KÖNIGIN DER WÜSTE | Queen of the Desert
Filmische Qualität:   
Regie: Werner Herzog
Darsteller: Nicole Kidman, James Franco, Robert Pattinson, Damian Lewis, Jenny Agutter, Holly Earl, Renee Faia
Land, Jahr: USA/Marokko 2015
Laufzeit: 128 Minuten
Genre: Historische Filme
Publikum: ab 16 Jahren
Einschränkungen: --
im Kino: 9/2015
Auf DVD: 1/2016


José García
Foto: Prokino

In der Wüste tobt ein Sandsturm. Kamele ziehen durch die Leinwand, untermalt von „ethnischer“ und Klaviermusik. Im Jahre 1914 sind die Engländer dabei, den „kranken Mann am Bosporus“, das im Zerfall sich befindliche Osmanische Reich aufzuteilen. Zusammen mit britischen Offizieren stehen sowohl Winston Churchill als auch Thomas Edward Lawrence, besser bekannt als „Lawrence von Arabien“ (Robert Pattinson), am Tisch. Den Franzosen sollen die Kurden überlassen werden. Auf Churchills Frage, wer die verfeindeten Wüstenstämme am besten kenne, heißt es: „diese Frau“. Gemeint ist Gertrude Bell (Nicole Kidman).

Die 1868 geborene Gertrude Bell ist eine historische Gestalt. Sie entstammte einer wohlhabenden und angesehenen Familie britischer Industrieller. Entgegen den Vorstellungen ihrer Zeit, in der die Frau in der Öffentlichkeit kaum eine Rolle spielte und deren Ausbildung recht selten einen akademischen Beruf einschloss, studierte Gertrude Bell in Oxford und unternahm zahlreiche Forschungsreisen in die Wüstenregionen des heutigen Syrien und des Irak. Aufgrund ihrer Kenntnisse des Nahen Ostens spielte sie ebenso wie Thomas Edward Lawrence während des Ersten Weltkriegs und danach eine bedeutende Rolle in der politischen Neuordnung dieser Region. Als zunächst inoffizielle Mitarbeiterin des britischen Geheimdienstes, später als politischer Verbindungsoffizier war sie maßgeblich an der Gründung sowohl des heutigen Iraks als auch Jordaniens beteiligt.

Nach der Einführungsszene im Jahre 1914 springt Herzogs Film zurück in die Zeit an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert: 1893 reist Gertrude Bell nach Teheran, wo das British Empire auf eine 5 000 Jahre alte persische Kultur und Dichtung trifft, um diese fremde Kultur näher kennenzulernen. In der persischen Hauptstadt wohnt sie bei ihrem Onkel Frank (Mark Lewis Jones) und ihrer Tante (Beth Goddard) in der britischen Botschaft. Gertrude verliebt sich in den Botschaftssekretär Henry Cadogan (James Franco), der wie sie an Dichtung, Kultur und Geschichte interessiert, aber aufgrund seiner Spielsucht ziemlich verarmt ist. Deshalb lehnen ihre Eltern Gertrudes Hochzeit mit dem eigens nach England gereisten Cadogan ab. Als bald darauf dieser auf tragische Weise bei einem Ausritt ums Leben kommt, entschließt sich Gertrude Bell, sich ganz der Forschung zu widmen. Die folgenden Jahre sind mit Studien über die Natur und die Völker des Nahen Ostens und des Osmanischen Reichs ausgefüllt. Gertrude Bell wird zur besten Kennerin dieser Regionen und der komplexen Beziehungen der Wüstenstämme untereinander, und deshalb auch zur Mitarbeiterin des britischen Geheimdienstes. Dennoch wird sie sich noch auf eine Affäre mit dem verheirateten Offizier Charles Doughty-Wylie (Damian Lewis) einlassen.

Abenteuerreisen spielten in Herzogs Frühwerk eine wichtige Rolle: Mit Klaus Kinski als Hauptdarsteller drehte Herzog 1972 „Aguirre, der Zorn Gottes“ und 1981 „Fitzcarraldo“. Die beiden Spielfilme waren im südamerikanischen Urwald angesiedelt. Sie erzählen von schier unmöglichen Unternehmungen, etwa den Transport eines vollständigen Schiffes über die Berge und durch den Urwald. Sowohl „Aguirre, der Zorn Gottes“ als auch „Fitzcarraldo“ lebten vom unbedingten Willen der jeweiligen, vom temperamentvollen Kinski verkörperten Hauptfigur. Im Unterschied zu Lope de Aguirre und zu Brian Sweeney Fitzgerald wirkt die von Nicole Kidman dargestellte Gertrude Bell eher kühl-distanziert. Dazu mag der tragische Tod des geliebten Botschaftssekretärs zwar wesentlich beigetragen haben. Nicole Kidman gelingt es aber kaum, die Leidenschaft der Forscherin glaubwürdig zu verkörpern. Blass bleibt jedenfalls vor allem Robert Pattinson als Lawrence von Arabien, dessen Darstellung sich an der Grenze zur Parodie bewegt. Werner Herzog legt besonderen Wert auf eine prachtvolle Ausstattung und auf die von Kameramann Peter Zeitlinger schön eingefangenen Bilder der Wüstenlandschaften und sonstiger exotischer Orte. Der Akzent auf die Liebschaften Gertrudes Bells insbesondere in der ersten Filmhälfte verleiht „Königin der Wüste“ freilich einen Hauch von Rosemunde-Pilchner-Schmonzette. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass sich das filmische Porträt einer in Sachen Emanzipation ihrer Zeit so vorausgehenden Frau wenigstens in der ersten Filmhälfte größtenteils in ihren Liebschaften erschöpft. Zwar ändert sich das in der zweiten Filmhälfte. Nun entsteht allerdings der Eindruck, dass Drehbuchautor und Regisseur Werner Herzog die verschiedenen Stationen in Gertrude Bells Leben einfach und manchmal hastig nacheinander abhakt.

Die ständigen Orts- und Zeitenangaben, die immer wieder auf der Leinwand erscheinen, mögen dem Zuschauer eine Orientierung liefern. In ihrer Fülle ermüden sie jedoch eher. Trotz seiner Schauwerte, trotz oder gerade wegen der Hochglanzbilder und der optischen Opulenz, bleibt „Königin der Wüste“ zu sehr an der Oberfläche einer eigentlich faszinierenden Persönlichkeit. Was das Wesen einer Frau ausmachte, die entgegen den Regeln ihrer Zeit zur Forscherin, Regierungsinformantin und sogar zur „Königsmacherin“ wurde, bleibt in Werner Herzogs Film rätselhaft.
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