BIRNENKUCHEN MIT LAVENDEL | Le goût des merveilles
Filmische Qualität:   
Regie: Éric Besnard
Darsteller: Virginie Efira, Benjamin Lavernhe, Lucie Fagedet, Léo Lorlearc’h, Hervé Pierre, Hiam Abbass, Laurent Bateau
Land, Jahr: Frankreich 2015
Laufzeit: 101 Minuten
Genre: Komödien/Liebeskomödien
Publikum: ab 12 Jahren
Einschränkungen: --
im Kino: 3/2016
Auf DVD: 10/2016


José Garcia
Foto: Neue Visionen

Die verwitwete Louise (Virginie Efira) lebt mit ihren Kindern Emma (Lucie Fagedet) und Felix (Léo Lorleac’h) auf der Birnen- und Bienenplantage, die ihr Mann in der Provence aufgebaut hatte. Obwohl sie Tag für Tag auf dem Markt Lavendelhonig und „Merveilles“ – selbstgebackenen Birnenkuchen in verschiedenen Variationen – verkauft, steht der Hof vor dem Bankrott. Ihr Nachbarn Paul (Laurent Bateau), der ohnehin in die schöne Witwe verliebt ist, schlägt ihr vor, ihr das Land abzukaufen. Sie könnten ja heiraten und die beiden Güter zusammenlegen. Obwohl Louise dies einleuchtet, ist ihr bei der Überlegung, den liebgewordenen Hof aufzugeben, nicht besonders wohl. In dieser Situation platzt Pierre (Benjamin Lavernhe) in ihr Leben: Er rennt ihr buchstäblich vors Auto. Pierre ist ein Eigenbrötler, außerordentlich ordnungsliebend und mit einer besonderen Vorliebe für die Primzahlen.

Nach und nach richtet sich Pierre in Louises Leben ein. Obwohl sie zurzeit „keinen Kopf für einen Kerl“ hat, kann sie den jungen Mann mit Asperger-Syndrom gar nicht abschütteln. Zunächst der kleine Felix, dann die pubertierende Emma beginnen, sich mit Pierre immer besser zu verstehen. Bei einem Besuch im Antiquariat von Jules (Hervé Pierre), wo sich Pierre eine Zufluchtsstätte eingerichtet hat, erfährt Louise einiges aus dem Leben des auf den ersten Blick wunderlich wirkenden Mannes – und beginnt, Pierre richtig zu verstehen.

Drehbuchautor und Regisseur Éric Besnard entwickelt aus dieser Ausgangssituation eine romantische Komödie, die teilweise den Regeln des Genres folgt, teilweise aber wegen seiner Hauptfigur originell wirkt. So wird seine Vorliebe für Primzahlen und den Wetterdienst noch von seiner Passion für bunte Aufkleber in Kreisform übertroffen – was sich zu einem immer wiederkehrenden visuellen Witz entwickelt. Obwohl Pierres Hackereigenschaften schon zu viel des Guten erscheint, gelingt Éric Besnard eine wunderbar leichte Komödie, die das Kitschige immer wieder umschifft, und die bestens unterhält, was größtenteils den überzeugenden, sympathischen Hauptdarstellern zu verdanken ist.


Interview mit Drehbuchautor und Regisseur Éric Besnard

Romantische Komödien leben größtenteils von Gegensätzen. Aber hier ist der Gegensatz zwischen der etwas chaotischen Louise und dem auf penible Ordnung bedachten Pierre gewaltig. Wie kamen Sie auf den Gedanken, dass die männliche Hauptfigur am Asperger-Syndrom leidet?

Ich suchte nach einer Figur, die wirklich im Jetzt lebt, der sich – um es philosophisch auszudrücken – mit dem Jetzt versöhnt. Mir war es wichtig, dass er eine besondere Fähigkeit zum Staunen besitzt, dass er das Vermögen nicht eingebüßt hat, sich über die Dinge zu wundern. Meiner Frau, die als Psychoanalytikerin mit vielen Patienten mit Asperger-Syndrom und auch Autisten arbeitet, brachte mich auf den Gedanken, dass ein Mann mit Asperger-Syndrom sehr gut zu der Geschichte passen würde. Während Louise mitten im Leben steht, den ganzen Tag hin- und herrennt, und dabei ziemlich chaotisch ist, zeichnet sich Pierre dadurch aus, dass er außerhalb dieser Tretmühle steht. Ich empfand dies als interessanten Gegensatz.

