GESTRANDET | Gestrandet
Filmische Qualität:   
Regie: Lisei Caspers
Darsteller: (Mitwirkende): Aman, Mohammed, Osman, Ali, Hassan, Christiane Norda, Helmut Wendt
Land, Jahr: Deutschland 2015
Laufzeit: 80 Minuten
Genre:
Publikum: ab 12 Jahren
Einschränkungen: --
im Kino: 4/2016
Auf DVD: 10/2016


José Garcia
Foto: Pandora

2015 wird wohl als das Jahr der "Flüchtlingskrise" in die Geschichte eingehen. Von den 60 Millionen Menschen, die laut UNHCR weltweit betroffen waren, kamen insbesondere ab dem Herbst 2015 Hunderttausende nach Europa. Ist in der breiten Öffentlichkeit besonders von syrischen und irakischen Flüchtlingen die Rede, so weist eine Statistik der UNO-Flüchtlingshilfe eine Besonderheit auf: Gut ein Viertel der Asylsuchenden, die über das Mittelmeer Italien erreichten, kamen aus Eritrea. Das repressive Einparteiensystem mit schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen treibt viele Menschen zur Landesflucht, obwohl sie verboten ist. Schleppernetzwerke bringen sie über Sudan und Libyen ans Mittelmeer.

Weit vor der "Flüchtlingskrise", bereits Anfang 2014, kamen fünf junge Männer aus Eritrea im ostfriesischen Dorf Strackholt an. Die aus der 1 500-Seelen-Gemeinde stammende Dokumentarfilmerin Lisei Caspers erfuhr beim Weihnachtsgottesdienst 2013 davon und beschloss, die im ostfriesischen Nirgendwo, etwa 20 km von Aurich und 42 km von Wilhelmshaven "Gestrandeten" filmisch zu begleiten. Zu ihrem Ansatz erklärt Regisseurin Caspers: "Auf dem platten Land ist die Gesellschaft noch sehr in sich geschlossen. Jeder kennt jeden und die Menschen sind in ihren Traditionen verwurzelt. Und auf einmal kommt dieses Fremde, dieses Afrikanische dazu. Ich meine damit nicht, dass es ein grundsätzliches Problem gibt, weil ich die Ostfriesen als extrem offene Menschen erlebe und die Flüchtlinge haben bis heute auch keine schlechten Erfahrungen gemacht. Aber ich habe mich schon gefragt, wie das im Alltag funktionieren wird."

Etwas abseits liegt das Haus, in dem Aman, Mohammed, Osman, Ali und Hassan untergebracht sind. Aus naheliegenden Gründen werden sie lediglich mit ihren Vornamen vorgestellt und weitere biografische Daten nicht genannt. Jedoch weisen ihre Vornamen auf ihre muslimische Herkunft hin. Im Dorf steht eine einzige Kirche, die aus dem Jahr 1240 stammende St. Barbara, seit der Reformation evangelisch-lutherisch. Religionszugehörigkeit oder im Allgemeinen Religion spielt jedoch in den Gesprächen mit den Einheimischen offenkundig keine Rolle. Zwei Einwohner Strackholts nehmen sich besonders der "Gestrandeten" an. Die Journalistin Christiane Norda ist die erste Deutsche, die sich um die jungen Eritreer kümmerte. Bald darauf engagierte sich auch der pensionierte Lehrer Helmut Wendt für die junge Eritreer, denen er Deutschunterricht gibt, und die er mit der einheimischen Bevölkerung beispielsweise bei Sportfesten in Verbindung zu bringen versucht.

Lisei Caspers beobachtet vornehmlich. Sie begleitet die fünf Männer etwa ein Jahr lang und kann deshalb die verschiedenen Höhen und Tiefen nachvollziehen, die im Wort ?Integration? stecken. Zwischentitel, etwa "Nach zwei Monaten", stecken den zeitlichen Rahmen ab. Im Laufe dieser Zeit wird der Zuschauer Zeuge der Stimmungsschwankungen bei den jungen Männern: Von der Zuversicht über die Demütigung, vom Staat abhängig zu sein, den Stillstand und die Ungewissheit, ob sie denn anerkannt werden, bis hin zu der Depression, unter der insbesondere Mohammed leidet.

Bald werden auch kulturelle Unterschiede deutlich, nicht nur als sich Helmut Wendt etwa genötigt fühlt, den jungen Männern Kondome als "wichtigen Schutz" zu empfehlen, und die Eritreer darauf eher konsterniert reagieren. Dass sie beispielsweise eine Stunde zu spät zu einem Sportfest erscheinen und dadurch den Start zu einem Lauf verpassen, sorgt genauso für Frustration beim ehemaligen Lehrer wie das mangelnde Interesse beim Deutschlernen. Erst später wird Helmut Wendt verstehen, dass die jungen Eritreer einfach mit ihren eigenen Problemen viel zu beschäftigt sind.

Einige Passagen, in denen sich mehrere Einheimische zur Frage "Was ist Heimat?" äußern, wirken eher als Einsprengsel in "Gestrandet". Sie erklären sich daher, dass die Regisseurin ursprünglich den Fokus auf die Bedeutung von Heimat legen wollte. "Im Lauf der Dreharbeiten sind wir dann aber davon abgewichen, weil wir etwas anderes gefunden haben. Ursprünglich sollte Ostfriesland eine viel größere Rolle spielen. Während des Prozesses habe ich dann aber erkannt, dass die Kraft des Films nicht in der Auseinandersetzung zwischen Ostfriesland und Afrika liegt." Auch das Schlusskapitel, das laut der Regisseurin erst ein halbes Jahr nach dem Schluss der Aufnahmen nachgedreht wurde, kommt allzu plötzlich daher.

Trotz dieser dramaturgischen Schwächen ist "Gestrandet" ein wichtiger Film, gerade weil er eine beobachtende Position einnimmt. Auch wenn es sich lediglich um eine kleine Gruppe junger Männer handelt, vermittelt "Gestrandet" einen guten Einblick in die Situation der Flüchtlinge. Dazu führt Regisseurin Caspers aus: "Ich möchte einen Anstoß geben, was wir verändern können. Indem ich zeige, wie die Solidarität, mit der Helmut und Christiane den Menschen helfen, durch die Bürokratie auf eine harte Probe gestellt wird, will ich für dieses Problem Aufmerksamkeit erzeugen." Der Film verdeutlicht insbesondere, dass die Ungewissheit, das lange Warten am Selbstwertgefühl der Menschen nagt. Dadurch, dass Lisei Caspers "Flüchtlinge" nicht als abstrakten Begriff, sondern als Menschen aus Fleisch und Blut zeigt, kann ihr Film Berührungsängste abbauen. "Gestrandet" vermittelt aber auch ein gewisses Gefühl, was für ein immenser Aufwand seitens der ehrenamtlich Tätigen erforderlich ist, damit Integration gelingen kann.
Diese Seite ausdrucken | Seite an einen Freund mailen | Newsletter abonnieren