VERLIEBT, VERLOBT, VERLOREN | Verliebt, verlobt, verloren
Filmische Qualität:   
Regie: Sung-Hyung Cho
Darsteller: Mitwirkende: Renate Hong, Ruth Runge, Marga Sim, Ina Grauer, Liana Kang-Schmitz, Thomas Hillmann, Uwe Hong
Land, Jahr: Deutschland 2015
Laufzeit: 95 Minuten
Genre: Dokumentation
Publikum: ab 12 Jahren
Einschränkungen: --
im Kino: 6/2015


José García
Foto: farbfilm

Im Jahre 1952 tobte noch der Krieg (1950–1953) zwischen den beiden Teilen Koreas, die nach dem Zweiten Weltkrieg aus der sowjetischen (Nordkorea) und der US-amerikanischen (Südkorea) Besatzungszone hervorgegangen waren. Bereits zu diesem Zeitpunkt schickte das nordkoreanische Regime auserwählte Studenten zum Studium in sozialistische „Bruderländer“. Sie sollten nach ihrer Ausbildung das Land nach dem verheerenden Krieg, der die Teilung des Landes verfestigte, wiederaufbauen. Der Dokumentarfilm „Verliebt, verlobt, verloren“ der in Busan, Südkorea geborenen, aber schon lange in Deutschland arbeitenden Regisseurin Sung-Hyung Cho erklärt zu Beginn anhand einer Landkarte und mit einer Off-Stimme die Lage in Korea, als die ersten nordkoreanischen Studenten in der DDR eintrafen, was ebenfalls mittels Zeichentrickfilm verdeutlicht wird.

Die höflichen jungen Männer lernten vorwiegend auf Tanzveranstaltungen oder im Hörsaal junge deutsche Frauen kennen. In „Verliebt, verlobt, verloren“ kommen einige von ihnen zu Wort. So erzählt Renate Hong aus Jena davon, wie sie sich während ihres Studiums 1955 in einen dieser jungen Männer verliebte. Sie heirateten und bekamen ein Kind. Dass sie heiraten durften, war eher eine Ausnahme. In Jena war dies möglich, in Dresden aber nicht – so berichtet Ruth Runge von ihren letztlich erfolglosen Bemühungen, ihre Beziehung zu legitimieren.

Die Liebesbeziehungen zwischen nordkoreanischen Studenten und DDR-Staatsbürgerinnen war ohnehin ein Dorn im Auge der Behörden. Bereits 1955 bereitete der Lebenswandel der Studenten der nordkoreanischen Botschaft Sorgen: Sie leisteten sich „dekadente“ Konsumprodukte und vergnügten sich. Den Beziehungen wurde ohnehin ein jähes Ende bereitet, als die „große Politik“ eine neue Wende bekam: Als sich die DDR demonstrativ auf die Seite der Sowjetunion stellte – Regisseurin Sung-Hyung Cho zeigt dazu Bilder eines Treffens Walter Ulbrichts mit Chruschtschow – und Nordkorea die Nähe zu China suchte, zog Pjöngjang 1962 unerwartet alle Studenten aus der DDR ab. Weder das Studium noch die Tatsache, dass einige verheiratet waren und sogar Kinder hatten, spielte dabei eine Rolle. Alle mussten das Land verlassen. Die Trennung von Renate Hong und ihrem Sohn Uwe von Ehemann und Vater verdeutlicht „Verliebt, verlobt, verloren“ ebenfalls mit einer Animationsszene.

Sung-Hyung Cho nimmt Kontakt zu einigen der Frauen, die mit den damals nordkoreanischen Studenten verlobt oder verheiratet waren – neben Renate Hong und Ruth Runge insbesondere auch Marga Sim – sowie zu den Kindern auf. Hier hört sie auch immer wieder Ähnliches: Dass ihnen ihr Aussehen und auch ihr Name Schwierigkeiten bereiteten. So schildert Ina Grauer, geborene Sim, wie sie sich unangenehm angesprochen fühlte, wenn die Kinder beim Singen des Liedes „Auf einem Baum ein Kuckuck saß“ in der Schule „Simsalabim“ riefen. Und dann: „Ich habe nichts mehr von meinem Vater gehört.“ Denn sogar der Briefkontakt wurde unterbunden. Sie fühlten sich als „Hinterlassenschaft“. Ihre Mutter Marga Sim war fest entschlossen, nach Korea zu reisen. Sie durfte allerdings nicht: „Ich sollte hier bleiben und so leben, als sei er gestorben.“ Sie berichtet davon, wie sie alles „in die tiefste Schublade“ steckte. Aber: „Das rächt sich jetzt. Immer wenn ich die Schublade öffne, verliere ich die Fassung“.

Viele Jahre später kommt doch noch eine Reise zustande: Im August/September 2010 reisen drei Kinder der einstigen Studenten nach Nordkorea. Regisseurin Sung-Hyung Cho begleitet sie. Eine Reise auf Spurensuche, die allerdings manchmal zu spät kommt. Dennoch: „Es ist leichter hier zu sein und zu wissen, dass er tot ist. Ich hätte ihn nicht treffen können“, sagt einer der Nachfahren der einstigen nordkoreanischen Studenten. Wenigstens haben die drei deutschen Reisenden Gelegenheit, einen kleinen Einblick in das Leben ihrer Väter in Nordkorea zu gewinnen. Und wenn die Wiederbegegnung doch noch zustande kommt, folgt auch die Ernüchterung: Bei einer anderen Reise trifft Renate Hong nach Jahrzehnten ihren Mann – und die beiden erkennen sich zunächst nicht wieder.

Aus den Gesprächen mit Betroffenen und aus der Suche der Kinder nach ihren Vätern stellt die Regisseurin den Film „Verliebt, verlobt, verloren“ zusammen. Dazu kommen die Bilder, die von den nach Nordkorea Reisenden selbst aufgenommen werden, denn Ina Grauer führt ein Videotagebuch und Thomas Hillmann hat eine Kamera mitgebracht, mit der er in Pjöngjang filmt. In den Dokumentarfilm fließt ebenso die Arbeit von Liana Kang-Schmitz ein, die über dieses Kapitel deutsch-nordkoreanischer Geschichte ihre Doktorarbeit schrieb.

„Verliebt, verlobt, verloren“ verdeutlicht, dass über einige Gemeinsamkeiten hinaus die Geschichte von Renate Hong, Ruth Runge und Marga Sim, und natürlich auch die Geschichte ihrer Kinder sehr unterschiedlich verlaufen ist. Darüber hinaus spricht Sung-Hyung Chos Film immer nur von den männlichen nordkoreanischen Studenten. In den Bildern sind, wenn auch wenige, so doch auch Studentinnen zu sehen. Gab es keine Verbindungen von nordkoreanischen Studentinnen zu DDR-Bürgern? „Verliebt, verlobt, verloren“ thematisiert dies gar nicht. Ebenso wenig kommt die nordkoreanische Sicht zu Wort, was sicherlich der Abschottung Nordkoreas verschuldet ist. Dennoch macht „Verliebt, verlobt, verloren“ auf ein kaum bekanntes Kapitel deutscher Geschichte sowie auf den Einfluss der „großen“ Geschichte auf persönliche Schicksale aufmerksam.
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