OPEN RANGE - WEITES LAND | Open Range
Filmische Qualität:   
Regie: Kevin Costner
Darsteller: Robert Duvall, Kevin Costner, Annette Bening, Michael Gambon, Michael Jeter, Diego Luna, Abraham Benrubi, Dean McDermott
Land, Jahr: USA 2003
Laufzeit: 134 Minuten
Genre: Action/Western
Publikum: ab 12 Jahren
Einschränkungen: G


JOSÉ GARCÍA
Foto: Universum

Der Western zählt zu den klassischen Filmgenres, die so alt wie das Medium Spielfilm selbst sind. Zu den prominenten Werken, die zur Herausbildung einer eigenständigen Filmsprache beitrugen, gehört bereits ein Western: „Die Geburt einer Nation” („The Birth of a Nation”, David W. Griffith 1915). Viele der großen Regielegenden des Kinos – John Ford, Howard Hawks, John Sturges, Fred Zinemann, Raoul Walsh – begründeten ihren Ruhm mit Western. Erst die sechziger Jahre brachten mit den so genannten Italo- oder Spätwestern eines Sergio Leone und seiner „Dollar-Trilogie” „Für eine Hand voll Dollar” (1964), „Für ein paar Dollar mehr” (1965) und „The Good, the Bad and the Ugly” („Zwei glorreiche Halunken”, 1966) eine entscheidende Wende: das Heldentum des klassischen Westerns kehrte sich in Zynismus und streckenweise Nihilismus um.

Jahrzehntelang schien dieses klassische Genre erschöpft zu sein. Als sich Anfang der neunziger Jahre zwei Regisseure dem Western widmeten, deutete sich erneut ein Paradigmenwechsel an: In seinem Regiedebüt „Der mit dem Wolf tanzt” („Dances with wolves”, 1990) zeichnete Kevin Costner den „weißen Mann” nicht als Held, der gegen den Widerstand der Ureinwohner die Zivilisation in den „Wilden Westen” bringt, sondern als Zerstörer einer Idylle. In „Erbarmungslos” („Unforgiven” 1992) kritisierte Clint Eastwood die Selbstjustiz, stellte das Töten und erst recht die Tötung aus Rache durch die Zuschaustellung der Folgen der Gewalt in Frage.

Gegenüber diesen „Spät-Spätwestern” bedeutet „Open Range – Weites Land” eine echte Rückkehr zum „klassischen Western”. Für seine dritte Regiearbeit hat sich Kevin Costner einen Stoff ausgesucht, der an die goldene Zeit des Genres erinnert: „Open Range” erzählt in epischer Breite vom Leben der Cowboys in der unendlichen Prärie des Mittleren Westens, vom erbitterten Kampf zwischen den so genannten „Freegrazer”, die ihre Viehherden durch freies Land treiben, und den Ranchern, welche die unendliche Weite der Prärie einzuzäunen versuchen.

Die literarische Vorlage – Lauran Paines’ Roman „The Open Range Men” – liefert eine komplexe Charakterzeichnung der Hauptpersonen: Charley Waite (Kevin Costner) und Boss Spearman (Robert Duvall) reiten seit zehn Jahren zusammen. Ihre Zusammenarbeit beruht auf blindem Vertrauen und auf einer genretypischen, etwa der in „El Dorado” (Howard Hawks, 1967) zwischen den von John Wayne und Robert Mitchum dargestellten Figuren ähnlichen Männerfreundschaft. Aber erst die allmähliche Enthüllung der Vergangenheit beider Cowboys gewährt dem Zuschauer Einblick in ihre reiche Persönlichkeit. Ein solcher „Charakter-Film” steht und fällt mit der Besetzung der Hauptfiguren. Und sie ist schlichtweg als grandios zu bezeichnen: Robert Duvall bietet erneut eine mustergültige schauspielerische Leistung, die an seine großen Rollen der siebziger Jahre unter Francis Coppola („Der Pate” 1972, „Apocalypse Now” 1979) anknüpft. Für Kevin Costner gilt Ähnliches: Nach einem Jahrzehnt kleinerer und größerer Pleiten darf er endlich wieder einmal eine Rolle ausfüllen, die sich neben seine besten Arbeiten (Eliot Ness in „The Untouchables” 1987, Lieutenant Dunbar in „Der mit dem Wolf tanzt” 1990, Jim Garrison in „JFK” 1991) einreiht.

Etliche Szenen von „Open Range” zitieren herausragende Werke des Genres – „Rio Bravo”, „High Noon”, „El Dorado”. Insbesondere der Showdown wurde sehr eng am berühmten, vielfach verfilmten Duell in Tombstone inszeniert, dessen bekannteste Version John Sturges’ „Gunfight at the O.K. Corral” (1957) mit Burt Lancaster und Kirk Douglas als Wyatt Earp und Doc Holiday – wieder eine genretypische Männerfreundschaft – sein dürfte. Regisseur Costner ist indes eine echte Aneignung dieser Elemente gelungen; er gestaltet „Open Range” nicht lediglich als postmodernes, aus Szenen berühmter Filme zusammengesetztes Patchwork, sondern als eigenständiges Werk.

So setzt Kevin Costner, vor allem zu Beginn, als die Figuren eingeführt werden, eine moderne Filmsprache mit extremen Großaufnahmen, ungewöhnlichen Kadrierungen und Kameraschwenks ein. Die Möglichkeiten moderner Spezialeffekts macht er sich im finalen Kampf zunutze, um diesen sehr realistisch darzustellen, ohne deshalb in Gewaltverherrlichung zu verfallen. Dadurch transportiert „Open Range” die klassischen Werte des Genres ¬– Freundschaft, Ehre, Liebe, Gerechtigkeit – in modernem Gewand, inklusive nuancierte Abgrenzung zwischen Gerechtigkeit und Rache.

Die Neubelebung eines für überholt gehaltenen Genres durch diesen „neoklassischen Western” steht in einem größeren Kontext: der Spielfilm erlebt zurzeit die Revitalisierung klassischer, seit Jahrzehnten vergessener Filmgenres, etwa des Sandalenfilmes („Gladiator”, demnächst „Troya”), des Piratenfilmes („Fluch der Karibik”) oder auch des Schiffsfilmes („Master and Commander”). Ob dieser Trend anhält, gehört zu den interessantesten Fragen des heutigen Kinos.
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