SCHROTTEN! | Schrotten!
Filmische Qualität:   
Regie: Max Zähle
Darsteller: Lucas Gregorowicz, Frederick Lau, Anna Bederke, Lars Rudolph, Heiko Pinkowski, Jan-Gregor Kremp, Rainer Bock, Alexander Scheer
Land, Jahr: Deutschland 2016
Laufzeit: 96 Minuten
Genre:
Publikum: ab 12 Jahren
Einschränkungen: --
im Kino: 5/2016
Auf DVD: 9/2016


José García
Foto: Port-au-Prince

Von der Vergangenheit eingeholt zu werden, gehört zu den geläufigen dramaturgischen Wendungen in Spielfilmen. In Max Zähles Film "Schrotten!" wird der Mittdreißiger Mirko Talhammer (Lucas Gregorowicz) gleich zu Filmbeginn von lieben Verwandten aus einer Vergangenheit aufgesucht, die er eigentlich bereits vor Jahren hinter sich gelassen hatte. Träumchen (Lars Rudolph) und Schmied (Heiko Pinkowski) sind in Mirkos Hamburger Versicherungsbüro gekommen, um den verlorenen Sohn auf den Schrottplatz seines Vaters Fiete (Kalli Struck) zurückzuholen. Eigentlich hatte sich Mirko versprochen, nie wieder in die norddeutsche Provinz zurückzukehren. Aber die "Schrottis" verfügen über schlagkräftige Argumente, denen sich der Anzugträger nicht entziehen kann. So findet er sich bald auf dem Schrottplatz wieder, wo er vom Tod des Vaters Fiete erfährt.

Zwar hat Fiete ihn zusammen mit seinem jüngeren Bruder Letscho (Frederick Lau) zum Erbe eingesetzt. Aber Mirko denkt nur daran, möglichst bald nach Hamburg zurückzukehren. Einerseits, weil Letscho ihm noch immer nicht verziehen hat, dass er seine Familie im Stich gelassen hat. Andererseits aber auch, weil Mirko schnell feststellt, dass sich auf dem Schrottplatz nichts geändert hat. So lebt der Clan nach eigenen Regeln ("Lieber tot als Sklave!"), zu denen etwa auch die "rotwelschen" Ausdrücke der Gaunersprache gehören. Ebenso blitzartig wird ihm auch klar, dass der Betrieb schon lange völlig marode ist. Denn der klassische Handel mit Altmetall wirft kaum noch Gewinne ab. Die Zukunft gehört den modernen Recyclingunternehmen, etwa dem von Wolfgang Kercher (Jan-Gregor Kremp), der ohnehin schon lange den Konkurrenten einfach aufkaufen will.

Bei Fietes Beerdigung tritt Kercher denn auch an Mirko heran, um ihm ein Kaufangebot zu machen. Mit Kerchers großzügiger Anzahlung wären die akuten Geldprobleme Mirkos aus der Welt. Denn Mirko hat Schulden, weil sein windiges Versicherungs-Schneeballsystem aufgeflogen ist und die Versicherungsfirma die Rückzahlung von 100 000 Euro von ihm verlangt. Allerdings muss Mirko zunächst seinen Bruder Letscho davon überzeugen. Aber Letscho sperrt sich völlig dagegen und nennt seinen Bruder einen Verräter. Als Mirko erfährt, dass der Familienrat ihn auszahlen will, statt zu verkaufen, wird er skeptisch: Woher sollen sie so viel Geld haben? Von seinem alten Kumpel Rambo (Alexander Scheer) erfährt er, dass die Schrottis eine ganz große Nummer planen. Die attraktive Verwalterin Luzi (Anna Bederke) weiht Mirko in die Pläne der Talhammers ein: Sie wollen einen Zugwaggon mit 40 Tonnen Kupfer stehlen. Weil Mirko davon überzeugt ist, dass das ganze Unternehmen eine Nummer zu groß für Letscho ist, will er unbedingt dabei sein. Außerdem hat er längst auf die resolute und gutaussehende Liz ein Auge geworfen.

Regisseur Max Zähle und seine Mit-Drehbuchautoren Johanna Pfaff und Oliver Keidel verstehen es, die eigentlich einfache Story spannend in Szene zu setzen. Dabei spielen die Produktionsdesigner eine wichtige Rolle. Der Schrottplatz an sich wird mit viel Liebe zum Detail eingerichtet samt höher gelegenem Büro, von dem aus alles überblickt wird. Besondere Sorgfalt verwendet das Szenenbild von Iris Trescher-Lorenz auf den Schienenbau, mit dem der Zugraub gelingen soll, so dass der an sich ziemlich abstrus klingende Streich dank auch der unauffälligen, aber wirksamen Kameraführung von Carol Burandt von Kameke völlig realistisch wirkt. Mit einem flotten Rhythmus und einigen wohldosierten Wendungen erzeugen Max Zähle und seine Co-Autoren darüber hinaus bei allen komödiantischen Elemente auch genretypische Spannung. Mit dieser Verknüpfung erinnert "Schrotten!" an Kriminalkomödien a la "Wie klaut man eine Million?" (William Wyler, 1966).

Hinter dem abenteuerlichen Unternehmen Waggonraub und den lakonischen Dialogen handelt "Schrotten!" indes eigentlich vom Verhältnis zwischen den ungleichen Brüdern. Der clevere Mirko im Anzug kontrastiert stark mit dem einfachgestrickten Letscho, der aber das Herz am rechten Fleck hat. Die langsame Wiederannäherung der Brüder spiegelt sich auch darin wider, dass sich Mirkos Aussehen nach und nach dem seines Bruders angleicht. Frederick Lau und Lucas Gregorowicz füllen diese auf dem Papier zugegebenermaßen etwas klischeehaften Figuren mit Leben. Sie werden außerdem - was immer auch ein Kriterium für gute Filme ist - von exzellent gezeichneten und ebenso großartig dargestellten Nebencharakteren bestens unterstützt: Lars Rudolph, Heiko Pinkowski, Jan-Gregor Kremp und insbesondere auch Anna Bederke gestalten ihre Rollen des skurrilen Schrotti-Clans glaubwürdig.

Dank des liebenswerten Schauspielensembles und der geradlinigen Regie kommt "Schrotten!" im Gegensatz zu manchen deutschen Komödien der letzten Jahre ohne Witze unter der Gürtellinie, ohne peinliche Zoten aus. Mit seinen teils unbedarften Figuren erinnert "Schrotten!" eher an den großartigen Detlev-Buck-Film "Wir können auch anders ..." (1989) um zwei westdeutsche Analphabeten auf ihrer abenteuerlichen Reise durch das gerade wiedervereinigte Deutschland. Max Zähle setzt ebenso wie Detlev Buck Western-Anspielungen gekonnt ein, nicht nur im Zugraub, sondern etwa auch in dem Ritt beziehungsweise in der Fahrt in den Sonnenuntergang.

Mit "Schrotten!" gelingt Max Zähle die schwierige Balance zwischen einer Komödie mit sympathischen Figuren, einer spannenden Räuberpistole und insbesondere auch der Versöhnung zwischen zwei Brüdern, die oberflächlich betrachtet unterschiedlicher kaum sein könnten.
Diese Seite ausdrucken | Seite an einen Freund mailen | Newsletter abonnieren