KAFKAS DER BAU | Kafkas Der Bau
Filmische Qualität:   
Regie: Jochen Alexander Freydank
Darsteller: Axel Prahl, Josef Hader, Kristina Klebe, Robert Stadlober, Roeland Wiesnekker, Devid Striesow
Land, Jahr: Deutschland 2014
Laufzeit: 110 Minuten
Genre: Literatur-Verfilmungen
Publikum: ab 16 Jahren
Einschränkungen: --
im Kino: 7/2015
Auf DVD: 12/2015


José García
Foto: Neue Visionen

Die beim Tode Franz Kafkas (1883–1924) unvollendet gebliebene Erzählung „Der Bau“ handelt von einem nicht näher bestimmten, wohl dachsähnlichen Tier, das alles daran tut, einen Erdbau zum Schutz gegen Feinde zu errichten. Anfangs ist das Tier sehr zufrieden in seinem Bau. Es schlummert häufig friedlich darin und frisst von seinen Vorräten. Besonders die Stille empfindet es als wohltuend. Bald aber vernimmt es ein Geräusch. Nach und nach wird das Tier davon besessen, die Ursache des Geräusches zu finden. Damit geht ein Sicherheitsbedürfnis einher, das alsbald in Paranoia umschlägt.

Jochen Alexander Freydank adaptiert diese Erzählung als Realfilm für die große Leinwand. Dies bedeutet zunächst einmal, dass der Ich-Erzähler kein Tier, sondern ein Mensch ist, der von Axel Prahl dargestellte Franz. Franz hat es zu gewissem Wohlstand gebracht. Er richtet sich zusammen mit seiner Familie in einem wunderschönen Gebäude (Bau) ein. Aber bald erkennt er, dass er trotz aller Sicherheitsmaßnahmen niemals gegen die von außen kommenden Gefahren gefeit ist. Bald nimmt ihn diese Angst vor Gefährdungen vollständig in Besitz.

Mit Originalzitaten aus Kafkas Schrift setzt Drehbuchautor und Regisseur Freydank die ebenfalls mit Elementen aus Kafkas „Die Verwandlung“ durchsetzte Erzählung in atmosphärische, von einem einnehmenden Soundtrack unterstützte Bilder um. Die strahlend rote Farbe des Gebäudes kontrastiert mit der blau-grauen kalten Anmutung im Inneren sowie mit den hellen-frohen Farbtönen der Rückblenden. Letztlich handelt Freydanks „Kafkas Der Bau“ vom übermäßigen Drang, das Erreichte, den Besitz bewahren zu wollen – und dabei womöglich das Leben zu verpassen.


Interview mi Drehbuchautor und Regisseur Jochen Alexander Freydank sowie Hauptdarsteller Axel Prahl

Der Bau“ ist nicht gerade die bekannteste Erzählung von Franz Kafka. Wie kamen Sie darauf, sie zu adaptieren?

Jochen Alexander Freydank: Ich bin beim Lesen einfach hängengeblieben. Sie hat mich mit am meisten fasziniert. Darin ist auf kafkaeske Art die Urangst enthalten, bewahren zu wollen. Dazu kam, dass sie noch nie verfilmt wurde. An der Verfilmung von „Der Prozess“ oder „Das Schloss“ sind schon Große gescheitert.


Ist dieses Bewahrenwollen bei Franz eine Psychose oder sogar eine Art Paranoia, den Besitz gegen vermeintliche Feinde verteidigen zu wollen?

Axel Prahl: „Kafkas Der Bau“ ist ein topaktueller Film. Mit den Flüchtlingsströmen, mit der NSA-Affäre, mit dem russischen Cyberangriff bedient er so viele virulente Themen... abgesehen von den philosophischen Fragen, etwa wie viel Sicherheit man eigentlich braucht, und ab wann das Sicherheitsbestreben krankhaft wird. Seine Panik bei diesen Geräuschen, die ganz herkömmlicher Natur sind, die er aber als Angriffe von außen deutet, ist schon eine klassische Psychose.

Jochen Alexander Freydank: Ich finde das Wort Paranoia nicht ganz zutreffend. Für mich beschreibt es der Begriff „Cocooning“ besser: autark sein, sich abschotten wollen. Damit sind wir relativ schnell bei der Sicherheit, und auch bei der Überwachung. Deshalb auch die Überwachungskameras im Film, die natürlich in der Originalerzählung nicht auftauchen. Als ich vor etwa zehn Jahren anfing, mich damit zu beschäftigen, gab es zwar nach dem 11. September den Sicherheitswahn, aber NSA war kein Thema. Der Film fragt: Wie wichtig ist Besitz? Ist leben nicht wichtiger als haben?


Axel Prahl kennt der Zuschauer eher in komödiantischen Rollen, selbst im Münsteraner Tatort. Warum dachten Sie an ihn, um die Rolle zu besetzen?

