AUF AUGENHÖHE | Auf Augenhöhe
Filmische Qualität:   
Regie: Evi Goldbrunner, Joachim Dollhopf
Darsteller: Jordan Prentice, Luis Vorbach, Ella Frey, Marco Licht, Mira Bartuschek, Anica Dobra
Land, Jahr: Deutschland 2016
Laufzeit: 98 Minuten
Genre:
Publikum: ab 6 Jahren
Einschränkungen: --
im Kino: 9/2016
Auf DVD: 2/2017


José García
Foto: Tobis

Seit dem Tod seiner alleinerziehenden Mutter im Jahre 2010 lebt der zehnjährige Michi (Luis Vorbach) in einem Kinderheim - mehr als die Hälfte seines jungen Lebens. Obwohl er nicht besonders groß ist, kann sich Michi schon gegen die älteren Heimkinder durchsetzen, auch wenn diese den Kleineren etwa beim Straßenbasketball den Ball wegnehmen.

Durch einen Zufall findet Michi, als er in einem Kasten mit den Hinterlassenschaften seiner Mutter kramt, einen alten Brief. Der an einen gewissen Tom Lambrecht gerichtete Brief, den die Mutter allerdings nie abschickte, öffnet Michi die Augen: Dieser Tom muss sein Vater sein! Und weil sich Michi wie alle Heimkinder nichts sehnlicher als eine Familie wünscht, macht sich der Junge auf den Weg zu seinem Vater - die Adresse hat er ja schon. Natürlich stellt er sich seinen Vater als starken Mann vor, der ihn gerne in seine Wohnung und sein Leben aufnehmen wird. Als Michi vor Toms Wohnung steht, ist dieser allerdings nicht zu Hause, weshalb er ihm eine Nachricht hinterlässt. Dann bekommt der Junge von einer Nachbarin einen Tipp: Zu dieser Zeit sei Tom immer beim Rudern. Nachdem sich Michi die kräftigen Ruderer angeschaut und sich dabei gefragt hat, wer nun sein Vater ein wird, kommt die Enttäuschung: Tom (Jordan Prentice) ist der kleinwüchsige Steuermann. Ehe ihn jemand bemerkt, läuft Michi davon. Tom kann seinerseits kaum glauben, was in der von Michi hinterlassenen Nachricht steht. Denn er wusste gar nicht, dass er einen Sohn hat.

Freudiger Erwartung, aber auch etwas unruhig, weil er sich fragt, wie Michi auf einen kleinwüchsigen Vater reagiert wird, besucht Tom Michi im Kinderheim. Das Ergebnis ist verheerend: Michis Freunde machen sich lustig über den 1,30 Meter kleinen Mann. Michi reißt einfach aus dem Heim aus, und als die Polizei ihn aufgreift, gibt er den Polizisten Toms Adresse, weil er nicht mehr ins Heim möchte. So bleibt Michi notgedrungen bei seinem Vater. Obwohl sich der Junge zunächst einmal alle Mühe gibt, damit niemand - vor allem nicht seine neue Freundin Katja (Ella Frey), die er beim Skaten kennengelernt hat - erfährt, dass Tom sein Vater ist, kommen sich Vater und Sohn näher. Bald merkt Michi beispielsweise, dass Tom eine echte Freundschaft zu seinen Ruderkollegen unterhält.

Die Handlung um ein Heimkind, dessen Vater sich als Kleinwüchsiger herausstellt, nimmt sich ungewöhnlich, ja originell für einen Kinderfilm aus. Im Gegensatz zu den meisten Kinderfilmen, die in Deutschland gedreht werden, basiert "Auf Augenhöhe" nicht auf einem bekannten Kinderbuch. Der Film entstand vielmehr durch die Initiative "Der besonderen Kinderfilm", mit der öffentlich-rechtliche Sender, Förderer, Politik und Filmwirtschaft Kinderfilme fördern, die auf Originaldrehbüchern basieren. Der von Absolventen der Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolff gedrehte Film hat ein klares Anliegen: Den Filmemachern geht es um Toleranz und Empathie, in dem Fall für kleinwüchsige Menschen.

Das bedeutet jedoch nicht, dass "Auf Augenhöhe" eine Art Thesenfilm wäre. Die Drehbuchautoren und Regisseure Evi Goldbrunner und Joachim Dollhopf, die nach erfolgreichen Kurzfilmen nun mit "Auf Augenhöhe" ihr Langspielfilmdebüt liefern, haben für die unterschiedlichen Wendungen im Drehbuch glaubwürdige Lösungen gefunden - etwa dafür, warum Michi widerwillig bei seinem Vater einzieht. Offen bleibt lediglich die Frage, wovon Tom eigentlich lebt. Denn seine Tätigkeit als Steuermann im Ruderverein scheint lediglich ein Hobby zu sein. Besondere Glaubwürdigkeit verleiht es dem Film, dass die Filmemacher - im Gegensatz zu Mein ziemlich kleiner Freund, der die Rolle eines Kleinwüchsigen mit einem "normal" großen Schauspieler besetzte, und ihn dann im Computer "reduzierten" - für Toms Rolle den kanadischen Schauspieler Jordan Prentice gewinnen konnten. Wenn der 43-Jährige dazu erklärt: "Es gibt wenige gute Rollen für kleine Männer. Ich konnte das erste Mal jemanden spielen, der in meinem Alter ist", dann schwingt in dieser Aussage ein Unterton, genau das Gefühl, das seine Figur Tom in "Auf Augenhöhe" empfindet: Das ständige Bewusstsein, anders zu sein, und immer wieder auf Ablehnung zu stoßen. Wie reagieren beispielsweise andere Eltern, wenn Tom zu einem Elternabend oder irgendeiner anderen Schulveranstaltung erscheint?

Dass Jordan Prentice in seinem ersten deutschen Film auf Englisch spielt und nachsynchronisiert wird, funktioniert einerseits erstaunlich gut. Andererseits bedeutet dies für die Kinder und ganz besonders für den zu Beginn der Dreharbeiten erst neunjährigen Luis Vorbach eine besondere Herausforderung, die der Jungschauspieler ? der allerdings bereits über eine dreijährige Erfahrung in Fernsehfilmen verfügt - mit Bravour löst. Aber auch die anderen Kinder, insbesondere Ella Frey als Katja und Marco Licht als Michis bester Freund Justin, agieren natürlich und authentisch.

Eine besondere Stärke von "Auf Augenhöhe" besteht in der Kameraarbeit. Dafür konnten die Filmemacher einen der besten deutschen Kameraleute gewinnen, Jürgen Jürges. Dass der Zuschauer auf Augenhöhe mit den Protagonisten, zunächst mit Michi und zunehmend vor allem mit Tom, den Film erlebt, ist nicht nur eine Leistung der Dramaturgie, sondern auch der Kameraführung. Auch wenn der Film beim Vermitteln seiner Botschaft hin und wieder etwas dick aufträgt, hinterlässt er jedoch einen positiven Nachgeschmack vor allem wegen der gelungenen filmischen Umsetzung.
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