LETZTE WOLF, DER | Le dernier loup
Filmische Qualität:   
Regie: Jean-Jacques Annaud
Darsteller: Shaofeng Feng, Shawn Dou, Ankhnyam Ragchaa, Yin Zhusheng, Basen Zhabu, Baoyingexige
Land, Jahr: China / Frankreich 2015
Laufzeit: 119 Minuten
Genre: Dramen
Publikum: ab 12 Jahren
Einschränkungen: --
im Kino: 10/2015
Auf DVD: 2/2016


José García
Foto: Wild Bunch

Mit 20 Millionen verkauften Exemplaren soll der 2004 zunächst einmal unter Pseudonym veröffentlichte Roman „Der Zorn der Wölfe“ von Lü Jiamin der erfolgreichste Roman aller Zeiten in China sein. Darin erzählt der Autor eine autobiografische Geschichte, die 1967 zu Beginn der Kulturrevolution in der Inneren Mongolei spielt. Der 1943 geborene französische Regie-Altmeister Jean-Jacques Annaud hat nun diesen Roman unter dem Titel „Der letzte Wolf“ verfilmt.

Begleitet von der melancholisch-episch anmutenden Musik von James Horner beginnt „Der letzte Wolf“ im zweiten Jahr der chinesischen Kulturrevolution: 1967 werden Pekinger Studenten aufs Land geschickt. Chen Zhen (Shaofeng Feng) und Yang Ke (Shawn Dou) sollen in der Inneren Mongolei Schafhirten Lesen und Schreiben beibringen. Bereits auf ihrer langen Busfahrt bewundern sie die endlosen Weiten der in den 1960er Jahren kaum besiedelten Inneren Mongolei. Hier leben Nomaden, die mit ihren Herden umherziehen. Chen Zhen soll bei der Nomadenfamilie des alten Bilig (Baoyingexige) wohnen. Der Anfang gestaltet sich für ihn natürlich schwer, aber sechs Monate später hat sich der Student dem Leben auf der Steppe besser angepasst. Nach einer ersten Begegnung mit einem Wolfsrudel beginnt sich Chen Zhen für Wölfe zu interessieren.

Fasziniert erfährt der Städter Einiges über das komplexe Verhältnis der Mongolen zu den Wölfen, die sie zugleich fürchten und respektieren, ja sogar verehren. So erzählt ihm Bilig davon, dass Dschingis Khan vom Jagdinstinkt der Wölfe lernte. Wie das konkret aussieht, erlebt der Zuschauer durch Chen Zhens Augen: Am Ende des Winters treibt der perfekt organisierte Wolfsrudel eine stattliche Zahl Gazellen in einen vereisten See. Da bleibt deren Fleisch tiefgekühlt bis zum Frühling, wenn die Wölfe mehr Nahrung zum Aufziehen ihrer Welpen benötigen. Dabei tragen die Wölfe zur Erhaltung des natürlichen Gleichgewichts bei. Denn Gazellen fressen zu viel Gras, wodurch sie die Wiesen für die Schafe der Mongolen abweiden. Wölfe töten meistens nur für die eigenen Bedürfnisse.

In diese Idylle bricht nun die chinesische Bürokratie und Ideologie hinein. Direktor Bao (Yin Zhusheng) übermittelt den Schafhirten einen Parteibefehl aus Peking: Die Wölfe werden als Feinde angesehen, weswegen im Frühjahr alle Wolfswelpen getötet werden sollen. Die Mongolen töten zwar die Jungtiere, dem Studenten gelingt es aber, einen letzten Wolfswelpen zu verstecken und ihn heimlich aufzuziehen. Dies wird nicht nur von den Mongolen mit Argwohn beobachtet, weil ein Wolf in Gefangenschaft gegen ihre Traditionen verstößt, sondern auch von den linientreuen Chinesen, die in der Steppe chinesische Bauern ansiedeln wollen. Weil durch die Siedlungspolitik den Wölfen ihre natürliche Lebensgrundlage geraubt wird, holt ein Rudel ausgehungerter Wölfe zu einem Schlag gegen die Menschensiedlungen aus.

„Der letzte Wolf“ beschreibt nicht nur eine „wunderbare Freundschaft“ zwischen Mensch und Tier. Regisseur Jean-Jacques Annaud wollte mit seiner Verfilmung des Bestsellers von Lü Jiamin darüber hinaus auf die Umweltzerstörung aufmerksam machen: „Die großen Weiten und die Schönheit der Steppe machen einen ganz wichtigen Teil in diesem Film aus. Der mongolische Wolf steht als ein Symbol für das Leben in der Wildnis. Der Autor des Buches, Lü Jiamin, wurde Zeuge, mit welcher Ignoranz die Umwelt in den sechziger Jahren zerstört wurde. Fehler dieser riesigen Größenordnung hat man nicht nur in China, sondern leider überall auf der Welt begangen.“

Die Kamera von Jean Marie Dreujou fängt großartige Aufnahmen ein, nicht nur der Landschaft, sondern insbesondere auch der Wölfe. Laut Regisseur Annaud wurde Computertechnik in etwa 15 Einstellungen, in Totalen und schnell geschnittenen Szenen, eingesetzt. Die restlichen Szenen entstanden mit den 16 echten Steppenwölfen, die vom Tiertrainer Andrew Simpson zwei Jahre lang vor Beginn der Dreharbeiten aufgezogen wurden. Höhepunkt der Tierszenen ist eine Verfolgungssequenz zwischen Wölfen und Pferden im Schneegestöber.

Angesichts solch beeindruckender Naturaufnahmen tritt jedoch das Erzählerische in den Hintergrund. Die Konflikte, die etwa durch die Ansiedlung chinesischer Bauern entstehen, entwickelt Jean-Jacques Annaud kaum. Die dahinterstehende chinesische Expansionspolitik kann der Zuschauer in „Der letzte Wolf“ höchstens erahnen. Annauds Leidenschaft gilt offensichtlich den Wölfen und den mythologischen Erzählungen der mongolischen Nomaden über das Zusammenleben von Mensch und Tier, die Chen Zhen zu Beginn aus dem Munde des alten Bilig hört, während die Kamera den Studenten und den alten Nomaden bei der Beobachtung der Wölfe zeigt. Insgesamt verwendet „Der letzte Wolf“ mehr Sorgfalt auf die Natur beziehungsweise auf die Anklage wegen der Umweltzerstörung und auf die zugegeben imponierenden Naturaufnahmen, als auf die zwischenmenschlichen Beziehungen. Die eigentliche Wandlung des Studenten, der laut Anweisung seitens des Regimes den „primitiven Nomaden“ Lesen und Schreiben beibringen soll, zu einem die Traditionen der Mongolen liebenden jungen Menschen, wird mehr behauptet als glaubwürdig entwickelt.
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