THE VISIT | The Visit
Filmische Qualität:   
Regie: M. Night Shyamalan
Darsteller: Kathryn Hahn, Deanna Dunagan, Peter McRobbie, Ed Oxenbould, Olivia DeJonge
Land, Jahr: USA 2015
Laufzeit: 94 Minuten
Genre: Thriller
Publikum: ab 12 Jahren
Einschränkungen: G
im Kino: 9/2015
Auf DVD: 1/2016


José García
Foto: Universal

Der in Indien geborene, aber in den Vereinigten Staaten aufgewachsene Regisseur M. Night Shyamalan wurde mit „The Sixth Sense“ (1999) weltweit bekannt. Mit ungewohnten Bildperspektiven und ähnlichen Stilmitteln bewegt sich „The Sixth Sense“ stets auf einem schmalen Grat zwischen Realem und Traumhaftem, der erst in der Auflösung des Filmes stimmig zurechtgerückt wird. Die Mischung aus einer Spannung erzeugenden Handlung und Fantasy- und Horrorelementen, die das Genre des „Mysterythrillers“ ausmachen, kennzeichnete ebenfalls seine nächsten Filme, insbesondere „The Village – Das Dorf“ (2004). Shyamalans Markenzeichen wurde die überraschende Wendung am Filmende, die alles bis dahin Gesehene auf den Kopf stellte. In den letzten zehn Jahren konnte M. Night Shyamalan – etwa mit „Das Mädchen aus dem Wasser“ (2006) und zuletzt „After Earth“ (2013) – an den Erfolg seiner bekanntesten Filme jedoch nicht mehr anschließen.

Nun startet im Kino der neue Film von M. Night Shyamalan „The Visit“, der im Unterschied zu seinen vorangegangenen Filmen mit geringem Budget und ohne große Stars entstanden ist. Diesen Eindruck unterstreicht Drehbuchautor und Regisseur Shyamalan dadurch, dass „The Visit“ als Dokumentarfilm eines jungen Mädchens ausgegeben wird. So beginnt Shyamalans Film mit dem Interview, das die 15-Jährige mit ihrer Mutter (Kathryn Hahn) führt. Darin erzählt diese, wie es vor fünfzehn Jahren zum Zerwürfnis mit ihren eigenen Eltern kam. All diese Zeit habe sie keinen Kontakt mehr zu ihnen gehabt. Erst kürzlich hätten sie sich bei ihr übers Internet gemeldet. Sie selbst habe kein Interesse, ihre Eltern wiederzusehen. Aber gegen deren Wunsch, die Enkelkinder kennenzulernen, habe sie nichts einzuwenden.

Die 15-jährige Becca (Olivia DeJonge) und ihr jüngerer Bruder Tyler (Ed Oxenbould) nehmen begeistert den Vorschlag an, bei ihren Großeltern auf einer abgelegenen Farm in Pennsylvania eine Woche Ferien zu verbringen. Vor allem Becca möchte den Ort kennenlernen, wo ihre Mutter aufgewachsen ist, und herausfinden, wie es zu dem noch andauernden Familienbruch kam. Dafür nimmt sie ihre Kamera mit, durch die der Zuschauer den Film sieht. Außerdem freuen sich die Kinder auch darüber, dass die alleinerziehende Mutter die Gelegenheit nutzt, um mit ihrem neuen Freund eine Kreuzfahrt zu machen.

Am kleinen Provinz-Bahnhof holen die Großeltern Nana (Deanna Dunagan) und Pop Pop (Peter McRobbie) Becca und Tyler ab. Sie verbringen einen schönen Tag miteinander. Die Großeltern kümmern sich liebevoll um die Enkelkinder. In der Nacht aber werden sie Zeugen des eigenartigen Verhaltens der Oma. Am nächsten Morgen erklärt ihnen der Opa, sie leide an „Sundowning-Syndrom“, weshalb Becca und Tyler am besten ab 21.30 Uhr nicht mehr ihr Zimmer verlassen sollten. Aber bereits am zweiten Tag stellen sie fest, dass sich auch der Opa merkwürdig verhält: Bei einer Fahrt zur Schule, die Beccas und Tylers Mutter als Kind besucht hatte, fühlt er sich von einem Mann verfolgt. Kurzerhand schlägt Opa den jungen Mann mit einer Kraft nieder, die ihm wohl kaum zugetraut worden wäre. Hin und wieder verschwindet Opa auch in einem Schuppen, was die Neugier der beiden Kinder anstachelt.

Bei einem Gespräch über Skype mit der Mutter, die sich währenddessen auf der Kreuzfahrt köstlich amüsiert, erzählen ihr Becca und Tyler vom merkwürdigen Verhalten der Großeltern. Aber die Mutter beschwichtigt sie – sie seien wohl alt und ältere Menschen hätten so ihre Schrullen. Allerdings nehmen die seltsamen Dinge immer mehr zu, so starrt etwa die Oma immer wieder in einen Brunnen. In „The Visit“ setzt M. Night Shyamalan auf Stilmittel, die eigentlich von B-Movies verwendet werden, so etwa auf die Wackelkamera. Er bricht dies allerdings dadurch ironisch, dass er den „Film im Film“ eine 15-Jährige drehen lässt. Ebenso ironisch sind die Aussagen zu werten, die Becca über das Filmedrehen macht. Lauter Plattitüden, hinter denen sich wohl ein Seitenhieb auf all die Kritiken verbergen mag, die Shyamalan in den letzten Jahren einstecken musste. Darauf sowie auf Tylers Rap-Einlagen geht ein Teil des Humors in „The Visit“ zurück. Allerdings verknüpft der Drehbuchautor und Regisseur seine Thriller- und teilweise Horrorgeschichte eher mit schwarzem Humor. Dieser besteht auch darin, die Erwartungen des Zuschauers zu konterkarieren, etwa wenn die Oma Becca auffordert, den Backofen bis in die tiefsten Stellen zu reinigen – was dazu führt, dass das Mädchen mit dem ganzen Körper in den Ofen hineinklettern muss. Zwar wartet „The Visit“ mit dem einen oder andern genretypischen Schocker auf, aber Shyamalan erzeugt den eigentlichen Nervenkitzel eher mit einfacheren Mitteln wie Kratz- oder knarrenden Geräuschen. Auch wenn die jugendlichen Schauspieler mit sichtlichem Spaß ihre Aufgabe meistern, gehört die Leinwand ganz eindeutig Deanna Dunagan als Großmutter, die sich von einem Moment auf den andern von der liebevollen Oma in eine Psychopathin verwandelt.

Zwar erreicht Shyamalan mit seinem neuen Film nicht die filmische Qualität seiner ersten Filme. Aber „The Visit“ stellt unter Beweis, dass ein mit einfachen Mitteln gedrehter Film nicht unbedingt ein „billiger“ Film sein muss – wenn der Regisseur es versteht, Spannung zu erzeugen, einschließlich überraschender Wendung am Filmende.
Diese Seite ausdrucken | Seite an einen Freund mailen | Newsletter abonnieren