Eine Art Running Gag sind die Klebepunkte, die Pierre überall anbringt. Ist dies typisch für Menschen mit Asperger-Syndrom?

Eine selbstklebende „gommette“ – ein Aufkleber – in Punktform hat als Kreis eine vollkommene Form. Und die Menschen, die an Asperger leiden, sind von der Idee der Vollkommenheit geradezu besessen. Als ich eine Einrichtung für Asperger-Patienten besuchte, fielen mir diese Aufkleber auf, die dort überall zu finden waren. Allerdings ist die Idee, das ganze Zimmer mit Klebepunkten zuzupflastern, der Aborigines-Kunst entnommen. Es hängt mit der Kosmogonie, mit der Mythologie der australischen Aborigines zusammen.

Zu den Regeln eines Spielfilms gehört es, dass der „Held“ eine Entwicklung durchläuft. Pierre verändert sich aber nicht. Könnte man sogar behaupten, dass er seine Umgebung verändert?

Ja, genau. In der Regel schreiben Drehbücher vor, dass sich die Hauptfigur entwickeln soll – was mich aber ein wenig nervt, weil man sich im Leben auch nicht so sehr verändert. Pierre verändert sich nicht. Wer sich verändert, sind die Menschen um ihn herum. Pierre verändert die anderen.

Das gilt besonders für die Kinder. Louises Kinder suchen einerseits eine Vaterfigur, nachdem ihr Vater gestorben ist. Andererseits gibt es eine „gute Chemie“ zwischen Pierre und den Kindern. Worauf ist dieses gutes Verständnis zwischen Pierre und den Kindern zurückzuführen?

Je jünger sie sind, desto besser verstehen sie Pierre. Denn wie er besitzen auch sie noch die Fähigkeit zu staunen, sich über alltägliche Dinge zu wundern, sie als Geschenk anzusehen. Daher auch der Originaltitel des Filmes „Le gout des merveilles“ (etwa: „Der Geschmack der Wunder“). Diese Fähigkeit lässt leider nach, wenn man erwachsen wird. Mit seiner entwaffnenden Art gewinnt deshalb Pierre zunächst den kleinen Felix, dann dessen ältere Schwester Emma und zuletzt Louise für sich.

Wie sind Sie auf diese großartigen Nebenfiguren, etwa auf den Antiquariats-Buchhändler Jules, gekommen?

Für mich ist Jules – um es mit einem französischen Ausdruck aus dem 18. Jahrhundert zu sagen – ein „homme honnête“, ein anständiger Mensch. Er symbolisiert den Bezug zur Kultur. Diese Kultur, die Welt der Bücher, beschützt Pierre, als bilde sie eine Blase um ihn herum. Louises Eintritt in Pierres Welt, als dieser sich in sie verliebt, bringt diese Blase zum Platzen. Denn Pierre braucht den Schutz der Bücher, der Kultur nicht mehr. Mir gefällt es sehr gut, dass Jules es erkennt, weil er selbst mit seiner eigenen Frau erfahren hatte, dass über der Kultur noch etwas steht, die Liebe, ein anderer Mensch.

Paul ist ebenfalls ganz anders als Louise. Er könnte ebenfalls Ordnung in Louises Leben bringen, aber eine ganz andere, eine realistischere Ordnung als Pierre. Wie charakterisieren Sie Paul?

Paul wäre eine weitere Option, eine andere Lösung. Ich wollte keinen Film mit einem Bösewicht machen. Paul ist ein Nachbar und er liebt Louise. Was er vorschlägt, wäre eine gute Lösung. Allerdings hat er kein Glück, weil er auf einen Superhelden, auf Pierre, trifft. Solche Lösungen, zwei Höfe zusammenzulegen, waren nicht nur früher eine gute Möglichkeit. Auch heute wäre dies eine gangbare Lösung. Aber die andere Lösung ist viel sinnlicher, viel reiner, auch wenn sie weniger rational aussieht.

Warum werden solche Filme wie „Birnenkuchen mit Lavendel“ nicht auch in Deutschland gedreht?

Auch in Frankreich ist es kaum möglich, solche Filme zu drehen, die nicht im Mainstream liegen. Denn für Filme wie „Birnenkuchen mit Lavendel“, den ich gerne als „widerständischen“ Film bezeichnen würde, gibt es kaum Finanzierungsmöglichkeiten. Ich hatte Glück, dass ich einen Mäzen fand, der den Film zusätzlich zum Fernsehsender Canal Plus mitfinanzierte.
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