PARAISO - WAS WIEGT DIE LIEBE? | Paraíso
Filmische Qualität:   
Regie: Mariana Chenillo
Darsteller: Andrés Almeida, Daniela Rincón, Camila Selser Andrés Almeida, Beatriz Moreno, José Sefami, Daniel Haddad, Luis Gerardo Mendez, Anabel Ferreira
Land, Jahr: Mexiko 2013
Laufzeit: 105 Minuten
Genre:
Publikum: Erwachsene
Einschränkungen: X +
im Kino: 7/2016


José Garcia
Foto: Arsenal

Carmen (Daniela Rincón) und Alfredo (Andrés Almeida) leben glücklich verheiratet in einem Vorort von Mexiko-Stadt namens Satélite. Drei Jahre nach der Hochzeit sind sie noch sehr ineinander verliebt. Zu ihren Gemeinsamkeiten gehört es auch, dass sie nicht gerade dem Schlankheitsideal entsprechen. Ja, sie können ohne weiteres als übergewichtig bezeichnet werden. Satélite wurde in den fünfziger Jahren nach US-amerikanischem Vorbild entworfen: Alles sollte in nächster Nähe vorhanden sein, von Schulen über Parks und Sportanlagen bis zu Einkaufszentren. In den 1980ern wuchs allerdings die Vorstadt über ihre Grenzen bis nach Mexiko-City, was viele dazu veranlasste, wieder in die Großstadt zu ziehen.

Genau dies steht dem Ehepaar ins Haus. Alfredo bekommt ein verlockendes Jobangebot als IT-Spezialist bei einer Bank in der mexikanischen Metropole, das er gerne annimmt. Carmen gibt dafür bereitwillig, wenn auch mit etwas Wehmut, ihre Arbeit bei ihren Eltern als Steuerberaterin auf. Den Wechsel vom gemütlichen Vorstadtleben in den hektischen und unsicheren Moloch D.F. ("Distrito Federal", Hauptstadtbezirk) verdeutlicht Drehbuchautorin und Regisseurin Mariana Chenillo anhand eines riesigen Panzerschranks, der Carmens Eltern gehört und den das Ehepaar unbedingt mit in die Hauptstadt nehmen soll. Mit einem anderen Unterschied hatten Carmen und Alfredo allerdings nicht gerechnet: In der Hauptstadt sind die Menschen mehr auf Äußerlichkeiten bedacht. Als sie beispielsweise zu einer Firmenfeier eingeladen werden, muss Carmen mitbekommen, wie sich zwei Frauen über ihr Aussehen lustig machen. Alfredo und Carmen sähen so aus, als kämen sie "aus einer Bolero-Ausstellung". Nachdem Carmen im Internet einige Bilder des kolumbianischen Malers Fernando Botero gesehen hat, dessen Charakteristik sehr dicke Figuren sind, fasst die junge Frau einen Entschluss: Sie muss unbedingt abnehmen!

Da trifft es sich gut, dass sie ein paar Tage später in einem Einkaufszentrum auf das Angebot eines Diätkurses stößt. Obwohl sich Alfredo weiterhin wohl in seiner Haut fühlt, gelingt es Carmen, ihren Mann zu überreden mitzumachen. Bekanntlich kommt der Appetit beim Essen. Für den IT-Fachmann ist es aber genau umgekehrt: Obwohl er seine Frau zunächst eher widerwillig zum Abnehm-Kurs begleitet, bekommt Alfredo mit jedem Gramm, das er verliert, mehr Geschmack an der Sache. Bei Carmen gerät jedoch der Versuch abzunehmen trotz Essenskontrolle und Übung am Hometrainer zu einer regelrechten Qual. Was sie ihrem Mann verheimlicht: Seit einiger Zeit nimmt Carmen an einem Kochkurs in galizischer Küche teil. Das Ehepaar lebt sich immer mehr auseinander: Für den inzwischen schlanken Alfredo interessiert sich auf einmal seine Kollegin Marta (Camila Selser). Carmen wünscht sich ihren "dicken" Alfredo zurück, scheint allerdings den Avancen eines ehemaligen Mitstreiters beim Schlankheitskurs nicht ganz abgeneigt zu sein.

Mit einer von den Bildern des Kameramanns Yaron Orbach unterstützten munteren Leichtigkeit und einem witzig-heiteren Ton setzt sich "Paraíso" auf der einen Ebene mit Schlankheitskult und Schönheitswahn auseinander. Obwohl die übergewichtigen Hauptfiguren ganz anders als etwa Hollywood-Stars aussehen, gibt sie Regisseurin Mariana Chenillo keineswegs der Lächerlichkeit preis. In Frage stellt die mexikanische Regisseurin jedoch nicht nur das Schönheitsideal einer schlanken Figur und das damit versprochene Glück. Durch die geglückte Mischung aus komischen und nachdenklichen Momenten bietet die mexikanische Regisseurin Mariana Chenillo, die für das Drehbuch von ?Paraíso? eine Erzählung von Julieta Arévalo adaptiert, darüber hinaus auf einer weiteren Ebene eine besondere Abwandlung des universellen Themas "Szenen einer Ehe".

Zu ihrem Film führt Mariana Chenillo aus: "Für mich sind zwei Themen der Geschichte am wichtigsten: Liebe und die Ironie des Lebens. Liebe ist das einzig Reale und Wichtigste im Leben. Und die Ironie des Lebens zeigt sich in dem Moment, in dem wir erkennen, dass Situationen unseres Lebens, die erstmal überhaupt nicht witzig waren, als sie passierten, uns beschämten und vorführten. Doch wenn wir wieder an sie denken oder davon erzählen, bekommen diese Situationen eine andere Bedeutung und Funktion. Sie erlauben uns, einen Schritt zurückzutreten und uns von außen zu betrachten und lassen uns die Reise, auf der wir unterwegs sind, verstehen, und warum wir diesen Weg gehen".

Nach und nach verschiebt sich der Fokus von "Paraíso". Irgendwann einmal geht es nicht mehr bloß um das Traumgewicht von Carmen oder Alfredo, sondern um die Einflüsse, die von der Umgebung in eine Ehe hineingetragen werden, um die Veränderungen, die eine Ehe auf die Probe stellen. Auch wenn dies etwas plump wirkt: Die immer noch übergewichtige Carmen und der inzwischen schlanke Alfredo spiegeln den Verlust an Gleichgewicht in ihrer Beziehung wider. Der Film "Paraíso - Was wiegt die Liebe?" entwickelt sich immer mehr zu einem Drama über die Wechselfälle einer Ehe. Können sie äußerliche Veränderungen zum Wanken bringen? Vor solchen Veränderungen hatte Carmen von Anfang an offensichtlich mehr Angst als Alfredo gehabt. Nun müssen die beiden lernen, mit solchen Veränderungen zu leben und sich fragen, ob ihre Liebe stärker als solche äußere Einflüsse ist. Trotz einiger logischen Holprigkeiten und eines Happy Ends, das eher an eine Telenovela erinnert, stellt Mariana Chenillo mit ihrem Film tiefgründige Fragen auf eine leichtfüßige Art.
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