TALENT DES GENESIS POTINI, DAS | The Dark Horse
Filmische Qualität:   
Regie: James Napier Robertson
Darsteller: Cliff Curtis, James Rolleston, Kirk Torrance, Xavier Horan, Miriama McDowell, Baz the Hira, Wayne Hapi, James Napier Robertson
Land, Jahr: Neuseeland 2014
Laufzeit: 124 Minuten
Genre:
Publikum: ab 12 Jahren
Einschränkungen: --
im Kino: 6/2016


José García
Foto: Koch Media

Kaum sechs Wochen, nachdem der Spielfilm "Bauernopfer - Spiel der Könige" (siehe Filmarchiv) im Kino startete, steht Schach erneut im Mittelpunkt eines Spielfilmes, der diesmal aus Neuseeland stammt: "Das Talent des Genesis Potini" von Drehbuchautor und Regisseur James Napier Robertson eröffnete das New Zealand Film Festival 2014. Nachdem er ebenfalls auf dem Internationalen Filmfestival Toronto gezeigt wurde, bezeichnete ihn die Fachzeitschrift "Variety" als "einen der bedeutendsten neuseeländischen Filmexporte der vergangenen Jahre". Erzählt wird aus dem Leben des Schachspielers und -lehrers Genesis Potini (1963-2011), über den Filmemacher Jim Marbrook bereits 2003 einen Dokumentarfilm ("Dark Horse") drehte, der im Jahre 2005 als Bester Dokumentarfilm Neuseelands ausgezeichnet wurde. "Dark Horse" war der Spitzname von Genesis Potini. Robertsons Spielfilm trägt denn auch im Original den Titel "The Dark Horse".

Ein verwirrt wirkender Mann mittleren Alters schlurft im strömenden Regen und mit einer bunten Quiltdecke um die Schultern durch die Straßen einer neuseeländischen Kleinstadt. Genesis Potini (Cliff Curtis), der von allen einfach Gen genannt wird, betritt einen Gemischtwarenladen. Sein Blick fällt auf ein Schachbrett. Am Schachtisch bleibt er offenbar stundenlang sitzen, bis ihn die Polizei abholt. Der Zuschauer erfährt nun seine Vorgeschichte: Nachdem das einstige Schachwunderkind einen Nervenzusammenbruch erlitten hatte, wurde bei ihm eine bipolare (manisch-depressive) Störung diagnostiziert. Mehrere Klinikaufenthalte folgten. Weil die Ärzte davon überzeugt sind, dass Gen seinen Lebensalltag nicht allein bewältigen kann, meldet sich der Kranke nun bei seinem älteren Bruder Ariki (Wayne Hapi). Zwar ist die Beziehung zwischen den Brüdern nicht besonders eng. Ariki willigt jedoch ein, seinen jüngeren Bruder bei sich aufzunehmen.

Allerdings hat Ariki selbst genug Probleme, um sich auch noch um seinen kranken Bruder zu kümmern. Denn Gens älterer Bruder ist der Kopf einer "Biker-Gang", deren Mitglieder als Merkmal außer den Tattoos eine besondere Lederjacke tragen. Ihr Geschäft: schwere Kriminalität von schwerer Körperverletzung aufwärts. Die Handlung lebt zunächst einmal vom Gegensatz zwischen den beiden Charakteren. Gen übernimmt das Schach-Training in einem Jugendclub, in dem Sozialarbeiter Noble (Kirk Torrance) Jugendlichen aus sozial schwierigen Verhältnissen das Schachspiel mehr schlecht als recht beibringt. Gen verspricht den "Eastern Knights", wie sie sich selbst nennen, sie innerhalb von sechs Wochen auf die Juniorenmeisterschaft in Auckland vorzubereiten. Nicht nur für die in der Mehrheit Maori-Kinder und -Jugendliche wird Schach eine wichtige Stabilisierungsstütze. Gen verleiht diese neue Lebensaufgabe eine in seiner Situation ganz wichtige Beständigkeit.

Der Konflikt zwischen den Brüdern verdichtet sich in der Person von Arikis 14-jährigem Sohn Mana (James Rolleston). Denn der scheue Mana freundet sich nach und nach mit seinem Onkel an. Der Junge flüchtet sich regelrecht in die Schachwelt, auch um sich dem Einfluss seines Vaters zu entziehen. Ariki jedoch will unbedingt aus seinem Sohn ein Gang-Mitglied machen. Die Lage spitzt sich zu, als Manas 15. Geburtstag, an dem seine Aufnahme in die Gang stattfinden soll, mit dem Schachturnier im fernen Auckland zusammenfällt, an dem der junge Mann unbedingt teilnehmen möchte.

Robertsons Drehbuch verknüpft die zwei Erzählstränge gekonnt miteinander. Zwar verwendet er für Gens Filmbiografie einige bekannte Elemente, etwa den heruntergekommenen Helden, der durch eine neue Lebensaufgabe aus der Apathie ausbricht, oder den Lehrer, der benachteiligten Kindern neue Perspektiven bietet und Strategien beibringt, die nicht nur in einem bestimmten Bereich - hier im Schachspiel -, sondern fürs ganze Leben eine Bedeutung haben. In "Das Talent des Genesis Potini" handelt es sich dabei jedoch nicht nur um genreübliche Kniffe. Denn sie entsprechen auch der Wirklichkeit: Genesis Potini gründete mit seinem Freund Noble Keelan im Jahre 2000 den Schachclub "The Eastern Knights", wo Potini bis zu seinem plötzlichen Herzinfarkttod 2011 unterrichtete.

Der zweite Plot um Gens Neffen Mana bietet viel Konfliktstoff. Aber auch hier folgen Drehbuch und Regisseur Robertson nicht einfach Klischees. Dass es Ariki bei der Aufnahme seines Sohnes in die "Biker-Gang" in erster Linie um das Wohl Manas geht, erschließt sich dem Zuschauer erst zu einem späteren Zeitpunkt. Unter anderem darin zeigt sich die meisterhafte Dramaturgie von Robertsons Drehbuch. Der Gegensatz zwischen den zwei ungleichen Brüdern wird damit durch den Vater-Sohn-Konflikt überlagert.

Robertson setzt insbesondere auf die Charakterzeichnung der zentralen Figur: Durch seine Krankheit wurde Genesis Potini zu einem Außenseiter. Dank seines Talents für Schach und seines Charismas eignete er sich andererseits hervorragend als Schachlehrer, insbesondere für Außenseiter der Gesellschaft. Cliff Curtis, der zuletzt in ?Auferstanden? von Kevin Reynolds (siehe Filmarchiv) Jesus gelassen-majestätisch dargestellt hatte, verkörpert die unterschiedlichen, ja gegensätzlichen Charakterzüge des Genesis Potini glaubwürdig. Die bedeutende schauspielerische Leistung von Cliff Curtis wird darüber hinaus durch eine hervorragende Kameraführung (Denson Baker) unterstützt: Die Kamera bleibt meistens sehr nah an ihm, so dass der Zuschauer Gen laut atmen und Gespräche mit sich führen hört.
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