PARCHIM INTERNATIONAL | Parchim International
Filmische Qualität:   
Regie: Stefan Eberlein, Manuel Fenn
Darsteller: (Mitwirkende): Jonathan Pang, Werner Knan, Jens Lindemann, Karlheinz Bohl, Sibylle Hülsebeck, Eugen Arnstadt
Land, Jahr: Deutschland 2015
Laufzeit: 95 Minuten
Genre:
Publikum: ab 12 Jahren
Einschränkungen: --
im Kino: 5/2016
Auf DVD: 10/2016


José Garcia
Foto: Neue Visionen

Die nicht abreißen wollenden Pannen beim Bau des Flughafens Berlin-Brandenburg sind in aller Munde. Doch der "BER" ist nicht der einzige Großflughafen, der zurzeit in Deutschland entstehen soll. In Parchim, etwa 40 Kilometer südöstlich von Schwerin, einer knapp 18 000 Einwohner zählenden Stadt im mecklenburg-vorpommerschen Landkreis Ludwigslust-Parchim, investiert seit gut acht Jahren der chinesische Geschäftsmann Jonathan Pang. Sein Ziel: Aus einem verlassenen Regionalflughafen ein internationales Drehkreuz für Waren- und Personenverkehr zu bauen. Dokumentarfilmer Stefan Eberlein und sein Mit-Regisseur und Kameramann Manuel Fenn begleiteten sieben Jahre lang Herrn Pang, der bei einer Veranstaltung Kennedys berühmten Satz in "Ich bin ein Parchimer" gerne abwandelt, auf den Höhen und Tiefen eines Projekts, das zwischen Größenwahn und zukunftsweisender Vision schwankt.

Die kräftige Musik, die zu Beginn ertönt, lässt freilich eher an Größenwahn denken. Jonathan Pang möchte in Parchim nicht nur einen Flughafen, sondern gleich eine ganze Stadt "Parchim Airport City" mit Geschäften, Hotels und Spielcasinos bauen. Um Geschäftsleute dafür zu gewinnen, reist Herr Pang einmal zum Handelszentrum Yiwu, dem weltgrößten Markt für Einzelhandelswaren mit 58 000 Lieferanten in 1 900 Kategorien. Übrigens: Die Ansiedlung von chinesischen Unternehmen in Deutschland ist schon längst Realität. So wurde beispielsweise im vergangenen Oktober bekannt, dass in Krefeld das Großhandelszentrum "China Trade & Culture Center" für 200 Kleinunternehmen samt Hotel und Großrestaurant für 600 Personen entstehen soll. In Parchim hopsen zunächst jedoch Hasen über die Rollbahn, die allerdings im Laufe der Zeit für einige Millionen Euro ausgebessert wurde. Die Feuerwehr vertreibt sich die Zeit mit irgendwelchen Instandhaltungsarbeiten. Inzwischen wird der Flughafen gerne für Durchstart-Übungsflüge benutzt, da kein Flugverkehr stört.

"Paschim International" zeigt Jonathan Pang immer wieder beim Joggen. Ein symbolträchtiges Bild, denn für ein solches Projekt wird das Durchhaltevermögen eines Langstreckenläufers gebraucht. Herr Pang reist um die Welt, trifft sich immer wieder mit potenziellen chinesischen Investoren. Von einer Firma hat er die Zusage, bis 100 Millionen Euro in Mecklenburg-Vorpommern zu investieren. Der chinesische Geschäftsmann unterhält aber auch Kontakte zu chinesischen offiziellen Stellen sowie zu nigerianischen Politikern und zu einer russischen Fluggesellschaft. Internationalität trifft auf tiefste Provinz. Denn die Bilder, die Eberlein und Fenn von der Stadt Parchim einfangen, zeigen ein verschlafenes Städtchen, in dem die Zeit stehengeblieben zu sein scheint.

Wer ist Jonathan Pang? Um auf diese Frage zu antworten, begleiten ihn die Filmemacher in sein Heimatdorf. Hier wuchs der Selfmademan in bitterer Armut auf, hier lebt seine Mutter noch in ärmlichen Verhältnissen. Beim Anblick eines Bildes seines verstorbenen Vaters erzählt Herr Pang, dass er bei seinem Tod nicht dabei sein konnte. Denn der Geschäftsmann war in Nigeria beruflich unterwegs und wollte den Auftrag nicht in Gefahr bringen. Bei dieser Erinnerung kommen ihm die Tränen. Diese kurze Szene ist das Einzige, was der Zuschauer sozusagen privat vom chinesischen Geschäftsmann erfährt. Und doch sagt sie viel über seine Motivation aus.

Zwar konzentriert sich "Paschim International" größtenteils auf Jonathan Pang. Er ist jedoch nicht der einzige Protagonist des Films. Wegen der deutschen Bürokratie und der Mentalitätsunterschiede verpflichtete Herr Pang den Bayern Werner Knan als Berater. Werner Knan verhandelt immer wieder mit Behörden und mit Politikern, etwa mit der Bundestagsabgeordneten von Parchim, begleitet Jonathan Pang zu Vorträgen, Geschäftsessen und anderen Terminen, und hält das deutsche Personal bei Laune: "Zehntausende neue Arbeitsplätze werden durch den Flughafenausbau entstehen". Obwohl Einiges festgefahren scheint - Stichwort "Kampfmittelfreiheit" - ist Knans Optimismus auch nach acht Jahren ungebrochen. Ganz im Gegensatz zum nordrhein-westfälischen Geschäftsmann Karl-Heinz Bohl, der in der anvisierten zollfreien Zone Parchim gute Kontakte zu chinesischen Geschäftspartnern zu knüpfen hoffte. Nach langen Jahren des Wartens gibt er auf. "Paschim International" zeigt ihn beim Packen seiner Sachen. Sein Hund folgt ihm schwanzwedelnd auf dem Fuß.

Beim Abschluss der Dreharbeiten für Eberleins und Fenns Film bleibt die Zukunft des Flughafens Parchim ungewiss. Obwohl die Parchimer inzwischen wütend sind, weil Jonathan Pang offenbar in ganz anderen Zeiträumen denkt, gibt der chinesische Geschäftsmann nicht auf. Neuer Termin für die Eröffnung des Flughafens für chinesische Touristen: Sommer 2016. Filmemacher Manuel Fenn bleibt jedoch skeptisch: "?Um seine Vision zu verwirklichen, bräuchte er ein paar hundert Millionen Euro, wenn nicht eine Milliarde. Offensichtlich ist bisher keiner bereit, ihm dieses Geld zu geben."

"Paschim International" beobachtet das Aufeinanderprallen der Kulturen mit leicht ironischem Unterton, ohne jedoch die Protagonisten der Lächerlichkeit preiszugeben. Immer wieder zeigen Stefan Eberlein und Manuel Fenn die alte Warnsignallampe auf dem Dach des provisorischen Towers - eines Containers auf Stelzen. Gespenstisch nimmt sich der Lichtkegel aus, den der Kontrollturm auf dem leeren Flugplatz auf die Landschaft wirft. Ein Sinnbild für ein größenwahnsinniges Vorhaben?
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