Jochen Alexander Freydank: Der Hauptdarsteller sollte eine positive Ausstrahlung haben. Denn der Zuschauer soll sich nicht nach fünf Minuten fragen, was für Abgründe sich da auftun. Es gibt auch augenzwinkernde, komödiantische Momente, etwa wenn er mit dem Ikea-Schrank kämpft. Aber die Abgründe sind spannender bei einem freundlichen Menschen als bei jemand, der von der ersten Sekunde an solche Abgründe spüren lässt.

Axel Prahl: Ich war anfänglich überrascht, als ich die Rolle angeboten bekam. Noch überraschter war ich, als ich das Drehbuch komplett durchgelesen hatte. Nach dem ersten Anruf habe ich aus meinem Bücherregal Kafkas Kurzgeschichten herausgezogen und „Der Bau“ gelesen. Ich dachte: Jetzt bin ich gespannt. Denn Kafka beschreibt ein Tier, vermutlich einen Dachs. Wie setzt man das um? Wir haben uns dann ein paar Mal getroffen, um über die Rolle und insbesondere über die Sprache zu reden. Jochen Alexander (Freydank) hatte den großen Wunsch, und es war auch mein Ansinnen, diese Sprache so normal wie möglich wirken zu lassen, nahezu wie Umgangssprache. Das ist bei diesen langen Sätzen, die sich manchmal über eine komplette DIN A4-Seite erstrecken, gar nicht so einfach.


Wie viel Originaltext verträgt ein Film? Wie viel kann einem Zuschauer zugemutet werden?

Jochen Alexander Freydank: Die große Kunst und Schwierigkeit bestand darin, diese Texte – die nicht altmodisch, aber doch ein bisschen kompliziert sind – in einen normalen Ton zu bringen. Wenn man Kafka liest, bauen sich Bilder auf, die nicht ganz mit dem Plot verbunden sind. Diese Ebene zu verschenken, fand ich schade. Warum sollte man sich einen hochkomplexen Autor wie Kafka entgehen lassen?


Wie kam es dazu, dass Franz am Anfang in die Kamera spricht?

Axel Prahl: Das war lustigerweise meine Idee. Ich fragte mich: Wie kann jemand am natürlichsten solche Sätze sprechen? So kam ich auf den Gedanken, er könnte ein Videotagebuch führen. Ich habe ein paar Bekannte, die mit einer Kamera das Tagesgeschehen aufnehmen, so wie man das früher ins Büchlein geschrieben hat.


Franz ist zu Beginn ein normaler Familienvater, aus dem dann ein Besitzloser wird. Haben Sie chronologisch gedreht, so dass sich diese Veränderungen leichter ergaben?

Axel Prahl: Wir hatten leider nicht das Glück, chronologisch arbeiten zu können, was dem schmalen Budget geschuldet ist. Hier muss ich aber ein großes Lob an Wolfgang Böge aussprechen, der für die Maske verantwortlich war. Mit den wenigen Mitteln, die ihm zur Verfügung standen, hat er Großartiges geleistet. Der Film sieht trotz des knappen Budgets wirklich groß aus. Dies ist Kameramann Egon Werdin auch zu verdanken. Ich finde, da ist etwas Sehenswertes zustandegekommen.


Optisch ist „Der Bau“ ein apokalyptischer Film. War das so von Anfang an geplant?

Jochen Alexander Freydank: Kafkas Verfilmungen sind aus irgendeinem Grund immer altmodisch, gerne auch Schwarzweiß. Wenn ich aber Kafka lese, ist Schwarzweiß das Letzte, was mir einfällt. Ich finde seine Sprache sehr modern. Deshalb wollte ich moderne Bilder. Der Endzeit-Look stand für mich von Anfang an fest. Die Veränderungen am Bau sind eine Parallelbewegung. Ich habe ja nicht nur „Der Bau“ verfilmt, sondern auch ein wenig „Die Verwandlung“: Aus einem normalen Menschen wird so etwas wie Tierähnliches, was für Axel (Prahl) eine große Herausforderung darstellte. Ich wollte von einem normalen Menschen erzählen, der eine Eigentumswohnung, ein Auto haben will – Besitzstandswahrung. Wenn er sich aber nur darum kümmert, etwas zu bewahren, kann es sein, dass er damit nicht glücklich wird. Ist er vielleicht am Ende nicht viel glücklicher? Endlich ist er befreit.

Axel Prahl: Wir hatten unglaubliches Glück, dass es anfing zu schneien. Das war eine echte Bereicherung für die Schlusssequenz: die Schneeflocke, die der gealterte und gescheiterte Franz auffängt, wieder zu spüren, die Umwelt wieder wahrnehmen zu können, ohne Angst, das ist ein kleiner Hoffnungsschimmer. Das ist für ihn eine Befreiung.
Diese Seite ausdrucken | Seite an einen Freund mailen | Newsletter abonnieren