen: „Wir haben eine Stimme, die wir einsetzen sollten in unserem demokratischen System“. Georg Elser ist eine inspirierende Persönlichkeit.


Georg Elser sucht Kraft im Gebet, im Vaterunser. Er verlangt auch nach einem Geistlichen. Wie ist dies damit in Einklang zu bringen, dass er ein skeptischer Protestant gewesen sei?

Fred Breinersdorfer: Sein Skeptizismus muss man im Zusammenhang mit seiner kommunistischen Einstellung sehen. Die Kommunisten haben wie die Nazis die Kirchen diskriminiert. Sein grundsätzlicher Skeptizismus richtet sich aber meiner Meinung nach nicht gegen die Existenz Gottes, sondern eher gegen die Institution Kirche – was allerdings im Film nicht ausgeführt wird. Wohl aber, dass er als gläubiger Christ die Kraft im Gebet gefunden hat, die Torturen der Folter durchzustehen.

Christian Friedel: Ich bin selber überhaupt nicht religiös geprägt. Deswegen war mir diese Seite etwas fremd, aber ich kann sie verstehen. Er war zwar in einem Zwiespalt mit Gott, aber er hat nie den Glauben aufgegeben. In diesem Vaterunser findet er Halt, um aus der Deckung zu gehen und andere zu schützen. Ich finde es toll an der Religion, dass sie uns Halt gibt.


Was hätte passieren können, wäre das Attentat geglückt?

Fred Breinersdorfer: Im Bürgerbräukeller wäre mit Hitler die gesamte Führungselite mit Ausnahme von Göring eliminiert worden. Ob Göring die Judenverfolgung im Ausmaß des Holocausts befohlen hätte, ist nicht sicher. Ich kann mir vorstellen, dass er einen Waffenstillstand mit England und Frankreich und die Rückgabe der im ersten Weltkrieg verlorenen Ostgebiete angestrebt hätte, um das System nach dem Verlust der gesamten Führung zu stabilisieren. Vielleicht würden wir heute in einem fürchterlichen Nazi-Apartheitsstaat leben.

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