OLIVENBAUM, DER | El Olivo
Filmische Qualität:   
Regie: Icíar Bollaín
Darsteller: Anna Castillo, Manuel Cucala, Javier Gutiérrez, Pep Ambròs, Miguel Angel Aladren, Carme Pla, Ines Ruiz
Land, Jahr: Spanien, Deutschland 2016
Laufzeit: 98 Minuten
Genre:
Publikum: ab 16 Jahren
Einschränkungen: D, S
im Kino: 8/2016


José García
Foto: Piffl Medien

In den ersten Bildern des neuen Spielfilms der spanischen Regisseurin Icíar Bollaín "Der Olivenbaum" ("El olivo") ist eine junge Frau inmitten hunderter Küken zu sehen. Mit der Enge in der Halle der Geflügelfarm, in der sie jobbt, kontrastiert ein Olivenhain, in dem ein älterer Mann gedanken- und irgendwie sonst verloren umhergeht. Die etwa 20-jährige Alma (Anna Castillo) weiß, wo sie ihren Großvater Ramón (Manuel Cucala) findet, wenn er wieder aus dem Haus ausbricht. Denn den dement wirkenden alten Mann zieht es an die Stelle, wo der etwa 2 000 Jahre alte Olivenbaum stand. Eine Rückblende verdeutlicht, was der Olivenbaum für Ramón, aber auch für seine Enkelin bedeutete. Diese Szenen, die als emotionales Herz des Films bezeichnet werden können, verdeutlichen, was Opa und Enkelin miteinander verbindet. Sie erklären aber auch, warum der alte Mann seitdem verstummt und Alma auf ihren Vater Luis (Miguel Angel Aladren) wütend ist.

Denn als Alma etwa acht Jahre alt war (dargestellt von Ines Ruiz) wurde der Baum herausgerissen und nach Deutschland verkauft. Der Oliven- oder "Echter Ölbaum" besitzt eine symbolhafte Bedeutung für die griechisch-römische Mythologie: Im Wettkampf zwischen den Geschwistern Prometheus und Athene stößt Athene einen Stab in den staubigen Boden. Daraus erwächst ein Olivenbaum, und die Stadt, um die sich die Geschwister gestritten hatten, heißt fortan Athen. Die griechischen Münzen zierte der Steinkauz mit Ölzweig und Mond. Aber auch für die jüdisch-christliche Kultur spielt der Olivenbaum eine wichtige Rolle: "Einst machten sich die Bäume auf, um sich einen König zu salben, und sie sagten zum Ölbaum: Sei du unser König!" (Richter 9, 8). Vom Ölberg aus zog Jesus in Jerusalem ein (Lukas 19, 37), und Getsemani, wo Jesus vor seinem Leiden Bluttränen vergoss (Matthäus 26, 36 ff.), wird auch Ölgarten genannt. Heute ist der Olivenbaum allerdings zum Symbol für Nachhaltigkeit geworden, mit dem sich Banken und Konzerne schmücken.

Luis und sein Bruder Alcachofa (Javier Gutiérrez) verkauften den uralten Olivenbaum, der wie unzählige Ölbäume auch rund um das Mittelmeer vor etwa zweitausend Jahren von den Römern gepflanzt und den nun das Schicksal vieler tausendjähriger Ölbäume ereilte: Sie wurden ausgegraben und nach Mittel- und Nordeuropa verpflanzt, um Gärten oder auch Firmen zu zieren. Mit dem Erlös aus dem Verkauf des Olivenbaumes, der für Ramón und seine Enkelin eine ganz besondere Bedeutung hatte, konnten Luis und Alcachofa den Bürgermeister bewegen, die Genehmigung für den Bau eines Restaurants direkt am Strand zu erteilen. Allerdings ging das Restaurant Pleite, weil infolge der Wirtschaftskrise die Gäste ausblieben. Für Alma steht es fest: Dem Verfall ihres Großvaters kann sie nur entgegenwirken, wenn sie den Olivenbaum zurückholt. So wird Bollaíns Film zu einem Roadmovie, weil der Baum inzwischen im Atrium eines großen Düsseldorfer Energiekonzerns steht. Zusammen mit ihrem Onkel Alcachofa und dem in sie verliebten Kollegen Rafa (Pep Ambros) macht sie sich auf die Reise. Allerdings hat Alma ihren Reisegefährten keinen reinen Wein eingeschenkt. Sie begleiten Alma in der Meinung, der Baum stünde in Deutschland auf dem Grundstück einer Kirche, und die Kirchengemeinde habe sich bereit erklärt, den Olivenbaum zurückzugeben. Damit scheinen die Konflikte während der Reise programmiert, zumal ihnen der Lkw für die Fahrt nach Deutschland auch nicht ganz freiwillig überlassen wurde.

Nach Und dann der Regen arbeiten Regisseurin Icíar Bollain und Drehbuchautor Paul Laverty wieder zusammen. Laverty machte sich insbesondere mit seinen Drehbüchern für die sozialkritischen Filme des britischen Regisseurs Ken Loach einen Namen. Auch "Der Olivenbaum" hat einen gesellschaftskritischen Ansatz. Dazu führt Icíar Bollaín aus: "Diese Bäume sind von atemberaubender Schönheit, wie lebendige Skulpturen. Abgesehen davon, spiegelte das Schicksal dieser Bäume die Ausplünderung wider, die unser Land und seine Landschaften während der Jahre des Booms erlitten haben, das, was wir später in der Krise verloren, den Schaden, den wir uns zugefügt haben - und die Notwendigkeit, unseren kulturellen Reichtum, unsere Wurzeln, letztlich uns selbst zu schützen." Laverty und Bollaín machen in keinem Augenblick einen Hehl daraus, dass hier die Fronten ganz klar abgesteckt werden: Die Konzerne bemächtigen sich eines uralten Symbols, um sich den Anstrich der Nachhaltigkeit zu geben. Die kleinen Leute stehen ihnen ohnmächtig gegenüber.

Über diese simple gesellschaftspolitische Aussage hinaus bietet "Der Olivenbaum" jedoch auch eine interessante Sicht auf das Verhältnis der Generationen. In dieser Hinsicht erscheint Bollaíns Film gar als ein Echo auf die Aussagen von Papst Franziskus in "Amoris laetitia", in dem es in Bezug auf die Großeltern heißt: "Ihre Worte, ihre Zärtlichkeit oder schon allein ihre Gegenwart helfen den Kindern zu erkennen, dass die Geschichte nicht mit ihnen beginnt, dass sie Erben eines langen Weges sind und dass es nötig ist, den Hintergrund zu respektieren, der vor uns war. Wer die Verbindungen mit der Geschichte zerreißt, wird Schwierigkeiten haben, beständige Beziehungen zu knüpfen und anzuerkennen, dass er nicht Herr der Wirklichkeit ist."

Auch wenn die Dialoge manchmal aufgesetzt wirken, geht ?Der Olivenbaum? dem Zuschauer zu Herzen, weil er wie kaum ein Spielfilm von den Beziehungen zwischen Mensch, Familie, Natur und Kultur handelt.
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