EIN LIED FÜR NOUR | Ya Tayr El Tayer
Filmische Qualität:   
Regie: Hany Abu-Assad
Darsteller: Tawfeek Barhom, Hiba Attalah, Qais Attalah, Ahmed Al Rokh, Dima Awawdeh, Abdalkarim Abubaraka, Ahmad Qassim
Land, Jahr: Palästina, Großbritannien, Katar, Niederlande, Vereinigte Arabische Emirate 2015
Laufzeit: 100 Minuten
Genre:
Publikum: ab 12 Jahren
Einschränkungen: --
im Kino: 12/2016
Auf DVD: 4/2017


José Garcia
Foto: Koch Media

In Europa mag Mohammed Assaf einem breiten Publikum kaum bekannt sein. In der arabischen Welt wurde er jedoch zum "Idol", nachdem der junge Student den gleichnamigen Gesangswettbewerb "Arab Idol" - die panarabische Parallele zu "Deutschland sucht den Superstar" - im Jahre 2013 gewann. Dazu schrieb der "Spiegel" im August 2013: "Zehntausende tanzten und feierten ihren Helden, Autos fuhren hupend durch die Straßen, von Beirut bis Bagdad saßen Fans vor dem Fernseher: Mohammed Assaf hat die panarabische Castingshow ,Arab Idol´ gewonnen. Für die Palästinenser, die unter dem Konflikt mit Israel und dem Streit untereinander leiden, ist der Triumph des 23-Jährigen ein Zeichen der Hoffnung und der nationalen Einheit." Schon damals wies das Hamburger Magazin auf Mohammed Assafs schwierige Kindheit "in einem armseligen Flüchtlingslager" im Gaza-Streifen sowie auf die Hindernisse hin, die der junge Mann überwinden musste, um überhaupt am Vor-Casting in Kairo teilzunehmen.

Diese Schwerpunkte setzt Regisseur Hany Abu-Assad ebenfalls in seiner auf zwei Zeitebenen spielenden Filmbiografie "Ein Lied für Nour". Im Jahre 2005 sind die etwa 13-jährigen Geschwister Mohammed (Qais Attalah) und Nour (Hiba Attalah) einfach unzertrennlich. Vor allem die Musik gibt ihnen Hoffnung in ihrem grauen Alltag. Zusammen mit Omar und Ahmad bilden sie eine Band, die etwa auf Hochzeiten spielt. Allerdings muss Nour Jungenkleidung tragen - ein als Musikerin auftretendes Mädchen ist im Gazastreifen nicht erwünscht. Auch wenn die Jungs Musik eher als Spaß begreifen, für Nour ist sie viel mehr. Sie träumt von den ganz großen Bühnen in Kairo. Dafür nehmen sie und ihr Bruder ihre gesamten Ersparnisse zusammen, um von einem Hehler richtige Instrumente beschaffen zu lassen. Der Gauner zieht jedoch die Kinder skrupellos ab, was aber insbesondere Nour nicht davon abhält, weiterhin auf Familienfeiern zu spielen, bis sie eines Abends auf der Bühne zusammenbricht. Im Krankenhaus erfährt sie, dass sie einen Nierenfehler hat. Trotz Dialyse stirbt Nour.

Sieben Jahre später hat Mohammed (nun von Tawfeek Barhom dargestellt) das Singen aufgegeben. Er fährt Taxi, um sein Studium zu finanzieren. Durch einen Zufall trifft er aber auf Amal (Diwa Awawdeh), die sich als Dialyse-Patientin mit Nour damals im Krankenhaus angefreundet hatte und von Mohammeds Stimme begeistert war. Amal, die noch immer zur Dialyse muss, überredet Mohammed, am Vorsingen für "Arab Idol" teilzunehmen. Allerdings stellt sich dies als kaum realisierbar heraus. Die Grenzen sind geschlossen und er hat keinen Pass. Da erinnert sich der junge Mann an den Hehler, der sich sein und das Geld seiner Schwester einfach eingesteckt hatte ? nun ist die Zeit, diese Rechnung zu begleichen. Dies ist allerdings keineswegs die einzige Schwierigkeit, die er meistern muss, will er zwei Tage später in Kairo am Casting teilnehmen.

Der deutsche Titel "Ein Lied für Nour" spielt darauf an, dass Mohammeds Auftritt beim "Arab Idol" als eine Hommage an seine selbstbewusste Schwester aufgefasst werden soll, die sich von den Traditionen der palästinensischen Gesellschaft nicht einschränken ließ. Die Mischung aus Realität gewordenem Märchen - das an "Slumdog Millionär" erinnert -, Musikfilm und Drama gelingt Regisseur Hany Abu-Assad und seinem Mit-Drehbuchautor Sameh Zoabi. Dazu führt Abu-Assad selbst aus: "Ich sehe ,Ein Lied für Nour? als die Geschichte eines Kampfes, eine Geschichte über den Willen zum Überleben unter extremen Umständen. Sie erzählt von Hoffnung und Erfolg, von Bruder und Schwester, die sich ihre Benachteiligung zum Vorteil und das Unmögliche möglich machen. Sie kommen aus dem Niemandsland und überwinden sämtliche Hindernisse: Armut, Unterdrückung, Besatzung. Sie besitzen die große Gabe, praktisch aus dem Nichts etwas Schönes zu erschaffen, Abscheulichkeit in Schönheit zu verwandeln. Genau das ist letztlich die treibende Kraft hinter jeder Form von Kunst. Und ohne Kunst kann es keine Hoffnung geben."

Mohammed Assaf gab einem unterdrückten Volk Hoffnung. Millionen Menschen fieberten mit ihm in der arabischen Welt. Hany Abu-Assad war nach eigenem Bekunden unter den Tausenden, die sich zum Finale auf dem Platz in Nazareth versammelt hatten. Auch "Ein Lied für Nour" gibt den Palästinensern Hoffnung. Wenn der Film am Ende Dokumentarbilder des echten Mohammed Assaf sowie vom Gaza-Streifen mit denen des Spielfilmes zusammenschneidet, erinnert dies an des Schicksal eines Gebiets, das in ständiger Angst und Zerstörung lebt. Dabei beschönigt Hany Abu-Assad nichts. In einer schnellgeschnittenen Sequenz sieht etwa der Zuschauer die Spuren der Zerstörung in den zertrümmerten Häusern und Straßen. Die Lage in Palästina wird jedoch noch deutlicher im Kontrast mit dem schönen und modernen Kairo. Auf das Schicksal des palästinensischen Volkes hat Hany Abu-Assad bereits in seinen früheren Filmen hingewiesen. In "Ranas Wedding" (2002) verdeutlicht er die schwierigen Lebensumstände der Palästinenser in den besetzten Gebieten. In "Paradise Now" gelingt ihm sogar der Spagat, Verständnis für Selbstmordattentäter zu wecken, und sich gleichzeitig von deren verbrecherischen Aktionen zu distanzieren.

In "Ein Lied für Nour" schafft es der palästinensische Regisseur erneut, nicht nur das dramatische Thema unterhaltsam zu erzählen, sondern auch durch die lebensbejahende Musik und durch eine gute Portion Humor Hoffnung selbst in schwierigen Lebensverhältnissen zu vermitteln.
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