90 MINUTEN - BEI ABPFIFF FRIEDEN | 90 Minuten - Bei Abpfiff Frieden
Filmische Qualität:   
Regie: Eyal Halfon
Darsteller: Moshe Ivgy, Norman Issa, Detlev Buck, Alexandre Barata, Pepe Rapazote
Land, Jahr: Israel, Deutschland 2016
Laufzeit: 85 Minuten
Genre:
Publikum: ab 12 Jahren
Einschränkungen: --
im Kino: 6/2016


José García
Foto: Camino

Der israelisch-palästinensische Konflikt scheint unlösbar zu sein. Bevor Ben Gurion 1948 den Staat Israel proklamierte, hatte sich die arabische Welt gegen die Teilung Palästinas gewehrt. Es folgte der erste Nahost-Krieg. Nach dem Sechs-Tage-Krieg im Juni 1967 baute Israel sein Territorium mit der Besetzung der Palästinenser-Gebiete im Westjordanland, dem Gaza-Streifen und Ostjerusalem aus. Die Palästinenser reagierten mit der ersten und zweiten "Intifada" sowie mit den Terrorakten der "Hamas". Jahrzehntelang bemühen sich Staatschefs und Diplomaten aus aller Welt um eine Lösung. Seit dem Ausbruch der zweiten Intifada im Jahre 2000 gilt der Friedensprozess jedoch als gescheitert.

Eine ganz andere, ganz einfache Lösung schlägt der satirische Film "90 Minuten - Bei Abpfiff Frieden" vor: Die Fußball-Nationalmannschaften von Israel und Palästina sollen aufeinandertreffen. Wer gewinnt, bekommt das gesamte Land. Wer verliert, muss es ganz verlassen. Der Weltfußballverband "IFA" vermittelt bei den Verhandlungen zwischen den Funktionären des israelischen (Moshe Ivgy) und des palästinensischen Verbands (Norman Issa). Nachdem sich die beiden schnell auf Portugal als Austragungsort geeignet haben, bleiben noch einige heikle Fragen zu klären: Welches Land ist neutral genug, um den Schiedsrichter zu stellen? Welche Spieler dürfen überhaupt in die jeweilige Mannschaft berufen werden? Komplex wird diese Frage an Iyad Zuamut, dem israelischen Fußballer mit palästinensischen Wurzeln, der sich nicht recht für die eine oder andere Mannschaft entscheiden kann. Und dass die israelische Nationalmannschaft von einem Deutschen (Detlev Buck) trainiert werden soll, stellt auch grundsätzliche Fragen, nicht zuletzt an ihn selbst.

Mit viel Gespür für Rhythmus, aber auch für Situationskomik entwickelt Regisseur Eyal Halfon eine politische Satire, die vieles einfach ad absurdum führt. Im Mittelpunkt stehen die Fußball-Funktionären aus beiden Lagern, die von Moshe Ivgy und Norman Issa mit augenzwinkerndem Humor verkörpert werden. Zwei Streithähne, die jedoch unter vier (oder sechs) Augen mehr Gemeinsamkeiten entdecken, als sie je geglaubt hätten.


Interview mit dem aus London stammenden und seit mehr als 20 Jahren in Köln lebenden Produzent Steve Hudson

Wie entstand die Idee, den israelisch-palästinensischen Konflikt durch einen 90 Minuten-Krieg auf dem Fußballrasen lösen zu wollen?

Am Anfang stand ein Buch von Iltay Meirson. Drehbuchautor und Regisseur Eyal Halfon hatte erst das Deckblatt dieses Buches gesehen, war aber von der Idee begeistert. Ein Fußballspiel: Wer gewinnt, kriegt das Land und basta! Die Idee war so verführerisch, dass er das Buch nicht zu lesen brauchte (lacht). Er hat direkt das Drehbuch geschrieben. Das ist wie im Mittelalter: Zwei Ritter kommen nach vorne, einer schlägt den anderen, und alle gehen nach Hause ohne all das Sterben und das Leid. Viele haben eine Sehnsucht nach dem "Basta!" Die bisherigen Friedensgespräche basieren auf der Zwei-Staaten-Lösung. Und auch der Film beruht sozusagen auf der Apriori-Idee, dass die Völker getrennt werden müssen ? und stellt diese letztendlich auch in Frage. Er ist aus dem Pessimismus entstanden, dass die Weltgemeinschaft so lange versagt hat, keine Lösung gefunden hat. Warum also nicht ein Fußballspiel?

Wenn man überlegt, was für eine Ausstrahlung Fußball auf der ganzen Welt hat, ist die Idee ja bestechend.

Ja, aber Fußball ist auch Politik. Clausewitz sagte, dass Krieg die Fortsetzung der Diplomatie mit anderen Mitteln ist. Heute könnte man auch sagen, dass Fußball die Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln ist. Beim Fußball - und nicht etwa beim Tennis oder Golf - brennen so viele Emotionen. Im Fußball lebt übrigens auch der Gedanke des Nationalstaates weiter. Als Eingewanderter kann ich mich auch mit der deutschen Nationalmannschaft identifizieren. Seit Klinsmann finde ich den deutschen Fußball toll.

