BAUERNOPFER - SPIEL DER KÖNIGE | Pawn Sacrifice
Filmische Qualität:   
Regie: Edward Zwick
Darsteller: Tobey Maguire, Liev Schreiber, Peter Sarsgaard, Michael Stuhlbarg, Edward Zinoviev, Lily Rabe
Land, Jahr: USA 2015
Laufzeit: 114 Minuten
Genre:
Publikum: ab 12 Jahren
Einschränkungen: --
im Kino: 4/2016
Auf DVD: 9/2016


José Garcia
Foto: Studiocanal

Fernsehnachrichten aus aller Welt berichten, Bobby Fischer sei zur zweiten Partie der Schach-Weltmeisterschaft 1972 gegen Boris Spasski gar nicht angetreten. Die Nachrichten in den unterschiedlichsten Sprachen, mit denen Regisseur Edward Zwick seinen Spielfilm "Bauernopfer - Spiel der Könige" ("Pawn Sacrifice") eröffnet, verdeutlichen: Die ganze Welt schaut gebannt auf die Schach-Weltmeisterschaft. Das Schach-Fieber hat insbesondere die Vereinigten Staaten befallen. Denn es war das erste Mal, dass ein US-Amerikaner der Sowjetischen Schachschule ihre ein halbes Jahrhundert währende Vormachtstellung streitig machte: Seitdem Alexander Aljechin 1937 durch einen Revanchekampf gegen den Niederländer Max Euwe den Weltmeistertitel zurückerobert hatte, den Aljechin bereits von 1927-1935 geführt hatte, kamen alle Schach-Weltmeister aus der Sowjetunion. Der 1972 amtierende Weltmeister Boris Spasski, gegen den Bobby Fischer antrat, hatte den Titel 1969 gegen den sowjetischen Großmeister armenischer Herkunft Tigran Petrosjan gewonnen.

Die in Reykjavik vom 11. Juli bis zum 1. September 1972 stattfindende Schach-Weltmeisterschaft wurde als "Match des Jahrhunderts" und zum "Wettkampf der Systeme" stilisiert. Im Vorfeld mussten offenbar die führenden sowjetischen Großmeister Dossiers erstellen, in denen sie Stärken und Schwächen Fischers analysieren und Vorschläge zur Eröffnungswahl unterbreiten sollten. Denn nach der Vorstellung der Kommunistischen Partei sollte Boris Spasski die Überlegenheit der sowjetischen Gesellschaft im Allgemeinen und der Sowjetischen Schachschule im Besonderen unter Beweis stellen. Henry Kissinger schaltete sich ebenfalls ein: "Amerika wünscht sich, dass Sie da hinfahren und die Russen schlagen!", soll der Sicherheitsberater des US-Präsidenten Bobby Fischer am Telefon gesagt haben. Die Schachweltmeisterschaft wurde denn auch zu einem Stellvertreterkrieg im Kalten Krieg. Regisseur Edward Zwick setzt diese politische Dimension etwa auch dadurch ins Bild, dass Henry Kissinger und US-Präsident Richard Nixon die Schach-Partien am Fernsehen im Oval Office verfolgen.

Die Dokumentarbilder aus den Fernsehnachrichten lässt Regisseur Zwick in Spielfilmbilder übergehen: Bobby Fischer (Toby Maguire) wird in seinem Hotel von einer Paranoia-Attacke heimgesucht. Diese kurze Szene vermittelt dem Zuschauer einen Hauptcharakterzug des damaligen Herausforderers. Woher sie kommt, verdeutlicht Zwicks Film zu Beginn einer ausgedehnten Rückblende. Im November 1951 lebt Bobby als 8-Jähriger in Brooklyn. Seine Mutter Regina Fischer (Robin Weigert) schärft ihm ein, dass die Familie ausspioniert wird. Tatsächlich wurde die überzeugte Kommunistin vom FBI überwacht. Bobby flüchtet sich ins Schachspiel. "Bauernopfer - Spiel der Könige" zeigt den Aufstieg des Schach-Wunderkindes in einer schnellen Szenenfolge: Bobby wird von der Mutter zu einem Schachclub gebracht, wo der Vorsitzende sich vom Potenzial des Jungen beeindruckt zeigt. Mit 14 Jahren ist Fischer bereits US-Schachmeister, mit 15 erhält er den Großmeister-Titel zuerkannt. Bobby Fischer ist 1959 der jüngste Großmeister aller Zeiten.

Herzstück von Edward Zwicks (Regie) und Steven Knights (Drehbuch) Filmbiografie über Bobby Fischer ist und bleibt die Weltmeisterschaft 1972. Spannung erzeugt "Bauernopfer - Spiel der Könige", indem Fischer nicht an der offiziellen Eröffnungsfeier teilnimmt, nach Island in letzter Minute reist und erst nach dem Beginn der ersten Partie gegen Spasski (Liev Schreiber) am Austragungsort erscheint, die er dann auch verliert. Es folgt der dramatische Höhepunkt, mit dem Zwicks Film auch begonnen hatte: Fischers Fernbleiben in der zweiten Partie, die er deshalb als kampflos verloren gibt. Der exzentrische amerikanische Großmeister protestierte damit gegen die Fernsehkameras, die seine Konzentration beeinträchtigten. Im Wesentlichen spiegelt diese klassische Dramaturgie die Wirklichkeit wider, wenn auch der Film sie zuspitzt. So etwa, wenn darauf hingewiesen wird, dass Fischer 24 Stunden verbleiben, um zu erklären, dass er die Weltmeisterschaft fortsetzen möchte. Regisseur Zwick schneidet parallel dazu eine Szene, in der William "Bill" Lombardy (Peter Sarsgaard) den Rosenkranz betet.

Ehe er 1967 zum römisch-katholischen Priester geweiht wurde, hatte Bill Lombardy eine bemerkenswerte Schachkarriere hinter sich: Juniorweltmeister 1957, erhielt er 1960 den Titel Großmeister. Er vertrat sein Land in den Schacholympiaden von 1958 bis 1978, und war einer der wenigen, die Bobby Fischer in Schach jemals schlugen. Bei der Weltmeisterschaft 1972 wurde Father Lombardy von Bobby Fischer zum offiziellen Sekundanten gewählt. "Bauernopfer - Spiel der Könige" räumt ihm insofern eine herausragende Stellung ein, als Bill Lombardy der Einzige ist, der den paranoiden Fischer "managen" kann. Der dritte im Bunde ist der Rechtsanwalt Paul Marshall (Michael Stuhlbarg), der sich eher aus patriotischen Gründen für Fischer einsetzte und als dessen Agent auftrat. Zwicks Film lässt den Zuschauer im Unklaren, ob Marshall für die CIA oder eine andere US-Einrichtung arbeitete.

Durch die Einfühlung in die komplexe Persönlichkeit eines der größten Schach-Genies der Geschichte, der von Tobey Maguire mit einer Mischung aus an Wahnsinn grenzender Exzentrizität, Verletzlichkeit und Charisma verkörpert wird, sowie durch die gelungene Einbindung in den historischen Kontext liefern Drehbuchautor Steven Knight und Regisseur Edward Zwick eine vorzügliche Filmbiografie und eine Zeitstudie des Kalten Krieges.
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