LOLO - DREI IST EINER ZU VIEL | Lolo
Filmische Qualität:   
Regie: Julie Delpy
Darsteller: Julie Delpy, Dany Boon, Vincent Lacoste, Karin Viard, Antoine Lounguine, Karl Lagerfeld
Land, Jahr: Frankreich 2015
Laufzeit: 100 Minuten
Genre:
Publikum: ab 12 Jahren
Einschränkungen: D
im Kino: 3/2016
Auf DVD: 8/2016


José García
Foto: NFP

Manchem jungen Erwachsenen fällt die Abnabelung vom Elternhaus nicht leicht, weil es sich in "Hotel Mama" kostengünstig und bequem leben lässt. Laut dem statistischen Bundesamt lebten 2010 in Deutschland junge Männer zwischen 18 und 24 zu 71 Prozent bei ihren Eltern, weibliche Altersgenossen allerdings lediglich zu 57 Prozent. Auch in Großbritannien und Frankreich wird neuerdings eine deutliche Tendenz zum "Lebensparkplatz Elternhaus" festgestellt.

Als ein "Nesthocker" ganz besonderer Art stellt sich der 19-jährige Lolo (Vincent Lacoste) im französischen Spielfilm "Lolo - Drei ist einer zu viel" von Julie Delpy und ihrer Mit-Drehbuchautorin Eugénie Grandval heraus. Obwohl er in Paris eine eigene Wohnung hat, bleibt er immer wieder gerne bei seiner Mutter Violette (Julie Delpy) über Nacht, ja hin und wieder tage- oder wochenlang. Seine besitzergreifende Haltung gegenüber der Mutter sieht man dem netten jungen Mann auf den ersten Blick keineswegs an. Sie ist deshalb Violette gar nicht bewusst. Dass aber Lolo keinen (anderen) Mann im Leben seiner Mutter duldet, nimmt allerdings schon pathologische Züge an.

"Lolo - Drei ist einer zu viel" beginnt jedoch nicht in Paris, sondern in Biarritz. Im südfranzösischen Badeort macht Violette zusammen mit ihrer besten Freundin Ariane (Karin Viard) Wellness-Urlaub. Während sie noch über die Anwesenheit von Männern in ihrem Leben sinnieren, fällt Violette ein Thunfisch in den Schoß. Den hatte Jean-René (Dany Boon) gefangen und etwas tollpatschig fallen lassen. Als Entschuldigung lädt er Violette zu seiner Grillparty ein. Zwar besitzen die beiden völlig gegensätzliche Charaktere: Die Hauptstädterin hat in ihrem Beruf als Organisatorin von Modeschauen alles erreicht, der Provinzler entpuppt sich als nerdiger Informatiker, der in puncto Mode einiges zu wünschen übrig lässt. Etwas später wird Regisseurin Julie Delpy den Gegensatz in einem Bild verdeutlichen, als sie "Le Monde", er aber "L Equipe" liest. Violette und Jean-René finden jedoch Gefallen einander.
In schnellgeschnittenen Szenen zeigt der Film die Annäherung der beiden. Damit geht aber auch Violettes Urlaub zur Neige, und mit ihrer Abreise aus Biarritz scheint die Beziehung zu Ende zu sein.

Nun kommt ihnen jedoch der Zufall zu Hilfe. Denn Jean-René zieht nach Paris, weil er in der Hauptstadt für eine Großbank die von ihm selbst entwickelte Software implementieren soll. Violette und Jean-René fangen bereits an, ihre gemeinsame Zukunft zu planen ... als Lolo auf einmal wieder auftaucht. Da er mit seiner Freundin Stress habe, möchte er einige Zeit bei seiner Mutter verbringen. Obwohl sie nicht damit einverstanden ist - "Wir machen nicht auf Patchwork-Familie wie in schlechten amerikanischen Filmen" - bringt sie es nicht übers Herz, den verzogenen Jungen aus der Wohnung hinauszukomplimentieren. Bereits beim ersten Abendessen zu dritt wird Lolos hinterhältige Strategie allzu deutlich: Mit einem breiten Lächeln zeigt er sich besonders interessiert für alle möglichen Einzelheiten in Jean-Renés Beruf ? was allerdings bei Violette nur Langeweile hervorruft. Für seinen Plan, den neuen Mann an der Seite seiner Mutter innerhalb einer Woche loszuwerden, entwickelt Lolo ganz schön viel Fantasie. Einer seiner Streiche verhilft sogar Modezar Karl Lagerfeld zu einem Kurzauftritt in Julie Delpys Film. Lolo gelingt es mit Leichtigkeit, ein doppeltes Spiel zu spielen: Nach außen begegnet er Jean-René freundlich, ja zuvorkommend. Andererseits fährt er immer schwerere Geschütze gegen den ahnungslosen Provinzler auf - Lolo schreckt ja nicht einmal davor zurück, Jean-Renés Karriere zerplatzen und ihn sogar als "Cyberterrorist" dastehen zu lassen.

Der Gegensatz zwischen Paris und der Provinz zieht sich durch die französische Filmkomödie als roter Faden. Genauso wie etwa in "Sehnsucht nach Paris" (siehe Filmarchiv) die von Jean-Pierre Darroussin verkörperte Figur allein durch die Bauernkluft mitten in Paris diesem Klischee Vorschub leistete, fällt der Provinzler Jean-René durch seine Kleidung und seine Manieren auf. Was allerdings in "Lolo - Drei ist einer zu viel" eine besondere Konnotation besitzt, da Violette gerade in der Modebranche arbeitet. Regisseurin Julie Delpy zeigt jedoch genügend selbstkritische Ansätze, damit sich die Überheblichkeit der Hauptstädter gegenüber Jean-René gegen sie selbst wendet.

Bei der Inszenierung ihrer "Dreiecksgeschichte" der besonderen Art scheut Julie Delpy weder Slapstick noch eine anzügliche Sprache, wenigstens zu Beginn, die den eher intellektuellen Mitvierzigerinnen kaum anzustehen scheint. Wenn "Lolo - Drei ist einer zu viel" dennoch als Komödie funktioniert, dann wegen der Selbstironie und insbesondere auch wegen des Zusammenspiels des Schauspieler-Trios. Vor allem Neuling Vincent Lacoste überzeugt als sympathisch auftretender junger Mann, der vermeintlich Jean-René durch den Stadtdschungel lotsen möchte, der aber hinter dessen Rücken mit psychopathologischer Energie einen Keil zwischen den "Neuen" und seine Mutter treibt.

Hinter der komödiantischen Fassade verbirgt sich freilich auch eine Satire auf junge Erwachsene, die sich lieber von Muttern verwöhnen lassen, als sich um eine eigenständige Existenz zu kümmern. Im Rückkehrschluss nimmt Delpys Film freilich ebenso selbstsatirische Züge an, insofern sie eine Single-Gesellschaft geißelt, in der Erwachsene ohne Rücksicht auf die Befindlichkeiten der eigenen Kinder ihr eigenes Liebesglück mit immer wieder neuen Beziehungen versuchen.
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