BERLINALE 2016 - WETTBEWERB | Berlinale 2016 - Wettbewerb
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Land, Jahr: 0
Laufzeit: 0 Minuten
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José García
Foto: Berlinale / Friede Claus

Die am Wochenende zu Ende gegangene 66. Berlinale zeigte insgesamt 434 Filme, von denen 18 im „Wettbewerb“ um den Goldenden und die Silbernen Bären konkurrierten. Begonnen hatte der Wettbewerb am 11. Februar mit einem Film außer Konkurrenz: „Hail, Caesar!“ (siehe Filmarchiv) verbreitete gute Laune und machte Lust auf weitere cineastische Höhepunkte, die allerdings im restlichen Programm leider ausblieben. Außerdem brachte das Drehbuch- und Regie-Brüderpaar Joel und Ethan Coen eine ganze Reihe Stars mit nach Berlin. Glamour auf dem Roten Teppich und eine große Menschentraube vor dem Hyatt-Hotel gehören eben auch zur Stimmung eines Filmfestivals.

Spätabtreibungsdrama als emotional aufwühlender Film

Der einzige deutsche Beitrag im Berlinale-Wettbewerb 2016 sorgte für Emotionen im Kinosaal und reichlichen Gesprächsstoff danach. In „24 Wochen“ freut sich Kabarettistin Astrid (Julia Jentsch) zusammen mit ihrem Lebensgefährten Markus (Bjarne Mädel) und der 9-jährigen Tochter Nele auf ihr zweites Kind. Im Laufe der Schwangerschaft stellt es sich aber heraus, dass das Kind mit Down-Syndrom auf die Welt kommen wird. Das Paar will sich allerdings zuversichtlich der Herausforderung stellen. Als jedoch die Ärzte noch einen Herzfehler diagnostizieren, der mindestens eine Operation nötig machen wird, fängt Astrid an zu schwanken. Sie entscheidet sich für eine Spätabtreibung in der 24. Woche. Da das Kind außerhalb des Mutterleibes lebensfähig wäre, tötet es der Arzt mit einer Kaliumchlorid-Spritze, ehe die Geburt eingeleitet wird. Dies wird mit größtem, kaum erträglichem Realismus dargestellt, da der Abtreibungsarzt nicht von einem Schauspieler verkörpert wird: Zwar wurde der Name geändert, aber es handelt sich um einen Arzt, der im wirklichen Leben Abtreibungen vornimmt. Moralische Bedenken werden schnell beiseitegeschoben. Als Markus, der eigentlich gegen die Abtreibung ist, seine Frau fragt, ob sie nicht Schuldgefühle haben werden, antwortet sie: „Wie kommst Du auf dieses christliche Schuld-Ding?“ Danach wird Astrid nur sagen: „Ob es richtig oder falsch war, weiß ich nicht – vielleicht ein bisschen beides“.

In der anschließenden Pressekonferenz bekannte die aus Erfurt stammende Regisseurin Anne Zohra Berrached, sie habe selbst einmal abgetrieben. Zu ihren Recherchen führte die 33-jährige Regisseurin aus, es sei ungemein schwierig gewesen, Frauen zum Sprechen zu bewegen, die eine Spätabtreibung vorgenommen hätten. Sie könnte auch nach Jahren kaum darüber reden. Deshalb liegt die Frage nahe, warum „24 Wochen“ mit der Abtreibung endet, warum der Film nicht zeigt, was in den Eltern die Tötung ihres Kindes auslöst. Daraus wäre sicher der interessantere Film geworden.

Aufwühlend wirkte ebenfalls auch das Flüchtlingsdrama „Fuocoammare“ von Gianfranco Rosi, der mit dem Goldenen Bären ausgezeichnet wurde. Der Dokumentarfilm zeigt aus der Sicht des 12-jährigen Samuele die Dramen, die sich auf der Insel Lampedusa abspielen – real, aber auch symbolisch für die Fluchtbewegungen nach Europa. Dass „Fuocoammare“ den Hauptpreis gewann, ist keine überraschende Entscheidung, hat sich doch die Berlinale immer das Politische auf ihre Fahnen geschrieben.

