FRANTZ | Frantz
Filmische Qualität:   
Regie: François Ozon
Darsteller: Paula Beer, Pierre Niney, Ernst Stötzner, Marie Gruber, Johann von Bülow, Anton von Lucke, Cyrielle Clair, Alice de Lencquesaing
Land, Jahr: Deutschland, Frankreich 2016
Laufzeit: 113 Minuten
Genre:
Publikum: ab 12 Jahren
Einschränkungen: --
im Kino: 9/2016
Auf DVD: 2/2017


José Garcia
Foto: X-Verleih

Die deutsch-französische Aussöhnung nach dem Zweiten Weltkrieg ? mit dem von Konrad Adenauer und Charles de Gaulle unterzeichneten Freundschaftsvertrag vom 22.1.1963 ? stellt einen Meilenstein auf dem Weg zum Zusammenschluss Westeuropas dar. Sie setzt aber auch einen Schlussstrich unter eine jahrhundertealte "Erzfeindschaft", deren Höhepunkte die militärischen Auseinandersetzungen 1870 und vor allem 1914?1918 sowie die unmittelbare Nachkriegszeit nach dem Ersten Weltkrieg waren. Auch wenn die beiden Außenminister Gustav Stresemann und Aristide Briand 1926 den Friedensnobelpreis für ihre Bemühungen um die freundschaftliche Annäherung der beiden Länder erhielten, war diese Entspannungszeit nur von kurzer Dauer.

François Ozon siedelt seinen nun im Kino anlaufenden Spielfilm "Frantz" im Jahre 1919 an, als die Versöhnung noch in weiter Ferne lag. Insbesondere Nordfrankreich ? aber auch Belgien ? lag nach jahrelangen Schützengrabenkämpfen in Trümmern. In Deutschland verbreitete sich nicht nur die "Dolchstoßlegende". Das Land versank im politischen und wirtschaftlichen Chaos. Auf diesem Hintergrund entwickelt Ozon seinen Film nach Motiven des Spielfilmes "Broken Lullaby" von Ernst Lubitsch (1932).

Der titelgebende Frantz (Anton von Lucke) fiel im Ersten Weltkrieg in Frankreich. Seine Verlobte Anna (Paula Beer) lebt weiterhin bei dessen Eltern, Dr. Hoffmeister (Ernst Stötzner) und Frau Magda (Marie Gruber) in Quedlinburg. Sie ermutigen Anna, den Heiratsantrag von Kreutz (Johann von Bülow) anzunehmen, weil sie denken, dass dadurch Anna ein neues Leben anfangen könnte. Dazu kann sich Anna allerdings nicht entschließen, denn sie hat Frantz´ Tod nicht überwunden, dessen Grab sie tagtäglich besucht. Eines Tages legt ein Unbekannter ebenfalls Blumen auf das Grab von Frantz. Der Fremde stellt sich als Adrien (Pierre Niney) vor. In auffällig gutem Deutsch erklärt der Franzose, er habe vor dem Krieg Frantz in Paris kennengelernt. Sie seien gute Freunde gewesen.

Die Aversion, die 1919 einem "Frantzmann" entgegengebracht wird, erfährt Adrien bald am eigenen Leib: Als er in Dr. Hoffmeisters Praxis erscheint, wird der junge Mann von Frantz´ Vater vor die Tür gesetzt. Am Kneipenstammtisch mit Männern, von denen einige ihre Söhne im Krieg verloren haben, ist die antifranzösische Stimmung mit Händen greifbar. Sie werden sich etwas später vor den Kopf gestoßen fühlen, als Frantz´ Vater Dr. Hoffmeister den "Feind" in sein Haus einlädt. Der Arzt hat sich umstimmen lassen, nachdem sich bereits Anna und Adrien nähergekommen sind. Adrien beginnt, nicht nur der Verlobten, sondern auch den Eltern von Frantz von der Freundschaft zu erzählen. Er spielt auch Geige für sie. Dennoch: Auch wenn die Hoffmeisters Adrien inzwischen als Teil der Familie angenommen haben, kommt ein Augenblick, in dem Adrien nicht mehr mitmachen kann. Er reist unverzüglich ab. Und der Zuschauer, der schon lange eine diffuse Ahnung hatte, dass in Adriens Verhältnis zu Frantz irgendetwas nicht stimmte, erfährt nun endlich Adriens Geheimnis.

"Ich wollte schon lange einen Film übers Lügen drehen", erklärt der Drehbuchautor und Regisseur zum Film. Zum Unterschied zu Lubitschs Film ? laut François Ozon "sein unbekanntester Film, sein einziges Drama und sein größter Flop" ? führt der französische Regisseur aus: "Er behält den Blickwinkel des jungen Franzosen bei. Ich dagegen wollte die Perspektive der jungen Frau zeigen. Wie der Zuschauer weiß sie nicht, weshalb der Franzose das Grab ihres Verlobten besucht. In Lubitschs Film erfahren wir sein Geheimnis bereits am Anfang, in der langen Beichtszene bei einem Priester." Ozon behält die Beichtszene bei, wobei in seinem Film nicht Adrien, sondern Anna beichtet. Der Szene haftet allerdings etwas Konstruiertes bei, weil in Quedlinburg (heute) nur vier Prozent der Bevölkerung katholisch sind und sonst nichts darauf hinweist, dass Anna oder deren Beinah-Schwiegereltern zu den wenigen Katholiken gehören. Ozon fügt darüber hinaus ein Kapitel hinzu, in dem Anna nach Frankreich reist, um Adrien aufzusuchen.

Die gestochen scharfen Schwarz-Weiß-Bilder des Kameramanns Pascal Marti, die hin und wieder in den Rückblenden von Farbbildern unterbrochen werden, lassen den Zuschauer in die unmittelbare Zeit nach dem Ersten Weltkrieg eintauchen. Was "Frantz" erzählt, ist jedoch keine zeitbedingte Geschichte wie etwa Michael Hanekes Das weiße Band - Eine deutsche Kindergeschichte, mit dem "Frantz" Einiges gemeinsam hat. Ozon gelingt es, durch irritierende Untertöne im ganzen Film die Frage mitschwingen zu lassen, was Wahrheit und was Lüge ist. Dabei spielt ein Gemälde von Edouard Manet eine wichtige Rolle, auf das Adrien zu sprechen kommt, und das Anna später im Louvre besichtigen wird.

Neben der stilsicheren Inszenierung von François Ozon, der den Film in keinem Augenblick ins Melodramatische kippen lässt, lebt "Frantz" insbesondere von Paula Beers nuanciertem Spiel. Die 21-jährige deutsche Schauspielerin wurde für diese Rolle Anfang September auf dem Internationalen Filmfestival Venedig mit dem Preis für die beste Nachwuchsschauspielerin ausgezeichnet. Mehr mit Blicken und Gesten als mit Worten drückt Paula Beer die Verunsicherung, die gegensätzlichen Gefühle aus, die Adriens Erzählungen bei ihr auslösen.

"Frantz" zieht den Zuschauer in eine Erzählung nicht nur von Krieg und Frieden, von Aussöhnung, Leid, Schuld und Sühne, sondern auch von der universellen Frage nach Wahrheit und Lüge hinein.
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