HERBSTSTURM | October Gale
Filmische Qualität:   
Regie: Ruba Nadda
Darsteller: Patricia Clarkson, Scott Speedman, Tim Roth, Callum Keith Rennie, Dani Kind, Aidan Devine
Land, Jahr: Kanada 2014
Laufzeit: 91 Minuten
Genre: Dramen
Publikum: ab 16 Jahren
Einschränkungen: S
Auf DVD: 9/2015


José García
Foto: Tiberius Film

Helen Matthews (Patricia Clarkson) betritt ein unaufgeräumtes Wochenendhaus. Unter leichter Klaviermusik beginnt sie, hier Ordnung zu schaffen. Die äußere Ordnung stellt sich aber auch als ein Sinnbild für die Trauerarbeit heraus, die sie hierher, auf eine einsame Insel, geführt hat. Viele Dinge, die sie nun aufräumt, erinnern sie an ihren kürzlich verstorbenen, geliebten Ehemann. In ihrem soeben auf DVD erschienenen Spielfilm „Herbststurm“ („October Gale“) visualisiert die kanadische Regisseurin Ruba Nadda die glücklichen Zeiten in Helens Ehe durch sehr helle, sonnendurchflutete Rückblenden, die immer wieder in die Haupthandlung ihres Spielfilmes und damit in Helens Erinnerung einbrechen. Sie kontrastieren mit den von Kameramann Jeremy Benning eingefangenen, wunderschönen, aber eher herbstlich-düsteren Bildern der Georgian Bay in der kanadischen Provinz Ontario, wo sich die Insel befindet, in die sich Helen zurückgezogen hat.

Die 1972 als Tochter eines syrischen Vaters und einer palästinensischen Mutter in Montreal geborene Drehbuchautorin und Regisseurin Ruba Nadda geht von einer ähnlichen Ausgangssituation aus wie in ihrem Film „Cairo Time“ (DT vom 3.9.2011). Unabhängig davon, dass sich in „Cairo Time“ die ebenfalls von Patricia Clarkson verkörperte Hauptperson eine Auszeit notgedrungen nehmen musste, sich in „Herbststurm“ Helen aber freiwillig in die Einsamkeit zurückzieht, haben beide Filme von Ruba Nadda eins gemeinsam: der bedächtige Erzählrhythmus, mit dem die Persönlichkeit der Hauptfigur eingeführt wird.

Mit der Ruhe und Beschaulichkeit der ersten zwanzig Filmminuten ist es allerdings jäh vorbei, als ein Boot mit Blutspuren an Helens Anlegestelle auftaucht. Plötzlich liegt ein Mann mit einer Schusswunde in der Schulter auf der Veranda. Der junge Will (Scott Speedman) wurde angeschossen, doch zu den Hintergründen der Tat schweigt er sich beharrlich aus. Gut, dass Helen Ärztin ist und sich um die Versorgung der Wunde kümmern kann. Obwohl der junge Mann auf sie sympathisch wirkt, zeigt sich Helen über die Vorgänge beunruhigt. Will möchte auch so schnell wie möglich von der Insel verschwinden, auch um die Ärztin nicht in die Geschichte hineinzuziehen. Denn von vorneherein macht er ihr unmissverständlich klar, dass er von demjenigen, der ihn angeschossen hat, gesucht wird. Da das Telefonnetz nicht funktioniert, versucht Helen in einem Boot zur nächstgelegenen Stadt zu gelangen, während Will schläft. Der etwas hektische Schnitt verrät: Aus dem langsamen Film über die Trauer einer Frau um ihren verstorbenen Mann ist ein Thriller geworden, dessen Spannung größtenteils ebenfalls von der immer stärker werdenden Musik unterstützt wird.

Als Al (Aidan Devine), den Helen eigentlich von früheren Besuchen her kennt, plötzlich aufkreuzt und sich abweisend verhält, beginnt eine fieberhafte Vorbereitung auf die Ankunft des Mannes, der Will nach dem Leben trachtet: Da ein Sturm aufzieht, sind Helen und Will eingeschlossen und auf sich allein gestellt. In etwa drei Stunden könnten die Männer da sein, die Will suchen. In der Tat: Plötzlich kehrt Al zusammen mit einem bewaffneten Tom (Tim Roth) zurück, der zu allem entschlossen scheint.

Die Handlung, bei der ein unbescholtener Bürger oder eine einfache Familie von außen plötzlich bedroht wird, nimmt sich nicht besonders originell aus. „Herbststurm“ verknüpft dieses Szenario jedoch mit einer Trauerbewältigung, die insbesondere zu Beginn des Filmes im Mittelpunkt steht. Trotz der bedrohlichen Kulisse, die Regisseurin Ruba Nadda auch mit Hilfe entsprechender Musik in der Filmmitte aufbaut, geht es ihr denn auch offensichtlich kaum um eine spannende Kriminalgeschichte. Dafür ist die angekündigte Auseinandersetzung nicht nur wenig spektakulär, sondern auch eher zweitrangig inszeniert.

Auch in der Nebenhandlung, in Wills Verfolgung durch den älteren Tom, steht im Fokus vielmehr die komplexe zwischenmenschliche Beziehung. Drehbuchautorin und Regisseurin Nadda greift wiederum in diesem Erzählstrang auf das Mittel der Rückblenden zurück, um dem Zuschauer dieses Verhältnis zu verdeutlichen. In der Verknüpfung der unterschiedlichen Handlungsstränge liegt freilich auch die Schwäche von „Herbststurm“: Dem Film gelingt es letztlich kaum, die zwei emotionalen Geschichten mit dem Thriller atmosphärisch dicht zu verknüpfen. Dass sich zwischen dem verletzten Will und der um einiges älteren Ärztin eine Art romantische Anziehung entwickelt, scheint darüber hinaus wenig überzeugend. Die eigentlich doppelte Thematisierung des Todes hätte ebenfalls Anlass zu tiefgründigeren Betrachtungen bieten können. Einen Ansatz dazu liefert etwa ein Dialog zwischen Tim und Will: „Die Menschen meinen, sie verfügen immer über genügende Zeit“.

Wenn „Herbststurm“ dennoch ein sehenswerter Film geworden ist, liegt dies einerseits an den schönen Bildern des kanadischen Herbstes, andererseits aber auch an den überzeugenden Darstellern. Trotz seiner eher kleinen Rolle gelingt es Tim Roth, seiner Figur glaubwürdig das nötige Bedrohungspotenzial zu verleihen. Insbesondere Patricia Clarkson stellt aber die trauende Ehefrau mit der ihr eigenen Glaubwürdigkeit dar.
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