SEÑOR KAPLAN - EIN RENTNER RÄUMT AUF | Mr. Kaplan
Filmische Qualität:   
Regie: Álvaro Brechner
Darsteller: Héctor Noguera, Néstor Guzzini, Rolf Becker, Leonor Svarcas, Nidia Telles, Gustavo Saffores, Nuria Fló
Land, Jahr: Uruguay, Deutschland 2014
Laufzeit: 98 Minuten
Genre: Komödien/Liebeskomödien
Publikum: ab 12 Jahren
Einschränkungen: --
im Kino: 7/2015
Auf DVD: 1/2016


José García
Foto: Neue Visionen

Im Jahre 1937 feierte Jacob Kaplan seine Bar Mitzwa noch in Polen. Offenkundig vor dem Überfall Nazideutschlands auf Polen gelang es ihm als Kind, nach Südamerika, nach Uruguay auszuwandern. Sechzig Jahre später fragt sich der inzwischen 76-jährige Señor Kaplan (Héctor Noguera), ob er in seinem Leben etwas Bedeutendes erreicht habe. Goethe, Churchill, Abraham ziehen vor seinem geistigen Auge vorbei: Sie alle haben jenseits der Siebzig Großes vollbracht. „Was habe ich Denkwürdiges getan? Ist die Welt durch mich besser geworden?“

Die Möglichkeit, doch noch auf seine alten Tage etwas „Heldenhaftes“ zu vollbringen, erblickt der nicht mehr ganz rüstige Rentner, als ihm seine Enkelin Lottie (Nuria Fló) von einem Deutschen erzählt, der unweit von Montevideo ein Strandcafé führt: „Wir nennen ihn den Nazi“. Als Jacob auch noch eine Fernsehreportage über die Flucht von NS-Verbrechern nach Südamerika sieht, steht für ihn fest: Er möchte wie Simon Wiesenthal Jagd auf „den Nazi“ machen, ihn entführen und den israelischen Behörden ausliefern. Dass das vom Deutschen (Rolf Becker) betriebene Lokal auch noch „Estrella“ heißt, stellt für Señor Kaplan einen deutlichen Hinweis dar, hieß doch das Schiff, das nach dem Krieg Offiziere der Deutschen Wehrmacht heimlich nach Argentinien brachte, „Stern“. Da Jacob wegen seiner Sehschwäche den Führerschein abgeben musste, verpflichtet er den abgebrannten ehemaligen Polizisten Wilson Contreras (Néstor Guzzini), den Jacobs Familie für ihn als Chauffeur engagiert hatte, mit ihm auf Nazijagd zu gehen. Der dem Alkohol nicht abgeneigte Wilson sieht sein berufliches wie privates Leben im Chaos versinken. So ist seine Frau mit den fünf gemeinsamen Kindern kürzlich zu deren Bruder gezogen. Das von Señor Kaplan angebotene Geld könnte für Wilson die Chance eröffnen, die Schulden bei seinem Schwager zu tilgen und seine Familie zu sich zurückzuholen. Gemeinsam legen sich die beiden Hobby-Entführer auf die Lauer, um den besten Augenblick abzupassen, mittels eines Nilpferd-Narkotikums den Deutschen außer Gefecht zu setzen. Als aber der Deutsche ihnen auf die Schliche kommt, wird daraus ein gefährliches, vielleicht sogar lebensgefährliches Spiel.

Der 1976 in Montevideo geborene Regisseur Álvaro Brechner verfasste selbst das Drehbuch zu seinem zweiten Langspielfilm „Señor Kaplan“. Trotz manch logischer Fehler komponiert Brechner sein Drehbuch sorgfältig. So spiegelt sich etwa das Motiv des Nichtschwimmers, das gleich zu Beginn etabliert wird, im entscheidenden, von „Spaghettiwestern“-Musik unterstützten „Showdown“ wider. Diese Sorgfalt überträgt sich ebenfalls auf die Bildkompositionen und insbesondere auf die Dialoge zwischen den beiden Hauptfiguren. Dabei wirken der bärbeißige Jacob und der meistens angetrunkene Wilson wie eine moderne Version des schwärmerischen Don Quijote und des bodenständigen Sancho Panza, ja selbst die äußere Erscheinung des hageren Alten und des untersetzten Ex-Polizisten erinnert daran. Bekämpft Jacob Kaplan wirklich Riesen, oder handelt es sich dabei – wie bei Don Quijote – in Wirklichkeit um Windmühlen? Vielleicht ist dies lediglich eine Frage der Perspektive. Auch davon gibt „Señor Kaplan“ gleich zu Beginn eine Kostprobe, als Jacob und seine Frau Rebecca (Nidia Telles) zu einem Cocktail in der jüdischen Gemeinde Montevideos eingeladen sind. Weil sie nicht auf der Gästeliste stehen, ist für sie kein Platz vorgesehen. Dem kann leicht abgeholfen werden: An einem Tisch rücken die anderen Gäste zusammen, so dass noch schnell zwei Stühle dazwischengeschoben werden können. Allerdings sind diese zwei Stühle niedriger als die anderen, so dass Jacob und Rebecca stets nach oben schauen müssen.

Álvaro Brechner gestaltet seinen Film zwar als Komödie, die trotz aller Skurrilität aber in keinem Augenblick in bloßen Slapstick umschlägt. Dabei verliert er jedoch nicht das ernsthafte Thema aus den Augen, das den Hintergrund bildet: „Jahrzehnte vergangen – und ich kann nicht aus Auschwitz fliehen.“ „Señor Kaplan“ nimmt den Holocaust ernst. Die Witze ergeben sich aus der perfekt getimten Situationskomik. Darüber hinaus bleibt bei aller Donquixoterie die Realität nicht einfach außen vor: Jacobs angeschlagene Gesundheit macht seiner Nazijagd zeitweise einen Strich durch die Rechnung. Vor allem gemahnen an das reale Leben die missliche Lage und die unglückliche Familiensituation Wilsons.

Álvaro Brechners Regie und besonnene Schauspielerführung verknüpft einen teilweise wehmütigen Humor mit einer zutiefst menschlichen Sicht auf seine fein gezeichneten Figuren mit ihren tragikomischen Charakterzügen. Darin liegt die Stärke von „Señor Kaplan“: Hinter den bunten, sehr warmen Farben des uruguayischen Sommers verstecken sich die Melancholie eines alten Menschen, der sein Leben bilanziert, und der Überlebensinstinkt eines nicht mehr jungen Mannes, der verzweifelt sein Leben ins Lot bringen möchte. Dass Álvaro Brechner dies alles auch noch mit scheinbar müheloser Leichtigkeit inszeniert, macht aus „Señor Kaplan“ eine besondere Tragikomödie.

„Señor Kaplan“ wurde der erfolgreichste uruguayische Film des Jahres, mit sieben nationalen Filmpreisen ausgezeichnet und als offizieller Beitrag Uruguays für den nichtenglischsprachigen Oscar 2015 eingereicht. Brechners Film feierte darüber hinaus Erfolge beim Internationalen Festival des Lateinamerikanischen Kinos Biarritz und beim Mar del Plata Filmfestival.
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