CHOR – STIMMEN DES HERZENS, DER | Boychoir
Filmische Qualität:   
Regie: François Girard
Darsteller: Dustin Hoffman, Kathy Bates, Eddie Izzard, Josh Lucas, Debra Winger, Kevin McHale, Garrett Wareing, Joe West
Land, Jahr: USA 2015
Laufzeit: 103 Minuten
Genre: Dramen
Publikum: ab 12 Jahren
Einschränkungen: --
im Kino: 8/2015
Auf DVD: 12/2015


José García
Foto: universum/Square One

Der zwölfjährige Stet (Garrett Wareing) lebt bei seiner alleinerziehenden Mutter in einer texanischen Stadt. Die Sorge um die labile, dem Alkohol nicht abgeneigte Mutter überfordert ihn. Im Musikunterricht fühlt sich Stet im Gegensatz dazu unterfordert, denn er besitzt ein überaus gutes Gehör und eine wunderschöne Stimme. Die Schulleiterin Ms. Steel (Debra Winger) möchte Stets Talent fördern. Sie schafft es, dass der berühmte „National Boychoir“ eine Einladung in ihre Schule annimmt. Der Chorleiter Carvelle (Dustin Hoffman) erklärt sich sogar bereit, Stet singen zu hören. Doch im entscheidenden Augenblick läuft Stet weg und verpasst diese Chance.

Ben Ripleys Drehbuch für den Spielfilm „Der Chor – Stimmen des Herzens“ („Boychoir“) führt dann eine einschneidende Wendung ein, um Stet doch noch eine zweite Chance zu ermöglichen: Als seine Mutter bei einem Verkehrsunfall ums Leben kommt, erhält das Sorgerecht sein Vater Gerard (Josh Lucas), den Stet noch nie gesehen hatte. Kein Wunder, denn für Gerard ist der Junge lediglich das ungewollte Ergebnis einer kurzen Affäre. Der offenbar steinreiche Vater, der eine schicke Wohnung mitten in Manhattan besitzt, hat allerdings kein Interesse, Stet mit zu seiner Frau und zwei Töchtern – die von der Existenz des Jungen gar nichts wissen – mitzunehmen. Die von Miss Steel vorgeschlagene ideale Lösung: Stet wird ins „National Boychoir“-Internat in Princeton, New Jersey aufgenommen. So kann Gerard seinen Sohn von seiner Familie fernhalten, und Stet erhält eine erstklassige Förderung. Obwohl sich das Leitungsteam des Internats gegen Stets Aufnahme mitten im Schuljahr ausspricht, stimmt Gerards großzügige Spende die Schulleiterin (Kathy Bates) um.

Regisseur François Girard zeigt allzu deutlich den Kontrast zwischen den tadellos gekämmten und angezogenen, verwöhnten Jungen im Internat und dem sich in der Schuluniform unwohl fühlenden Stet mit seinem zerzausten Haar. Noch gravierender: Haben seine Mitschüler jahrelangen Musikunterricht genossen, so kann Stet keine Noten lesen. Angetrieben von Chorleiter Carvelle, der ihm undiszipliniertes Verhalten und Vergeuden seines Talents vorwirft, entdeckt Stet seine Leidenschaft für die Musik. Seine Stimme wird auch immer besser. Vielleicht ist sie der Schlüssel, damit der Chor endlich den Wiener Sängerknaben in nichts nachsteht. Dass dem Wiener Chor bei einer Veranstaltung in New York der Vorzug gegeben wird, stellt eine Herausforderung sowie einen weiteren dramaturgischen Konflikt dar, mit dem Drehbuchautor Ben Ripley und Regisseur François Girard den Erzählbogen spannen. Als letzter Erzählstrang kommt der Vater-Sohn-Konflikt zwischen Stet und Gerard hinzu.

„Der Chor – Stimmen des Herzens“ erinnert über alle Unterschiede hinweg an „Die Kinder des Monsieur Mathieu“ (Christophe Barratier, 2004). Zwar steht hier der Chorleiter im Vordergrund, der mittels Musik schwererziehbaren Schülern ein Stück Selbstachtung und Glück verschafft. Dramaturgisch haben „Die Kinder des Monsieur Mathieu“ und „Der Chor – Stimmen des Herzens“ jedoch einiges gemeinsam, insbesondere die Vorsehbarkeit der Handlung und die zentrale Stellung der Musik, die ja die Hauptrolle in beiden Filmen spielt. Den Höhepunkt bildet in Girards Film neben etlichen schönen Stücken wie „Pie Jesu Domine“ die Aufführung von Händels „Messias“ mit einem eigens komponierten Solosatz, der eine Passage im hohen „D“ enthält. Die Entscheidung, wer den Solopart singen soll, führt zu einem Wettbewerb zwischen Stet und dem bisherigen Starsänger der Chorknaben Devon (Joe West). Die Konkurrenz zwischen den beiden Kindern wird vom Chorleiter bewusst geschürt und droht, außer Kontrolle zu geraten. Die kurze Zeitspanne, die den Kindern bis zum Stimmbruch bleibt, dient den Filmemachen als Metapher für die Vergänglichkeit der Kindheit, die sich allerdings ebenfalls gegen die Erwachsenen wendet. Auf Carvelles Einwurf „Deine Uhr tickt, Kleiner“ antwortet Stet: „Ihre Uhr tickt auch, alter Mann“, was den zunächst betont mürrisch auftretenden Chorleiter dazu bringt, über sein eigenes Leben nachzudenken. Dies bleibt wie vieles in „Der Chor – Stimmen des Herzens“ jedoch unterentwickelt. Vielleicht wollten Drehbuchautor Ben Ripley und Regisseur François Girard einfach zu viele Themen ansprechen. So hakt der Film die verschiedenen Etappen in Stets Werdegang von aufmüpfigen Straßenjungen bis zum Solosänger in einem renommierten Knabenchor recht oberflächlich nach.

Dies hat mit der Schauspielleistung der Darsteller freilich wenig zu tun: Dustin Hoffman, Kathy Bates und Debra Winger schaffen es, ihren klischeebeladenen Figuren Leben einzuflößen. Ihnen stehen die weniger bekannten Schauspieler Eddie Izzard als arroganter Mitarbeiter des Chorleiters und Anwärter auf dessen Posten sowie Kevin McHale als junger, engagierter Lehrer in nichts nach. Vor allem aber beeindruckt der zwölfjährige Garrett Wareing, der mit den erwachsenen Darstellern in jedem Augenblick mithalten kann.

Zur Vorhersehbarkeit der Handlung kommt jedoch noch ein Pathos hinzu, das sich insbesondere auch in der Filmmusik aus allzu kräftigen Klavier- und Geigentönen ausdrückt. Dies ist umso bedauerlicher in einem Film, der gerade von der Kraft der Musik erzählt und der eine ganze Reihe hervorragender Chor-Darbietungen enthält. Denn in den Gesangsszenen des Knabenchors, die durch eine überaus gelungene Interaktion zwischen dem echten „National Boychoir“ und den Jungschauspielern entstanden, liegt das Herzstück von „Der Chor – Stimmen des Herzens“.
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