LAST SAMURAI | The Last Samurai
Filmische Qualität:   
Regie: Edward Zwick
Darsteller: Tom Cruise, Ken Watanabe, Timothy Spall, Hiroyuki Sanada, Koyuki, Billy Connolly, Tony Goldwyn
Land, Jahr: USA, Neuseeland, Japan 2003
Laufzeit: 154 Minuten
Genre: Action/Western
Publikum: ab 16 Jahren
Einschränkungen: G


JOSÉ GARCÍA
Foto: Warnerbros.

Der Blickwinkel, aus dem der Kampf zwischen „dem weißen Mann“ und der indianischen Urbevölkerung der Vereinigten Staaten im Kino bebildert wird, hat sich spätestens seit „Der mit dem Wolf tanzt“ (Kevin Costner, 1990) um 180 Grad gedreht. Die in den klassischen Western der fünfziger und sechziger Jahren gefeierten Helden à la John Wayne, die gegen den erbitterten Widerstand der Indianer die Zivilisation in den „Wilden Western“ brachten, wurden als Eindringlinge entlarvt, die Völkermord am „edlen Wilden“ verübten.

An kaum einer anderen historischen Gestalt lässt sich diese völlige Umkehrung der Geschichtsbewertung besser nachweisen als an General George Armstrong Custer. In unzähligen Western – vor allem „Sein letztes Kommando“ („They Died with their Boots On“, Raoul Walsh 1942) – wurde General Custer als großer Heros gefeiert, der mit seinem 7. Kavallerieregiment unzählige Indianer tötete und nun 1876 in der zum Mythos erhobenen Schlacht am Little Big Horn gegen die Übermacht aus dem letzten Aufbegehren unterschiedlicher Indianer-Stämme den Heldentod starb. Nun bietet uns „Last Samurai“, die Superproduktion mit Tom Cruise in der Hauptrolle, die nun im deutschen Kino startet, eine ganz andere Sicht von General Custer.

Im Mittelpunkt von „Last Samurai“ steht Captain Nathan Algren (Tom Cruise), der einst in der US-Armee unter General Custer diente. In einer der letzten Einstellungen von „Last Samurai“ verweilt die Kamera in einer Halbnahaufnahme lange genug, damit der Zuschauer die „7“ auf jeder Achselklappe erkennen kann, die Algrens Zugehörigkeit zur Einheit Custers dokumentiert. Die Brutalität, die Captain Algren unter Custers Feldzügen erlebte, hat ihn aus der Bahn geworfen: die Abschlachtung unschuldiger Frauen und Kinder verfolgt ihn in seinen Träumen. Custers Ausrottungswahn gegen die Indianer und seine sinnlose Schlacht an Little Big Horn haben aus dem ehemaligen Hauptmann einen Zyniker werden lassen. „Warum hassen Sie Ihr Land so sehr?“ wird er irgendwann einmal in „Last Samurai“ gefragt. Genau dies ist die Schlüsselfrage des Spielfilmes, die auch etwas allgemeiner formuliert werden könnte: Warum hassen die Filmemacher die westliche Kultur und verklären die fernöstliche Kultur so sehr?

Wie einst in „Der mit dem Wolf tanzt“ erscheint „der weiße Mann“ als Zerstörer einer Idylle. Nur der Schauplatz hat sich geändert: statt im „Wilden Westen“ spielt „Last Samurai“ in den Jahren 1876–77 in Japan, wo die Telegrafenleitungen und die Eisenbahnschienen im Begriff sind, das traditionelle Japan zu verändern – wie den Westen der Vereinigten Staaten. Bei der Modernisierung und Öffnung Japans nach zweihundert Jahren Isolationismus spielen die nun in der Weltpolitik erstarkenden Vereinigten Staaten eine zunehmend wichtige Rolle. Sie betrachten Japan als wichtiger Auslandsmarkt und schicken gerne etwa auch militärische Berater, der Japan beim Aufbau einer modernen Armee helfen sollen. Kehrseite der Medaille ist das Zurückdrängen einheimischer Traditionen im Land der aufgehenden Sonne, insbesondere der Lebensweise der Samurai.

„Last Samurai“ exemplifiziert die Konfrontation zwischen der westlichen und der fernöstlichen Welt in der Auseinandersetzung zwischen Captain Nathan Algren, der sich vom japanischen Kaiser als militärischer Berater anwerben lässt, und Samurai-General Katsumoto, dem ehemaligen Lehrer des jungen Tenno. Katsumoto hat sich in die Berge zurückgezogen und bekämpft – auch mit Waffengewalt – die Modernisierung Japans. In einem Scharmützel nimmt Katsumoto Algren gefangen, der in den Prinzipien der Samurai alles wiederfindet, was er unter Custer verlor. Ähnlich Lieutenant Dunbar (Kevin Costner) in „Der mit dem Wolf tanzt“ findet Captain Nathan Algren seinen Seelenfrieden und sein Zuhause in der Idylle einer vom „weißen Mann“ unberührten Welt.

Visuell erinnert „Last Samurai“ stark an die Filme des japanischen Regiemeisters Akira Kurosawa (1910–88), etwa „Rashomon“ (1950), „Kagemusha“ (1980) oder „Ran“ (1985) – unter den Mitarbeitern von „Last Samurai“ befinden sich etliche Fachleute, die in Kurosawas letzten Filmen mitwirkten –, etwa in der Darstellung der Samurai-Kämpfe und der wahrhaft meisterlich choreographierten Schlachten. Die Kampfszenen werden mit großem Realismus inszeniert, Blutspritzer inklusive, zugleich jedoch mit jenem Ballet-Charakter, der „Tiger und Dragon“ (Ang Lee, 2000) in den „Martial-Arts-Film“ einführte. Tom Cruise liefert eine außerordentliche schauspielerische Leistung – eine Oscar-Nominierung scheint ihm sicher zu sein. Neben Tom Cruise brillieren aber nicht nur etwa Timothy Spall, sondern auch im Westen kaum bekannte japanische Schauspieler: Ken Watanabe als General Katsumoto, Hiroyuki Sanada als traditionsbewusster Kämpfer Ujio sowie das ehemalige Model Koyuki als Taka, die sich um die Genesung des Ausländers kümmern soll, der ihren Ehemann im Gefecht tötete.

„Last Samurai“ wirft nicht nur einen nostalgischen Blick zurück auf die traditionelle japanische Kultur, sondern ergreift darüber hinaus eindeutig Partei etwa für den Ehrenkodex der Samurai, der einen heldenhaften Tod verehrt – was den Selbstmord mit einschließt. Was auch zu einer überdeutlichen Schwarz-Weiß-Malerei führt: der Japaner, der die Verwestlichung seines Landes anstrebt – durch den Beamten Omura exemplifiziert – wird verteufelt; mit der Ausnahme von Algren sind die Weißen entweder Opportunisten oder Massenmörder. In dieses Bild passt auch die Darstellung der Religion: Katsumotos Dorf wird als „spiritueller Ort“ bezeichnet; Katsumotos Gebet zu Buddha wird extrem positiv konnotiert. Aber das wussten wir schon: wer heute in einem Hollywood-Film beten will, ohne lächerlich gemacht oder als verknöchert dargestellt zu werden, muss sich schon an eine fernöstlichen Gottheit wenden.
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