WIDERSTÄNDIGEN, DIE | Die Widerständigen
Filmische Qualität:   
Regie: Katrin Seybold, Ula Stöckl
Darsteller: (Mitwirkende): Marie-Luise Schultze-Jahn, Lieselotte Dreyfeldt-Hein, Karin Friedrich, Ilse Ledien, Traute Lafrenz-Page. Valentin Freise, Jürgenn Wittgenstein, Birgit Weiß-Huber, Gerda Freise
Land, Jahr: Deutschland 2014
Laufzeit: 87 Minuten
Genre: Dokumentation
Publikum: ab 12 Jahren
Einschränkungen: --
im Kino: 5/2015


José García
Foto: Basis Film

Die Widerstandstätigkeit der „Weißen Rose“ ist hinlänglich bekannt. Unzählige Bücher und zwei Spielfilme – Michael Verhoevens „Die Weiße Rose“ (1982) war der erfolgreichste deutsche Film des Jahres, „Sophie Scholl – Die letzten Tage“ (2004) von Fred Breinersdorfer und Marc Rothemund wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet und für den Oscar nominiert – haben sie einem breiten Publikum bekannt gemacht. Die Bilder der herunterflatternden Flugblätter in der Universität München haben sich dadurch vielen Menschen ins Gedächtnis eingeprägt. Es war die Verteilung dieses sechsten Flugblatts der Weißen Rose, das Sophie und Hans Scholl am 18. Februar 1943 auslegten, die ihnen zum Verhängnis wurde: Sie wurden entdeckt und festgenommen. Bereits am 22. Februar verhängte der von Hitler persönlich nach München geschickte „Volksgerichtshof“-Präsident Roland Freisler über sie und Christoph Probst die Todesstrafe. Einige Stunden später, gegen 17.00 Uhr, wurde sie mit dem Fallbeil vollstreckt.

Dies und die früh einsetzende publizistische Tätigkeit der ältesten Schwester von Hans und Sophie, Inge Scholl, die das Lebenswerk ihrer Geschwister in den Mittelpunkt stellte, führte dazu, dass die Begriffe „Geschwister Scholl“ und „Weiße Rose“ nahezu gleichbedeutend wurden. Dadurch geht allerdings in einer breiten Öffentlichkeit einerseits die Erkenntnis etwas verloren, dass die Flugblätter der Weißen Rose auf Hans Scholl und Alexander Schmorell zurückgehen: Die vier ersten, im Juni und Juli 1942 verschickten Flugblätter wurden von ihnen, das fünfte im Januar 1943 unter Mitarbeit von Professor Huber verfasst. Das sechste Flugblatt schrieb Kurt Huber in einer Nacht unter dem Eindruck der Niederlage von Stalingrad Anfang Februar 1943. Andererseits drängt die Engführung der Weißen Rose auf die „Geschwister Scholl“ weitere Beteiligte wie der bereits erwähnten Christoph Probst oder auch Willi Graf in den Hintergrund. Kurt Huber, Alexander Schmorell und Willi Graf wurden im zweiten „Weiße-Rose-Prozess“ am 19. April 1943 zum Tode verurteilt. Bei diesem zweiten Prozess waren sie allerdings nicht die einzigen Angeklagten: Auf der Anklagebank nahmen vierzehn Personen Platz. Zehn von ihnen wurden zu Freiheitsstrafen verurteilt, einer – Falk Harnack – aus Mangel an Beweisen freigesprochen.

Dieser zweite „Weiße-Rose-Prozess“ führt vor Augen, dass der Kreis der Unterstützer und Gesinnungsgenossen dieser kleinen Studentenbewegung über die sechs Hauptakteure hinausging. Im sechsten Flugblatt hieß es: „Der deutsche Name bleibt für immer geschändet, wenn nicht die deutsche Jugend endlich aufsteht, rächt und sühnt zugleich, ihre Peiniger zerschmettert und ein neues geistiges Europa aufrichtet.“ Die „deutsche Jugend“ stand zwar nach den Aktionen der Weißen Rose nicht auf. Ihre Arbeit wurde dennoch von anderen Studenten weitergeführt, die insbesondere dieses letzte Flugblatt vervielfältigten und weiter verbreiteten. Über diese oppositionellen Gruppierungen wurde bislang wenig geforscht. Kein Film hatte sich mit ihnen auseinandergesetzt. Nun haben Katrin Seybold und Ula Stöckl aus den zwischen 2000 und 2004 geführten Interviews mit den letzten Zeitzeugen den Dokumentarfilm „Die Widerständigen – also machen wir das weiter ...“ realisiert, dessen Fertigstellung Katrin Seybold jedoch nicht mehr erleben konnte: Sie starb am 27. Juni 2012.

Im Mittelpunkt des Filmes steht Hans Leipelt, der zusammen mit Marie-Luise Schultze-Jahn eine Sammlung für die mittellos gewordene Witwe von Kurt Huber durchführte. Leipelt wurde denunziert, festgenommen und zum Tode verurteilt. Das Todesurteil wurde am 29. Januar 1945 im selben Gefängnis München-Stadelheim vollstreckt, in dem am 22. Februar 1943 Hans und Sophie Scholl zusammen mit Christoph Probst enthauptet wurden. Marie-Luise Jahn wurde zu zwölf Jahren Zuchthaus verurteilt und kam zum Kriegsende frei. Die im Juni 2010 verstorbene Schultze-Jahn erzählt in „Die Widerständigen“ vom Eindruck der Verhaftung und Hinrichtung der Geschwister Scholl. „Also machen wir das weiter“. Sie brachte zusammen mit Hans Leipelt das sechste Flugblatt nach Hamburg.

Bereits im November 1942 hatte Traute Lafrenz-Page, die Freundin von Hans Scholl, ein Weiße-Rose-Flugblatt in die Hansestadt gebracht. Auch sie wurde im Prozess vom 19. April 1943 angeklagt, nach erneuter Verhaftung im März 1944 zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Zusammen mit ihr interviewen die Filmemacherinnen auch damalige Studenten am Chemischen Staatslaboratorium des Nobelpreisträgers Heinrich Wieland in München, der jüdischen Studenten einen Zufluchtsort bot. Dazu gehören etwa Lieselotte Dreyfeldt-Hein sowie Gerda und Valentin Freise. Zu Wort kommen ebenfalls Ilse Ledien, Karin Friedrich, Jürgen Wittgenstein und auch Birgit Weiß-Huber, die Tochter von Kurt Huber.

„Die Widerständigen“ lässt die letzten unmittelbaren Zeugen der „Weiße Rose“ selbst zu Wort kommen. Es waren Menschen, die in jungen Jahren gegen einen Unrechtsstaat aufbegehrten, das Unrecht nicht hinnahmen, indem sie die Botschaft der Weißen Rose weitertrugen: „Also machen wir das weiter.“ Einige von ihnen – etwa Hans und Katharina Leipelt oder auch Kurt Ledien – überlebten den NS-Apparat nicht. Durch den Dokumentarfilm von Katrin Seybold und Ula Stöckl wird das Bild des Widerstandes gegen die NS-Herrschaft um einige weniger bekannte Menschen erweitert. Sie dem Vergessen zu entreißen, ist das Verdienst von Ula Stöckl und ein schönes Vermächtnis von Katrin Seybold.
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