VALLEY OF LOVE – TAL DER LIEBE | Valley of Love
Filmische Qualität:   
Regie: Guillaume Nicloux
Darsteller: Isabelle Huppert, Gérard Depardieu, Dan Warner, Aurélia Thiérrée
Land, Jahr: Frankreich / Belgien 2015
Laufzeit: 93 Minuten
Genre: Dramen
Publikum: Erwachsene
Einschränkungen: --
im Kino: 1/2016
Auf DVD: 5/2016


José García
Foto: Concorde

Der Spielfilm „Valley of Love – Tal der Liebe“, der am Wettbewerb des letztjährigen Filmfestivals Cannes teilnahm, beginnt mit einer Plansequenz: Die Kamera folgt einer Frau mit einem Rollkoffer auf dem Weg zu einem Motel. Wie in den Filmen der Dardenne-Brüder fährt die Handkamera die ganze Strecke direkt hinter dem Nacken der Frau. Die Schauspielerin Isabelle (Isabelle Huppert) verbringt den ersten Tag im Death-Valley-Nationalpark, an der Grenze von Kalifornien und Nevada, allein. Am nächsten Tag trifft dort Gérard (Gérard Depardieu) ein. Die beiden waren miteinander verheiratet, sind aber seit langer Zeit geschieden. Aus ihrer Ehe ging Sohn Michael hervor, der die letzten Jahre als Fotograf in San Francisco lebte. Michael hat sich mit 31 Jahren sechs Monate vorher das Leben genommen. Er ist auch der Grund, warum sich Isabelle und Gérard nach all den Jahren und ausgerechnet in einem Hitzepol wieder treffen.

Denn in einem gleichlautenden Brief hatte Michael vor seinem Selbstmord seinen Eltern geschrieben: „Seid am 12. November 2014 im Tal des Todes. Ihr beide. Ja, ihr lest richtig, du und Papa. Es klingt vielleicht wie ein schlechter Scherz, aber ich schwöre, es ist die Wahrheit. Ich schwöre auf das Leben eurer Kinder, meiner Halbbrüder und Schwestern, und auf das von Papas Kindern. Es ist meine einzige Chance auf eine Rückkehr. So lautet der Vertrag. Ihr beide müsst dort sein. Es gibt einen Zeitplan, mit den genauen Orten, Daten und Uhrzeiten, an denen ihr auf mich warten müsst, denn ich werde zurückkehren. Nur kurz, aber ich werde dort sein.“

So machen sich die beiden jeden Tag auf den Weg zu den von Michael angegebenen Orten. Offenbar haben sich die beiden wenig zu sagen. Jedenfalls sprechen Isabelle und Gérard kaum, während sie die sengende Hitze mehr schlecht als recht ertragen. „Was tun wir hier? Das Ganze ist bescheuert“, sagt Gérard. Vorsichtshalber erklärt er Isabelle, dass er wegen eines unaufschiebbaren Arzttermins nicht die ganze Woche wird bleiben können. Was wiederum zu einem Streit führt. Auf solche Streite folgen Augenblicke, in denen sie sich wieder besser vertragen. Viel mehr geschieht in dem Film nicht. In der Hauptsache gehen sie neben- oder hintereinander unter der unbarmherzigen Sonne am heißesten Ort der Vereinigten Staaten – wo etliche Regisseure von John Ford bis George Lucas ihre Western- oder Star-Wars-Filme drehten – auf der Suche nach einem Schatten, wo sie ihre Klappstühle aufstellen können. Was erwarten sie? Die etwas esoterisch veranlagte Isabelle hofft auf ein Zeichen. Ja, sie meint ein solches empfangen zu haben, als sie eines Nachts plötzlich aufschreit. Gérard eilt ihr zu Hilfe. Sie glaubt, ein Eindringling habe sie an beiden Füßen gepackt. Ob dies Michael war? Der bodenständige Gérard hält dies für einen Alptraum und das Ganze ohnehin für baren Unsinn. Aber irgendetwas führt ihn dazu, jeden Tag aufs Neue Michaels brieflichen Anweisungen zu folgen. Obwohl das Esoterische wieder einmal kurz am Ende aufflackert, scheint das Drehbuch wenig stimmig, eher offen für die Improvisation der zwei großen Schauspieler, die Schauspieler verkörpern. Dass ihre beiden Figuren ihren jeweiligen Vornamen – und nur den Vornamen – tragen, lässt vermuten, dass mit der Ebene von Fiktion und Realität gespielt werden soll. Etwa, als ein Hotelgast Gérard zu erkennen glaubt, obwohl ihm sein Name nicht einfällt. Später, als die Frau des Hotelgastes und Isabelle dazukommen, werden sie sich darüber unterhalten, wer nun bekannter sei: Gérard (Dépardieu) oder Isabelle (Huppert). Der Film spiele „mit dem Effekt der Glaubwürdigkeit in der Fiktion: Die Glaubwürdigkeit unseres Wiedersehens“, sagt Isabelle Huppert im Hinblick darauf, dass sie und Dépardieu zuletzt 1980 in einem Film gemeinsam aufgetreten sind, „die Tatsache, dass die Figuren Gérard und Isabelle heißen, und dass beide Schauspieler sind. Aber der Film geht darüber hinaus.“ Auf einer ähnlichen Ebene wirkt „Death Valley“ symbolisch aufgeladen. Sollen sie im „Tal des Todes“ eine Erklärung für den Selbstmord ihres gemeinsamen Sohnes finden?

Sie suchen allerdings auch nach der eigenen Verantwortung für den Tod des Sohnes, den sie offenkundig lange nicht mehr gesehen hatten. Isabelle war nicht einmal auf seiner Beerdigung. Vielleicht deshalb, oder einfach weil sie die Mutter ist, macht sie sich Vorwürfe. Gérard scheint dies äußerlicher zu nehmen: „Es ist wie eine Art Wallfahrt. Er wollte, dass wir uns mitten im Nirgendwo verirren. Damit wir über ihn sprechen. Und damit endet es. Er dachte wohl, wir hätten sein Leben zerstört, was weiß denn ich? Das ist seine Art, uns zu bestrafen.“

Dabei spielt die Hitze nicht nur äußerlich eine Rolle. Insbesondere Gérard leidet unter den hohen Temperaturen, unter der trockenen Hitze. Soll das eine Art Sühne sein? „Wir sind die Eltern – wir sind schuld“, hatte er gleich zu Anfang gesagt. Auch und besonders für die Mutter stellen die körperlichen Strapazen etwas Reinigendes dar. Die sengende Hitze und die zwei Protagonisten: Zwei Menschen auf der Suche nach Erlösung in einer unbarmherzigen Natur.

Die zwei herausragenden Darsteller Isabelle Huppert und Gérard Depardieu tragen zwar den Film. Ihre Dialoge wirken, als seien sie improvisiert. Aber auch die von einer zurückgenommenen Filmmusik unterstützten, großartigen Landschaftsaufnahmen von Christophe Offenstein tragen mit ihrer dokumentarischen Anmutung zum Gesamteindruck von „Valley of Love – Tal der Liebe“ entscheidend bei.
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