Kaum herausragende Filme im Wettbewerb

Aus dem Wettbewerb-Programm ragte kaum ein Film heraus. Am ehesten Michael Grandages britisch-US-amerikanische Produktion „Genius“, die allerdings wie „24 Wochen“ bei der Preisverleihung leer ausging. „Genius“ erzählt vom teils kreativen, teils schwierigen Verhältnis zwischen dem Verlagslektor Max Perkins (Colin Firth), der Schriftsteller wie Ernest Hemingway und F. Scott Fitzgerald entdeckte, und dem damals unbekannten Thomas Wolfe (Jude Law). Auch wenn der Film sehr konventionell angelegt ist, überzeugt die schauspielerische Leistung der zwei Darsteller, die so gegensätzliche Charaktere verkörpern. Darüber hinaus nimmt er sich als eine Hommage an die Menschen aus, die hinter den Autoren stehen, die aber zum Gelingen eines Buches beitragen, ohne freilich auf Selbstkritik zu verzichten: „Das raubt uns Verlegern den Schlaf. Machen wir Bücher besser oder nur anders?“.

Für „L’avenir“ („Die Zukunft“) erhielt Mia Hansen-Løve den Silbernen Bären für die beste Regie. Der Film der 34-jährigen Regisseurin aus Paris dreht sich um die Philosophielehrerin Nathalie (Isabelle Huppert), die mit einem Universitätsprofessor verheiratet ist, und sich rührend um ihre Mutter kümmert. Plötzlich verlässt ihr Mann Nathalie wegen einer anderen Frau. Ihre Mutter stirbt. Die Kinder sind auch schon aus dem Haus. Nach Jahrzehnten verfügt die Endfünfzigerin über Freiheit. Doch Nathalie fällt eigentlich nichts ein, was sie mit ihrer Freiheit anfangen könnte. Wenn auch dadurch „L’avenir“ den Zustand einer sinnentleerten Kultur unterstrich, so ist der Stillstand für einen Spielfilm nicht gerade förderlich. Immerhin überzeugte die Darstellung Isabelle Hupperts als Nathalie.

Einen interessanten Ansatz wählte Danis Tanovic für „Smrt u Sarajevu“ („Tod in Sarajevo“), der vom 100. Jahrestag der Ermordung des Thronfolgers Österreich-Ungarns Franz Ferdinand handelt. Sein „Hotel Europa“ wird vom Manager mit harter Hand geführt. Im Keller wird gezockt. Die Angestellten nörgeln, weil sie seit zwei Monaten keinen Lohn bekommen haben. Aber wer mit Streik droht, bekommt es mit Schlägern zu tun. In der Präsidentensuite übt ein Ehrengast eine Rede über Frieden und Verständigung. Auf der Dachterrasse werden Interviews geführt, darunter mit einem Gavrilo Princip, der sich als Nachfahre des Attentäters von 1914 ausgibt. War der eigentliche Princip ein Verbrecher oder ein Nationalheld? Die Frage bleibt natürlich unbeantwortet. Obwohl der Film reichlich konstruiert wirkt, gewann er den zweiten Preis, den Silbernen Bären „Großer Preis der Jury“.

