ERSCHÜTTERNDE WAHRHEIT | Concussion
Filmische Qualität:   
Regie: Peter Landesman
Darsteller: Will Smith, Alec Baldwin, Gugu Mbatha-Raw, Arliss Howard, Paul Reiser, Luke Wilson, Adewale Akinnuoye-Agbaje, David Morse, Albert Brooks
Land, Jahr: USA, Großbritannien, Australien 2015
Laufzeit: 123 Minuten
Genre: Dramen
Publikum: ab 16 Jahren
Einschränkungen: --
im Kino: 2/2016
Auf DVD: 6/2016


José García
Foto: Sony

Bilder aus der in den Vereinigten Staaten beliebtesten Sportart, dem American Football, stehen am Anfang des Spielfilms „Erschütternde Wahrheit“ („Concussion“). Drehbuchautor und Regisseur Peter Landesman vermischt dabei Originalbilder mit nachgespielten Szenen, die den Abschied des großen Football-Stars Mike Webster (David Morse) zeigen. Ein paar Jahre später lebt der gesundheitlich angeschlagene Webster auf der Straße. Der einstige Sportstar ist zum Obdachlosen geworden, der am 24. September 2002 am Herzversagen mit nur 50 Jahren stirbt.

Mike Webster kannte jeder in Pittsburgh, wo er fast seine gesamte Profikarriere von 1974 bis 1988 absolviert hatte. Nur nicht ausgerechnet der Arzt, der ihn obduzieren sollte. Denn Dr. Bennet Omalu stammt aus Nigeria und interessierte sich, auch nachdem er acht Jahre in den Vereinigten Staaten lebte, immer noch nicht für American Football. Peter Landesmans Spielfilm basiert auf realen Begebenheiten, die im Artikel „Game Brain“ von der Journalistin Jeanne Marie Laskas beschrieben wurden. Bei der Obduktion stellt Bennet Omalu (Will Smith) einige Unstimmigkeiten fest: Die ersten Anzeichen sprechen zwar für Alzheimer. Aber weder Websters Alter noch weitere Befunde passen zu der Krankheit. Auch die vom behandelnden Arzt des ehemaligen Footballspielers Julian Bailes (Alec Baldwin) vermerkten Beschwerden nach Gehirnerschütterungen als mögliche Mitschuld am Tod lassen Bennet Omalu eine gründliche Untersuchung von Websters Gehirn vornehmen. Omalu entdeckt ungewöhnliche Eiweißablagerungen, was allerdings mit den Symptomen korrespondiert, die sich bereits seit dem Ende seiner Profikarriere manifestiert hatten: Sprachstörungen, teilweise Verlust des Gehörs, Konzentrationsstörungen und zeitweiser Gedächtnisverlust. Durch die von Bennet Omalu durchgeführte Obduktion Websters wird erstmals ein Zusammenhang zwischen sich ständig wiederholenden Gehirnerschütterungen (auf Englisch: concussions, daher der Original-Filmtitel) und neuralen Dysfunktionen im Gehirn festgestellt. Der Arzt gibt dem Krankheitsbild einen neuen Namen: Chronisch traumatische Enzephalopathie (CTE).

Da auch in den folgenden Jahren weitere verstorbene ehemalige Football-Profis an chronisch traumatischer Enzephalopathie litten, wendet sich Dr. Omalu an die Verantwortlichen der Football-Liga (NFL). Doch die Liga-Funktionäre verharmlosen die Befunde, stellen den Zusammenhang zwischen den beim Sport erlittenen Schlägen und der Krankheit in Frage. Die Ärzte Dr. Omalu und Dr. Bailes nehmen einen David-gegen-Goliath-Kampf auf sich. Denn hinter der National Football League (NFL) steckt ein Milliardengeschäft. Darüber hinaus „gehört dem Football-Spiel ein Tag in der Woche“, wie es einmal im Film heißt. So stellt die NFL die Bemühungen Omalus als einen Angriff auf einen nationales Heiligtum dar, der außerdem von einem Ausländer geführt wird.

Regisseur Peter Landesman folgt den Genreregeln sehr konventionell. Im Gegensatz zum ähnlichen Film „Insider“ (Michael Mann, 1999), bei dem es um den Kampf gegen die Tabakindustrie geht, schafft er es kaum, Spannung aufzubauen. Das Drehbuch durchläuft vielmehr die verschiedenen Stadien eines solchen Kampfes unter ungleichen Gegnern in überaus vorhersehbarer Weise. Demgegenüber fällt es auf, dass die Filmemacher besonderen Wert auf die Charakterzeichnung der Hauptfigur legen. Insbesondere die Art und Weise, wie er mit den Leichen umgeht, die täglich auf den Obduktionstisch kommen, ist bemerkenswert. Der „echte“ Dr. Bennet Omalu führt dazu aus: „Ich bin ein römisch-katholischer Christ. Mein Glaube lehrt mich: Wenn der Leib stirbt, beginnt für den Geist und die Seele das ewige Leben. Ich glaube, dass der Geist noch bei uns ist, so wie Gottes Geist auch bei uns ist. Deshalb rede ich mit meinen Patienten, nicht mit Worten, aber mit meinem Herzen.“

Aus naheliegenden Gründen muss im Film jedoch dessen Darsteller Will Smith zu den auf dem Obduktionstisch liegenden Patienten mit Worten reden. Auf dem Papier liest sich dies reichlich absonderlich. Will Smith schafft es jedoch, so zu spielen, dass dies keineswegs befremdlich wirkt. Ähnlich hätte gleich die erste Szene mit Will Smiths Dr. Omalu ins Lächerliche kippen können. Bei einer Gerichtsverhandlung, bei der er als Gutachter aussagen soll, zählt er die sieben Diplome auf, die er besitzt. In Will Smiths Darbietung wirkt dies jedoch nicht überheblich, sondern geradezu bescheiden. Will Smith liefert insgesamt eine Oscar-reife Darstellung, obwohl er bei den diesjährigen Oscar-Nominierungen übergangen wurde.

Im Jahre 2013 reichten mehr als 4 000 ehemalige Spieler sowie Familien von rund 1 500 verstorbenen Profis eine Gemeinschaftsklage gegen die NFL ein. Sie warfen ihr vor, absichtlich klare Beweise für Langzeitschäden am Hirn durch ständige Kopfstöße zurückgehalten zu haben. Die NFL erklärte sich im August 2013 bereit, rund 18 000 ehemaligen Profis und den Familien verstorbener Spieler insgesamt 765 Millionen Dollar als Entschädigung sowie für medizinische Behandlungen zu zahlen. Dennoch scheint dies dem Sport insgesamt und der Einstellung der Bevölkerung zum American Football jedoch keinen Abbruch getan zu haben: Am 7. Februar 2016 verfolgten 111 Millionen Fans im Schnitt das Endspiel „Super Bowl“ in den Vereinigten Staaten. Weltweit waren es sogar 800 Millionen Zuschauer.
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