ABHANDENE WELT, DIE | Die abhandene Welt
Filmische Qualität:   
Regie: Margarethe von Trotta
Darsteller: Katja Riemann, Barbara Sukowa, Matthias Habich, Gunnar Möller, Robert Seeliger, Tom Beck, August Zirner, Rüdiger Vogler, Karin Dor
Land, Jahr: Deutschland 2014
Laufzeit: 101 Minuten
Genre: Dramen
Publikum: ab 16 Jahren
Einschränkungen: --
im Kino: 5/2015
Auf DVD: 11/2015


José García
Foto: Concorde

Ein älterer Autofahrer auf einer Landstraße. Auf dem Beifahrersitz liegt ein Blumenstrauß. Dieselbe Strecke wird im Laufe des aktuellen Spielfilms von Margarethe von Trotta „Die abhandene Welt“ zwar häufig zu sehen sein. Die Identität des Mannes bleibt jedoch lange im Dunkeln. Ein noch größeres Rätsel bietet der Film jedoch mit einer zufälligen Entdeckung: Paul (Matthias Habich) findet im Internet das Foto der in New York lebenden Opernsängerin Caterina Fabiani (Barbara Sukowa), die seiner vor einem Jahr verstorbenen Frau Evelyn zum Verwechseln ähnlich sieht. Von Alpträumen geplagt, bittet Paul seine Tochter Sophie (Katja Riemann), einfach über den Atlantik zu fliegen und die Fabiani darauf anzusprechen. Sophie lässt sich zwar bitten, aber viel hält sie auch nicht zurück: Als Nachtclubsängerin hat sie gerade ihren Job verloren. Sonst hält sich die Mittvierzigerin mit dem Arrangieren von sogenannten „freien Trauungs-Zeremonien“ über Wasser. Die Reise kommt ihr offenbar darüber hinaus recht, um mit ihrem Freund Florian (Tom Beck) endlich Schluss zu machen.

In New York sucht Sophie nach einer Aufführung in der Metropolitan Opera Caterina Fabiani in ihrer Garderobe auf, aber die Sängerin reagiert schroff abweisend. Allerdings findet Sophie einen Verbündeten in Catarinas Agent Philip (Robert Seeliger), der sich auf den ersten Blick in Sophie verliebt hat und sich bereit erklärt, zwischen den beiden Frauen zu vermitteln. Obwohl es Philip gelingt, ein Treffen zwischen Catarina und Sophie zu arrangieren, hat Catarina genug Probleme als alleinerziehende Mutter mit ihren zwei teils pubertierenden Söhnen sowie mit ihrem häufig dem Alkohol zusprechenden Ex-Mann George (August Zirner). Erst als Sophie hinter Caterinas Rücken deren demente Mutter Rosa (Karin Dor) im Pflegeheim besucht, wird für beide die Ahnung zur Gewissheit, dass es irgendeinen dunklen Punkt in der Vergangenheit von Rosa geben muss, den sie ihrer vermeintlichen Tochter bisher verschwiegen hat. So vertraut Catarina der deutschen Fremden an, sie habe schon einmal zu Rosa gesagt: „Ich habe das Gefühl, als seist Du nicht meine Mutter“. Wenn aber Evelyn nicht nur Sophies, sondern auch Caterinas Mutter sein sollte, wer ist nun deren Vater?

„Die abhandene Welt“ basiert auf Erlebnissen der Drehbuchautorin und Regisseurin Margarethe von Trotta. Nach dem Tod ihrer Mutter habe sie – so von Trotta – von einer unbekannten Frau aus Moskau einen Brief erhalten. Es habe sich dann herausstellt, dass die Briefschreiberin ihre fünfzehn Jahre ältere Schwester sei, die ihre Mutter ohne Wissen ihrer Familie zur Adoption freigab. Von Trotta: „Der Name meiner Mutter tauchte in ihren persönlichen Papieren auf, weil ihre Adoptiveltern während der Nazizeit beweisen mussten, kein jüdisches Kind adoptiert zu haben. Kurz darauf trafen wir uns. Sie sah meiner Mutter viel ähnlicher als ich, es war, als sei sie auferstanden.“

Die Schwestern-Thematik verarbeitete Margarethe von Trotta bereits in einigen Filmen, etwa auch in „Die bleierne Zeit“ (1981), in dem Barbara Sukowa erstmals für sie vor der Kamera stand. Übrigens: Auch Rüdiger Vogler – der in „Die abhandene Welt“ eine kleine Nebenrolle spielt – gehörte zu dem Schauspielerensemble des Filmes, der damals auf dem Filmfestival von Venedig mit dem Goldenen Löwen und dem Fipresci-Preis ausgezeichnet wurde. „Die bleierne Zeit“ erzählte von den unterschiedlichen Wegen, die zwei in den „bleiernen“ fünfziger Jahren aufgewachsenen Schwestern im Kampf für gesellschaftliche Veränderungen während der 68er Bewegung gehen. Auch der Filmtitel „Die abhandene Welt“ erinnert auffällig an den Titel „Die bleierne Zeit“. Die „Deutsche Film- und Medienbewertung Wiesbaden“ urteilt bei der Verleihung des Prädikats „besonders wertvoll“: „Diese Nähe der Geschichte und der Figuren zur Regisseurin und den Hauptdarstellerinnen ist wohl der Grund dafür, warum in ,Die abhandene Welt‘ so entspannt und souverän erzählt wird. Dabei gibt es kaum einen Plot, der melodramatischer ist als jener von den Schwestern, die beide füreinander verloren waren und erst nach dem Tod ihrer Mutter zueinanderfinden. Doch von Trotta ist nicht an opernhaften dramaturgischen Effekten interessiert. Sie konzentriert sich ganz auf die Figuren, zeichnet sie sehr subtil und komplex. Katja Riemann und Barbara Sukowa sind diese Rollen auf den Leib geschrieben und so scheinen sie in jedem Moment ihres Spiels ganz bei sich zu sein.“

Dennoch wirkt „Die abhandene Welt“ insgesamt zu uneinheitlich: Bei der Verschachtelung der Handlung kommt es zu Begegnungen, etwa mit dem von Rüdiger Vogler gespielten Orlov, die nicht nur die Hauptfigur in die Irre führen, sondern auch die Dramaturgie hemmen. Auch der sicherlich nicht immer beabsichtigte komödiantische Ton, der sich zunehmend in den Film einschleicht, irritiert den Zuschauer. Margarethe von Trotta wollte Barbara Sukowa und Katja Riemann, die ja beide professionelle Sängerinnen sind, eine „Art Hommage“ liefern, indem die beiden in „Die abhandene Welt“ ihr Gesangstalent unter Beweis stellen. Die Gesangseinlagen geraten jedoch nicht nur exzessiv. Sie nehmen sich auch meist von der Handlung losgekoppelt aus.

Die inszenatorischen und dramaturgischen Schwächen bei einer so erfahrenen Regisseurin, die zuletzt mit ihrem ausgezeichneten „Hannah Arendt“ (2012) dank der intensiven Darstellung der Hauptfigur durch Barbara Sukowa und der stringenten Dramaturgie durchweg überzeugte, schmälern den Wert einer eigentlich durchaus emotionalen Geschichte.
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