UNSER LETZTER SOMMER | Unser letzter Sommer
Filmische Qualität:   
Regie: Michal Rogalski
Darsteller: Jonas Nay, Filip Piotrtowicz, Gerdy Zint, Steffen Scheumann, André M. Hennicke, Urszula Bogucka, Maria Semotiuk, Bartlomiej Topa
Land, Jahr: Deutschland / Polen 2015
Laufzeit: 100 Minuten
Genre: Dramen
Publikum: ab 16 Jahren
Einschränkungen: X -
im Kino: 10/2015
Auf DVD: 5/2016


José García
Foto: Farbfilm / Alexander Janetzko

Ostpolen im Sommer 1943. Die deutsche Sicherheitspolizei kontrolliert das besetzte Land. Im kleinen Gendarmerieposten Wroblew haben aber die Deutschen nicht allzu viel zu tun. Hauptwachtmeister Müller (André M. Hennicke) scheint eher Dienst nach Vorschrift zu tun. Sein Tagesbefehl: „Ihr organisiert, was ihr kriegen könnt.“ Der 17-jährige Soldat Guido (Jonas Nay) ist auch nicht so recht bei der Sache. Denn er hat nur Augen für Franka (Urszula Bogucka), die nebenan in der Küche arbeitet. Für die 16-jährige Franka interessiert sich jedoch auch ihr Nachbar Romek (Filip Piotrowicz), dessen Vater im Krieg getötet wurde. Romek arbeitet als Heizer bei der Eisenbahn, und träumt davon, Lokomotivführer zu werden, was von seinem Chef Leon (Bartlomiej Topa) nicht besonders ernst genommen wird. Die Beziehung zwischen Romek und seinem Chef wird auch noch dadurch verkompliziert, dass Leon ein Verhältnis mit Romeks Mutter (Agnieska Kruk) hat.

An der Desinfektionsrampe 333 des nahe gelegenen KZ Trebinkla kreuzen sich die Wege von Guido und Romek. Denn der neue Einsatz von Leon und Romek führt sie genauso dorthin wie Guido und seinen Kameraden Odi (Gerdy Zint). Im Spielfilm „Unser letzter Sommer“ beobachtet der polnische Regisseur Michal Rogalski die Polen und die Deutschen bei derselben Tätigkeit: Sammeln Romek und Leon Kleidungsstücke auf den Gleisen ein, so macht im Büro an der Rampe ein deutscher Soldat Geschäfte mit den Habseligkeiten der KZ-Opfer. Während Odi und Guido mit ihm über die Wucherpreise der ihnen angebotenen Gegenstände diskutieren, klaut Romek dem Händler einen Koffer. Guido verfolgt den junge Polen, kann ihn auch stellen, lässt ihn aber schließlich wieder laufen.

Die nächste Zusammenkunft von Romek und Guido wird aber folgenschwerer sein. Als ein neuer Oberleutnant (Steffen Scheumann) das Kommando über den Gendarmerieposten übernimmt, weht ein neuer Wind in der bislang eher verschlafenen Truppe. Sie sollen nach Flüchtlingen suchen.

Als sie einige von ihnen in einem Heuschober finden, lässt der Oberleutnant den Heuhaufen anzünden. Romek hielt sich ebenfalls in der Nähe auf und läuft in den Wald. Dort begegnet er der jungen Jüdin Bunia (Maria Semotiuk), die sich von Romek nicht abschütteln lässt. Als aber russische Partisanen die beiden entdecken, wird Bunia vergewaltigt und mitgenommen. Guido wird wiederum von Oberleutnant überrascht, als er mit Franka in seinem Zimmer verbotene Musik hört. Der Kommandant droht dem jungen Soldaten mit dem Kriegsgericht, woraufhin Guido um sein Leben bettelt, und verspricht, dafür alles zu tun, was der Vorgesetzte befiehlt. Ein verhängnisvolles Versprechen.

In seinem Spielfilmdebüt konzentriert sich Drehbuchautor und Regisseur Michal Rogalski auf vier Jugendliche, die durch die besonderen Umstände des Krieges in unterschiedliche Positionen gebracht werden. Dabei würden sie am liebsten den schönen Sommer, den Kameramann Jerzy Zielinski in stimmungsvolle Bilder umsetzt, und die erste Liebe genießen. Zwar zeigt Rogaski keine Bilder des Konzentrationslagers. Treblinka ist allerdings genauso allgegenwärtig in „Unser letzter Sommer“ wie der Krieg, der zu Beginn der Handlung weit weg zu sein scheint, der dann jedoch alle Beteiligten auf die eine oder andere Art und Weise einholt. Obwohl Romek und Guido dem jeweils feindlichen Lager angehören, sind sie sich viel ähnlicher, als es zunächst einmal den Anschein hat.

Nicht nur die Liebe zu Franka haben sie gemeinsam, sondern auch die Leidenschaft für Jazzmusik. Davon zeugt etwa eine Szene, als Guido vor dem Fenster eines Zimmers stehen bleibt, in dem Franka und Romek Musik hören. Auf einmal fühlen sich mitten im Krieg die eigentlichen Feinde miteinander verbunden – was allerdings nicht lange währt, weil Leon sie plötzlich überrascht und dem Ganzen ein Ende macht. Filip Piotrowicz und Jonas Nay stellen die beiden jungen Männer mit all der Unsicherheit gegenüber den Erwachsenen überzeugend dar.

Die beiden Erzählstränge, den deutschen und den polnischen, verknüpft Rogalski meisterhaft in dieser deutsch-polnischen Koproduktion miteinander. Dazu trägt insbesondere auch die Sorgfalt bei, mit der die verschiedenen Figuren gezeichnet werden.

Bei der Verleihung des Prädikats „besonders wertvoll“ führt die Deutsche Film- und Medienbewertung FBW aus: „Leise und lebendig erzählt ,Unser letzter Sommer‘ von einem Stück Kriegsgeschichte, das vom Überleben, der Orientierungslosigkeit der Menschen handelt und seine beeindruckende und intensive Wirkung ohne überzogenes Drama erzielt.“ Ohne unmittelbare Kampfhandlungen zu zeigen, handelt „Unser letzter Sommer“ vom Krieg, vor allem von dessen verhängnisvoller Wirkung auf junge Menschen. Drehbuchautor und Regisseur Rogalski gelingt es, dies so atmosphärisch dicht zu erzählen, dass der Zuschauer mit den Figuren regelrecht mitfühlt. Mit feinem Gespür für Rhythmus entwickelt er eine Ausgangssituation, die zunächst einmal trotz des Krieges eher einer Idylle gleichkommt, um dann am Ende doch noch die unvermeidliche Katastrophe in diese Welt, die vom Krieg so weit entfernt zu sein schien, hineinbrechen zu lassen. Ohne große Gesten wirkt „Unser letzter Sommer“ nachhaltiger als mancher laute Antikriegsfilm.
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