AB ANS MEER! | Pojedeme k mori
Filmische Qualität:   
Regie: Jirí Mádl
Darsteller: Petr Simeák, Jan Marsál, Lucie Trmíková, Ondrej Vetchý, Jaroslava Pokorná, Anastázie Chocholatá, Roman Nevecný
Land, Jahr: Tschechien 2014
Laufzeit: 88 Minuten
Genre:
Publikum: ab 6 Jahren
Einschränkungen: --
im Kino: 8/2016


José García
Foto: Der Filmverleih

Auf die Internet-Plattform "YouTube" werden immer mehr hausgemachte Videos eingestellt, die teilweise große Verbreitung erfahren. Wie ein solcher Videofilm sieht denn auch der tschechische Film "Ab ans Meer!" (Pojedeme k mori) besonders zu Beginn aus. Der elfjährige Thomas (Petr Simeák) hat zu seinem Geburtstag von seinen Eltern eine Kamera geschenkt bekommen - was der Junge direkt in die Kamera schauend erklärt. Sein großes Vorbild ist jedoch weder Steven Spielberg noch George Lucas oder irgendein anderer amerikanischer Filmemacher, sondern der 1932 geborene tschechische Regisseur Milos Forman, der mit "Einer flog über das Kuckucksnest" (1975) und "Amadeus" (1986) zweimal dem Oscar als "Bester Regisseur" gewann. Als Mit-Protagonist tritt neben Thomas dessen bester Freund Harris (Jan Marsál) auf, der ursprünglich aus Kroatien stammt.

Schauspieler Jirí Mádl liefert mit "Ab ans Meer!" sein Spielfilmdebüt als Drehbuchautor und Regisseur. Der von Edita Kainrathová mit Handkamera aufgenommene Film soll den Eindruck erwecken, als sei er von einem Elfjährigen gedreht worden. Gleiches gilt für den Schnitt (Jakob Vansa), so dass der Zuschauer unmittelbar in ein authentisches Geschehen hineingenommen wird. Er betrachtet Thomas Welt durch die Augen des elfjährigen Protagonisten, der sich als Geburtstagsgeschenk eigentlich einen Urlaub am Meer erhofft hatte - daher auch der Filmtitel.

Mit Thomas und Harris taucht der Zuschauer in eine kindliche Welt ein, die aus Freundschaft, Schule, Sport und Thomas erster Schwärmerei für Klassenkameradin Stana (Anastázie Chocholatá) besteht. Schon jetzt gibt es einen ersten Missklang in der Beziehung zwischen Thomas und seinem Vater (Ondrej Vetchy). Denn dieser besteht darauf, dass sein Sohn im örtlichen Verein Fußball spielt - was Thomas allerdings nicht nur nicht besonders gut kann, sondern auch nicht möchte. Statt auf der Reservebank zu sitzen, filmt er lieber mit seiner Kamera. Ein echter Konflikt entsteht jedoch, als Thomas herausfindet, dass mit seinem Vater etwas nicht stimmt. Er arbeitet von zu Hause aus, während die in einem Pflegeheim tätigen Mutter (Lucie Trmíková) tagsüber abwesend ist. Thomas stellt irgendwann einmal fest, dass sein Vater regelmäßig das Haus verlässt, obwohl er felsenfest behauptet, den ganzen Tag zu Hause gewesen zu sein. Bei Thomas schrillen die Alarmglocken: Ob sich sein Vater mit einer anderen Frau trifft? Werden sich seine Eltern trennen? Da er auch von seiner Großmutter (Jaroslava Pokorná) keinen Rat bekommt, beginnt Thomas in detektivischer Manier, Indizien zu suchen und seinen Vater bei seinen heimlichen Ausflügen zu verfolgen. Bei seinem Freund Harris sieht die familiäre Situation weitaus schlimmer aus. Denn sein gewalttätiger Vater schlägt immer wieder Harris Mutter. Aber auch Harris selbst wird hin und wieder zur Zielscheibe des Zorns seines meist betrunkenen Vaters. Irgendwann einmal sieht Harris Mutter nur noch eine Lösung für die Lage: Mit Harris zurück nach Kroatien zu fliehen.

Damit mischen sich in die anfängliche Idylle von "Ab ans Meer!" ganz ernste Untertöne - bei Thomas die Angst, dass sich die eigenen Eltern trennen könnten, häusliche Gewalt bei Harris. Ohne Wissensvorsprung erlebt der Zuschauer das Geschehen stets aus der Sicht der beiden Elfjährigen. Deshalb trifft ihn genauso unvorbereitet wie Thomas das überraschende Familiengeheimnis, das sich hinter den heimlichen Fahrten seines Vaters verbirgt.

Zur subjektiven Kamera kommen noch die Off-Stimme des Protagonisten und insbesondere auch das natürliche Spiel der beiden Jungdarsteller Petr Simeák und Jan Marsál hinzu, was die Authentizität des Filmes noch steigert. Der Kunstgriff, den Film so aussehen zu lassen, als hätten die Elfjährigen selbst die Kamera geführt und dann das Filmmaterial am heimlichen Computer geschnitten, ist eine wirkliche Neuheit im Kinderfilm. Sie vermittelt nicht nur eine außergewöhnliche Unmittelbarkeit, sondern kommt auch einer Generation entgegen, die mit den Neuen Medien aufgewachsen ist, den sogenannten "digital natives". Dass der Film dennoch einen viel besseren Eindruck als durchschnittliche Homevideos erweckt, wird dadurch erklärt, dass Thomas eben nicht ein gewöhnliches "YouTube"-Filmchen drehen möchte, sondern einen ?richtigen? Film in der Nachfolge seines großen Vorbilds Milo? Forman. Selbst ein gewisser Hang zu überbordenden technischen Spielereien wird auch dadurch glaubwürdig.

Bei der Verleihung des Prädikats "besonders wertvoll" führte die Deutsche Film- und Medienbewertung FBW aus, Mádls Film "ist kein Film, der es dem Zuschauer (zumal dem jungen, auf den der Film eigentlich abzielt) leicht macht: Visuell bietet er aufgrund des gewollt amateurhaften, hyperrealistischen Looks nur wenig Attraktionen, sondern scheint eher in fast dokumentarischer Weise den Alltag seiner Protagonisten wie ein Chronist zu registrieren. Das irritiert im ersten Moment, entfaltet aber im Lauf des Films eine Sogwirkung, wie sie selten in Werken für die junge Zielgruppe zu finden ist." Die FBW-Jury hebt neben den inhaltlichen Schwerpunkten insbesondere die ?formalen und narrativen Innovationen? des Filmes hervor.

Mit seinem Regiedebüt bietet Jirí Mádl einen glaubwürdigen Kinderfilm, der die Welt der Elfjährigen keineswegs beschönigt: Neben dem Spaß und den Freuden, die durch das Hobbyfilmen und die Freundschaft entstehen, spart "Ab ans Meer!" die kleinen und großen Sorgen im Leben der Kinder nicht aus.
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