AM GRÜNEN RAND DER WELT | From The Madding Crowd
Filmische Qualität:   
Regie: Thomas Vinterberg
Darsteller: Carey Mulligan, Matthias Schoenaerts, Michael Sheen, Tom Sturridge, Juno Temple, Jessica Barden, Jody Halse, Mark Wingett
Land, Jahr: Großbritannien 2015
Laufzeit: 119 Minuten
Genre: Literatur-Verfilmungen
Publikum: ab 12 Jahren
Einschränkungen: X -
im Kino: 7/2015
Auf DVD: 10/2015


José García
Foto: Twentieth Century Fox

200 Meilen von London entfernt leben die Menschen im Jahre 1870 „am grünen Rand der Welt“ – so der deutsche Titel des vierten Romans von Thomas Hardy „Far from the Madding Crowd“ (1874). Verfilmt hat ihn nach einem Drehbuch von David Nicholls der dänische Regisseur Thomas Vinterberg, der 1995 zusammen mit Lars von Trier das sogenannte „Dogma 95-Manifest“ verfasste. Vinterbergs letzter Film „Die Jagd“ (siehe Filmarchiv) wurde gleich mehrfach ausgezeichnet. Der „grüne Rand der Welt“ liegt in Südwestengland, in der fiktiven Grafschaft Wessex, in der Thomas Hardy selbst zu Hause war.

Hier lebt der junge Schäfer Gabriel Oak (Matthias Schoenaerts), der eine Schafsfarm betreibt. Er verliebt sich in die jüngere Bathsheba Everdene (Carey Mulligan), eine auf ihre Unabhängigkeit pochende Schönheit, die bei ihrer Tante wohnt. Ein wenig aus heiterem Himmel macht er ihr einen Heiratsantrag, aber die stolze Bathsheba weist ihn ab, weil sie ihr unabhängiges Leben weiterleben will. Bald darauf ändert sich ihre jeweilige Lage grundlegend: Ein wohl verrückt gewordener Hund jagt Oaks gesamte Schafherde über eine Klippe, während der Schäfer schläft. Gabriel ist ruiniert und muss sein Land zu einem Spottpreis verkaufen. Bei Bathsheba ist es genau umgekehrt: Sie erbt überraschend den Gutshof ihres Onkels und macht sich daran, ihn selbst zu bewirtschaften. Dass sie durchaus dazu in der Lage ist, was für viktorianische Verhältnisse eher eine Ausnahme darstellen dürfte, zeigt die junge Frau bereits bei der ersten Besprechung mit dem Personal.

Zu ihrem Personal stößt Gabriel Oak auf der Suche nach Arbeit, die ihm die Herrin nicht ohne einen gewissen Widerwillen verschafft. Nun, da sich das Glück gewendet hat, kann Gabriel auf Bathsheba nur hinaufschauen. Dafür wirft ihr Nachbar, der ältliche Junggeselle William Boldwood (Michael Sheen), ein Auge auf die junge Frau. Ermutigt durch einen Scherz mit einem Valentinstagkärtchen, den sie sich erlaubt, macht Boldwood ihr tatsächlich einen Antrag. Wenn beide Landgüter gemeinsam bewirtschaftet würden, wären sie in der Gegend unschlagbar. Aber auf eine Vernunftehe ist Bathsheba gar nicht aus. Die Frau, die so sehr auf ihrer Selbstständigkeit bestand, die den treuen Diener und den wohlhabenden Nachbarn abgewiesen hatte, wird schwach, als sie einen schneidigen Offizier kennenlernt. Frank Troy (Tom Sturridge) hat mit Bathsheba eigentlich leichtes Spiel. Bald darauf heiraten die beiden, obwohl Gabriel die Herrin vor dem leichtsinnigen Spieler gewarnt, und Boldwood dem Offizier sogar Geld angeboten hatte, damit er auf Bathsheba verzichtet. Bald entdeckt sie, dass ihr Mann nicht nur die Einkünfte des Gutshofs verspielt, sondern auch an seiner früheren Geliebten Fanny (Juno Temple) immer noch hängt.

Bereits die Anfangsszene etabliert einen der Hauptprotagonisten in der Filmadaption von Thomas Hardys „Am grünen Rand der Welt“ durch Thomas Vinterberg: die Landschaft. Ausgiebig folgt Charlotte Bruus Christensens Kamera Bathsheba Everdene auf ihrem Ritt durch den Wald und die weiten Weiden oder vorbei an den Klippen in der südenglischen Landschaft. Weil diese Landschaft Thomas Hardy besonders teuer war, unterstreicht die klassische Kameraführung, die sie und ihre Stimmung in tableaumäßigen Bildern einfängt, ohne sie jedoch zu Ansichtskarten verkommen zu lassen, die vorlagentreue Adaption. Unterstützt wird die Kameraarbeit von einer unaufdringlichen, ebenfalls klassisch anmutenden Filmmusik.

Die Landschaft ist allerdings kein Selbstzweck. Sie dient vielmehr als Folie für die Figurenentwicklung. Vinterberg zeichnet jeden der drei Männer psychologisch fein, wenn auch der Offizier Frank Troy als Spieler etwas klischeehafter beschrieben wird. Im Gegensatz zu Gabriel und Mr. Boldwood ist er dem Grund und Boden kaum verbunden, weswegen er sich als unzuverlässig erweist. Dennoch hat diese Figur in ihrer Liebe zu Fanny etwas Tragisches. Gestaltet Michael Sheen den wohlhabenden, aber bereits in die Jahre gekommenen William Boldwood mit einer Mischung aus Vornehmheit und Melancholie, so zeichnet Matthias Schoenaerts Gabriel Oak als zurückhaltenden Mann, der auf das eigene Glück zu verzichten bereit ist und dennoch seiner Angebeteten treu ergeben bleibt.

Zwischen den drei Männern muss sich also Bathsheba entscheiden. Ähnlich Scarlett O Hara in „Vom Winde verweht“ (Victor Fleming, 1939) scheint sie stets die falschen Entscheidungen zu treffen, wenn es um Männer geht. Vielleicht ist es ihr aber im Gegensatz zu Scarlett O Hara vergönnt, nicht zu spät die wahre Liebe zu finden. Carey Mullligan gelingt es, den Übergang von der unbekümmerten jugendlichen Bathsheba zu Beginn über die harte Geschäftsfrau bis zur gereiften Liebenden glaubwürdig darzustellen.

Das ausgesuchte Produktionsdesign und die Kostüme lassen zwar die Zeit um 1870 wieder erstehen. Dennoch verkommt „Am grünen Rand der Welt“ nicht zu einem bloßen Kostümfilm. In der Regie von Thomas Vinterberg erhält das Liebesdrama eine allgemein gültige Verbindlichkeit, das Drama um eine für ihre Zeit recht modern anmutende Frau, die im Spannungsverhältnis zwischen dem Unabhängig-Sein-Wollen und der Liebe schwankt, die sie zunächst als Einschränkung ihrer Freiheit ansieht. Ohne in die Gefühlsduselei mancher Verfilmung viktorianischer Werke zu verfallen, macht „Am grünen Rand der Welt“ die Romantik eines Klassikers für heutige Zuschauer anschaulich sehenswert.
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