Leicht hatte es die Internationale Jury nicht, aus den eher durchschnittlichen Filmen, die am Wettbewerb teilnahmen, die Preise halbwegs gerecht zu verteilen. Was sich daran zeigt, dass kein Film mehr als einen Preis gewann. Die wohl umstrittenste Auszeichnung der Internationalen Jury ging als „Bestes Drehbuch“ an die polnische Produktion „Zjednoczone stany milosci“ („Vereinigte Staaten der Liebe“) von Tomasz Wasilewski. Der Film folgt vier Frauen zu Beginn des Jahres 1990: Die Mauer ist gefallen, aber die Sehnsüchte sind geblieben. Allen vier gemeinsam ist es, dass ihre Liebe unausgefüllt bleibt. „Der Regisseur muss ein gestörtes Verhältnis zu Frauen haben“, bemerkte dazu eine Filmkritikerin. Eine andere sprach von „frauenfeindlichem Film“.

Einige Wettbewerbsfilme zeigten zwar interessante Ansätze, konnten aber letztlich nicht überzeugen. So etwa der mexikanische Film „Soy Nero“ von Rafi Pitts. „Soy Nero“ erzählt von einem jungen Mexikaner, der unbedingt in die Vereinigten Staaten möchte, wo sein Halbbruder lebt. Die einzige legale Möglichkeit, eine „Greencard“ zu erhalten, besteht darin, in der US-Armee zu dienen. So findet sich Nero nach 70 geschlagenen Filmminuten in Afghanistan. Eine unausgegorene Dramaturgie zusammen mit einem abrupten, eher symbolisch gedachten Ende ließ den Zuschauer eher ratlos zurück. Auch „Cartas da guerra“ („Briefe aus dem Krieg“) von Ivo M. Ferreira bestich zunächst einmal durch die gestochen scharfen Schwarzweißbilder. Dennoch: Der dauernde, repetitive Einsatz der Off-Stimme und die kaum vorhandene Verankerung in den politischen Zusammenhang – immerhin ist der Film in Angola während des letzten Kolonialkrieges angesiedelt, den Portugal führte – ermüdeten bald.

Das Spielfilmdebüt von Mohamed Ben Attia „Inhebbek Hedi“ (Hedi) stellt einen jungen Tunesier in den Mittelpunkt: Hedi soll nach dem Willen seiner Mutter eine junge Frau aus traditioneller Familie heiraten. Wenige Tage vor der Hochzeit lernt er aber eine emanzipierte Frau kennen, in die er sich Hals über Kopf verliebt. Ben Attias Film kommt jedoch kaum über die Aussage „ein Land zwischen Tradition und Moderne“ hinaus, was sich nicht gerade als origineller Gedanke ausnimmt. Kaum einer dieser Filme hätte es in das reguläre Kinoprogramm geschafft.

Größte Enttäuschung: „Alone in Berlin“

Mit großem Staraufgebot drehte der gebürtige Schweizer Vincent Perez den Fallada-Roman „Jeder stirbt für sich allein“ unter dem internationalen Filmtitel „Alone in Berlin“. In der deutsch-französisch-britischen Produktion spielen die Hauptrolle die britischen Darsteller Emma Thompson und Brendan Gleeson. Dass ein in Berlin spielender deutscher Roman mit überwiegend deutschen Schauspielern auf Englisch verfilmt wurde, irritiert den Zuschauer. Wobei die meisten deutschen Schauspieler lediglich in einer Szene auftreten, einen oder zwei Sätze sagen und dann wieder von der Leinwand verschwinden. Wenn grauenhafte Kulissen und wild durch das Bild laufende Komparsen dazu kommen, ist der Film kaum denn als völlig misslungen zu bezeichnen. Zumal vom Geist der Buchvorlage eher wenig übrig bleibt.

Bei so vielen durchschnittlichen Filmen stellt sich die Frage, ob die 18 Produktionen aus dem Wettbewerb die beste Auslese aus den 434 Filmen darstellte, die insgesamt vom 11. bis zum 21. Februar auf den Internationalen Filmfestspielen Berlin gezeigt wurden. Mancher Besucher könnte sich auch noch die Frage stellen: Was für einen Sinn hat ein Filmfestival, wenn die Filme, die dort gezeigt werden, kaum das Niveau des regulären Kinoprogramms erreichen?
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