Auf der aktuellen FIFA-Weltrangliste steht Israel an 71. Stelle, Palästina auf dem 113. Platz. So groß ist der Unterschied auch nicht mehr, wie vor ein paar Jahren ...

Die Israelis haben mehr zu verlieren als die Palästinenser. Aber auf dem Fußballplatz hätten die Palästinenser weniger Chancen zu gewinnen. Es wäre aber auch die einzige Chance, ein vereintes Palästina zu bekommen, was sonst gar nicht zum Angebot steht.

Sehen Sie überhaupt keine Aussicht auf Frieden in dem Konflikt?

In meiner Jugend war die Idee, dass der kommunistische Ostblock fallen könnte, einfach unvorstellbar. Die Generation meiner Großeltern hat von Großbritannien aus zwei Weltkriege gegen Deutschland geführt, und nun ist Deutschland demokratischer als Großbritannien. Alles ändert sich. Bei den nächsten Friedensgesprächen wird man sehen. Die Franzosen haben es mit dem Klimaabkommen gut hinbekommen. Vielleicht haben sie bessere Diplomaten als andere, wer weiß?

Zurück zum Film: Wer kam auf den Gedanken eines deutschen Trainers für die israelische Nationalmannschaft?

Es musste so sein, es war klar! (lacht). Als Ironie der Geschichte. Man darf es vielleicht nicht so sagen, aber Deutschland und Israel sind Zwillingsbrüder, die bei der Geburt getrennt wurden. Die Entstehung Israels ist mit den schrecklichen Ereignissen aus Deutschland verbunden. Und die Deutschen sind nicht schlecht im Fußball. Es kann also sein, dass der Trainer ein Deutscher ist. In unserem Film hat er viel Ahnung vom Fußball, aber kaum von seiner historischen Verantwortung.

Eine interessante Figur ist Iyad Zuamut, der auf beiden Seiten spielen könnte. Ist das eine Art Wink, auf die Gemeinsamkeiten hinzuweisen?

Zwanzig Prozent der Bevölkerung Israels sind Palästinenser muslimischer oder christlicher Abstammung mit israelischem Pass. Sie sind Teil der israelischen Gesellschaft. Sie sprechen Hebräisch. Viele beklagen eine systematische Benachteiligung. Andererseits genießen sie viele Freiheiten. Man kann es so oder so sehen. Es gab seit den siebziger Jahren immer wieder arabische Spieler in der israelischen Nationalmannschaft. Israel muss damit leben: Die israelische ist eine multikulturelle, eine multireligiöse Gesellschaft.

Andererseits beklagen aber auch viele, dass in Israel nur die Juden vollwertige Bürger sind.

Israel identifiziert sich als jüdischer Staat, was sich etwa in einem modernen Land in Westeuropa fragwürdig anhören würde. Andererseits war die Lehre nach dem Holocaust, dass nur in einem jüdischen Staat die Juden wirklich geschützt seien. Es ist möglich, dass zwei Menschen Auschwitz besuchen und zu ganz unterschiedlichen Schlüssen kommen. Ein Deutscher könnte gut sagen: "Nie wieder Krieg, nie wieder Militarismus, weg mit den Waffen!" Der andere, sagen wir ein Jude oder Israeli, könnte aber vielleicht genauso gut sagen: "Das darf nie wieder passieren. Wir dürfen uns nicht auf Moralvorstellungen verlassen. Wir müssen selbst zur Waffe greifen und uns verteidigen." An der westlichen, liberalen Israelkritik vergisst man diese Erkenntnis.

Die Hauptfiguren im Film sind nicht die Fußballspieler, sondern die Fußballfunktionäre. Können Sie etwas über die Schauspieler Moshe Ivgy und Norman Issa sagen?

Die beiden sind in ihrem Land berühmte und beliebte Schauspieler. Moshe Ivgy hat viele Rollen im israelischen Kino gespielt. Jemand hat gesagt, er sei der Robert de Niro des israelischen Kinos, aber ich glaube, er hat sich besser gehalten als de Niro (lacht). Norman Issa ist vor allem durch die Serie "Arab Labor" bekannt geworden. Darin spielt er einen sehr integrationswilligen Palästinenser mit israelischem Pass, der perfekt Hebräisch spricht, und der immer an eine unsichtbare Grenze kommt. Ein sehr moderner Mensch zwischen zwei Identitäten wie viele Menschen auf der Welt. Er lebt aber natürlich in einer Extremsituation. Zu Hause ist er Araber, bei der Arbeit aber Israeli. Beide Schauspieler sind auch politisch engagiert. Norman (Issa) ist mit einer Jüdin verheiratet, wohnt in Jaffa, im halbwegs noch arabisch geprägten Teil von Tel Aviv. Moshe Ivgy hat sich immer wieder für den Frieden eingesetzt. Beide wurden aber auch sehr kritisiert, haben viele Verunglimpfungen erfahren.
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