MEIN PRAKTIKUM IN KANADA | Guibord s?en va-t-en guerre
Filmische Qualität:   
Regie: Philippe Falardeau
Darsteller: Patrick Huard, Irdens Exantus, Suzanne Clément, Clémence Dufresne-Deslières, Sonia Cordeau, Paul Doucet, Jules Philip
Land, Jahr: Kanada 2015
Laufzeit: 108 Minuten
Genre:
Publikum: ab 12 Jahren
Einschränkungen: --
im Kino: 5/2016
Auf DVD: 10/2016


José García
Foto: Arsenal

Eine Schrifttafel bestimmt bereits zu Beginn den satirischen Tod von Philippe Falardeaus Spielfilm "Mein Praktikum in Kanada" ("Guibord s´en va-t-en guerre"): "Der Film basiert auf wahren Begebenheiten, die noch ungeschehen sind". Auf einer vergilbten Landkarte Nordamerikas werden nach und nach verschiedene Städte, Landstraßen und zuletzt der Wahlbezirk Prescott-Makadewa-Rapides-aux-Outardes sichtbar. Dieser Wahlbezirk im Norden der französischsprachigen Provinz Quebec ist dreimal größer als Haiti. Aus dem kleinen Land auf der Karibikinsel kommt der junge, altmodisch gekleidete Souverain Pascal (Irdens Exantus) ausgerechnet in diesen Wahlkreis, dem der Hinterbänkler Steve Guibord (Patrick Huard) als Abgeordneter vorsteht. Offenbar hatte Monsieur Guibord dem jungen Haitianer nach dessen Politik-Studium ein Praktikum in Aussicht gestellt ? auch wenn er sich in dem Augenblick nicht recht daran erinnern kann. Für Souverain steht es aber fest: Hier wird er sein Politik-Praktikum machen, nicht zuletzt weil er seine Familie nicht enttäuschen mag, die alle seinen Schritte per Skype verfolgt.

Monsieur Guibord ist als ehemaliger Eishockey-Profi in seiner Region durchaus bekannt. Die Ausstattung eines Provinz-Abgeordneten nimmt sich allerdings eher ernüchternd aus: Das kleine Büro befindet sich im ersten Stock eines in die Jahre gekommenen Dessous-Geschäftes. Personal hat er auch keines. Vielleicht deshalb nimmt er Souverain als Praktikanten an. Der junge Haitianer kann wenigstens seine Termine koordinieren. Und davon hat der umtriebige Guibord ohnehin mehr als genug. Denn in dem riesigen Wahlbezirk gibt es jede Menge gesellschaftlichen Sprengstoff: Auf der einen Seite errichten Lkw-Fahrer eine Straßenblockade. Auf der anderen protestieren Ureinwohner gegen den Raubbau der Wälder. Abgeordneter Steve Guibord versucht, zwischen den Fronten zu vermitteln, ist er doch darauf bedacht, es allen recht zu machen.

Zur Auswahl eines solchen Politik-Hinterbänklers in einem verlorenen Provinz-Wahlkreis als Hauptfigur für seinen Film erläutert Drehbuchautor und Regisseur Philippe Falardeau: "Ich suchte nach einem Wahlkreis weit weg von den Großstädten, wo die Probleme nicht unbedingt dieselben sind wie im Rest des Landes. Den Film in eine Region im Norden Quebecs zu legen, erlaubte mir, über Autobahnen, Ureinwohner, natürliche Ressourcen und so weiter zu reden."

Die eigenen Probleme im Wahlbezirk Prescott-Makadewa-Rapides-aux-Outardes müssen indes plötzlich einem Thema mit landesweitem Interesse weichen. In den Nachrichten war bereits die Rede davon, dass das Parlament in Kanada erwägt, Truppen in den Nahen Osten zu schicken. Und weil eine Abgeordnete in der Hauptstadt verschwunden ist, herrscht im Parlament eine Patt-Situation. Plötzlich kommt es auf Guibords Stimme an. Steve Guibord soll als Zünglein an der Waage über Kanadas Kriegseinsatz entscheiden. Deshalb wird der Provinzabgeordnete in die Hauptstadt zitiert, wo ihm unmissverständlich ein verführerisches Angebot gemacht wird: Wenn er für die Partei des Ministerpräsidenten stimmt, bekommt er bei der nächsten Regierungsumbildung einen Ministerposten. Der ratlose Politiker hört auf den Rat seines Praktikanten, der sich immer mehr zum politischen Berater entwickelt, und der gerne Rousseau zitiert: Guibord soll das Volk befragen. Damit beginnt eine rastlose Reise durch die Wälder und Straßen seines Wahlbezirks. Und weil der Abgeordnete unter Flugangst leidet, muss er die weiten Strecken mit dem Auto zurücklegen. Darüber hinaus droht die Volksabstimmung den Familienfrieden zu zerstören: Tritt Guibords Frau Suzanne (Suzanne Clement) für den Kriegseinsatz ein, so schlägt sich seine pazifistische Tochter Lune (Clemence Dufresne-Deslieres) auf die Seite der Kriegsgegner.

Philippe Falardeau liefert mit "Mein Praktikum in Kanada" eine Satire sowohl auf die Politiker als auch auf die Wählerschaft. So wird etwa ein Professor zu den Hintergründen der zur Abstimmung stehenden Frage interviewt, der damit allerdings die Umstehenden langweilt. In einer öffentlichen Anhörung findet ein Meinungsschwung statt nach dem Motto "Was kümmert uns der Krieg am Ende der Welt - Wir haben unsere eigenen Probleme": Nachdem sich zu Beginn eine klare Mehrheit der Anwesenden gegen den Krieg ausgesprochen hatte, ändern sie ihre Meinung, weil der Kriegseinsatz neue Investitionen und damit Arbeitsplätze in der Region möglich machen könnte. "Das beste Argument gegen die Demokratie ist ein fünfminütiges Gespräch mit dem durchschnittlichen Wähler", wird nun Winston Churchill zitiert.

Falardeau verwendet gerne einen komödiantischen Kunstgriff: den immer wiederkehrenden visuellen Witz oder "Running Gag". Da ist beispielsweise der ältere Mann, der mit seinem elektrischen Rollstuhl dem Abgeordneten immer wieder in die Quere kommt. Dazu zählen aber etwa auch die Skype-Gespräche Souverains mit Port-au-Prince: Auf haitischer Seite nehmen immer mehr Menschen an solchen Gesprächen teil, so dass sich der junge Praktikant zu einer öffentlichen Person auf Haiti entwickelt... und die Karibikinsel einen immer größeren Anteil an der Abstimmung im fernen Kanada nimmt.

"Mein Praktikum in Kanada" wandert auf einem schmalen Grat zwischen teils realitätsnahen, teils komischen Figuren und leicht überzogen Situationen, aus denen eine Komik entsteht, die niemand richtig wehtut. Denn bei allen satirischen Pointen gibt Regisseur Philippe Falardeau seine Figuren niemals der Lächerlichkeit preis.
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