GLÜCKLICHSTE TAG IM LEBEN DES OLLI MÄKI, DER | Hymyilevä mies
Filmische Qualität:   
Regie: Juho Kuosmanen
Darsteller: Jarkko Lahti, Oona Airola, Eero Milonoff, Joanna Haartti, Esko Barquero, Elma Milonoff, Leimu Leisti, Hilma Milonoff
Land, Jahr: Deutschland, Finnland, Schweden 2016
Laufzeit: 92 Minuten
Genre:
Publikum: ab 12 Jahren
Einschränkungen: --
im Kino: 1/2017


José García
Foto: Camino

Der "Boxerfilm" gehört zu den frühesten Filmgenres überhaupt. Obwohl er etwa bei Charlie Chaplin oder bei Buster Keaton parodistische Züge annimmt, wurde das Boxsport-Milieu zu einem der immer wiederkehrenden Schauplätze in den Gangsterfilmen der vierziger bis sechziger Jahre. Große Popularität erlangte das Genre mit zwei in Aussage, Inszenierung und allgemeinem Ton einander entgegengesetzten Spielfilmen wie John G. Avildsens "Rocky" (1976, mit Sylvester Stallone in der Hauptrolle) und Martin Scorseses "Wie ein wilder Stier" (1980, mit einem überragenden Robert de Niro als Jake LaMotta). Aber nicht alle Boxerfilme haben als eigentliches Sujet den Boxsport beziehungsweise die Leidensgeschichte eines Boxers. So handelte "Hurricane" (Norman Jewison, 1999) eigentlich vom Kampf des Boxers Rubin "Hurricane" Carter gegen eine ungerechte Verurteilung zu einer dreifach lebenslangen Gefängnisstrafe — der Boxer wurde 1966 inhaftiert und 1985 nach Wiederaufnahme des Verfahrens durch ein Bundesgericht freigesprochen. In "Million Dollar Baby" (2004) siedelte Clint Eastwood im Boxermilieu eine mit etlichen Nuancen inszenierte Geschichte über aktive Sterbehilfe an.

Das Langspielfilmdebüt des finnischen Regisseurs Juho Kuosmanen "Der glücklichste Tag im Leben des Olli Mäki" ("Hymyilevä mies"), der auf den Internationalen Filmfestspielen Cannes 2016 den Hauptpreis in der Sektion "Un Certain Regard" gewann und nun im regulären Filmprogramm startet, erzählt zwar aus der Lebensgeschichte eines Boxers, der in den fünfziger Jahren eine ganze Reihe Amateurboxkämpfe in Finnland gewann. Im Film spielt jedoch der Boxsport eher eine untergeordnete Rolle.

Der auf wahren Tatsachen basierende Film von Juho Kuosmanen und seinem Mit-Drehbuchautor Mikko Myllylahti führt einen warmherzigen Olli Mäki (Jarkko Lahti) ein, der in seinem Heimatstädtchen Kokkola die Zeit genießt, die er mit seiner jungen Liebe, der lebensfrohen Rajia (Oona Airola), zusammen verbringt. Im August 1962 bietet sich dem 1936 geborenen Federgewicht-Boxer, der in den letzten Jahren alle möglichen Kämpfe in Finnland gewonnen hatte, eine einmalige Gelegenheit: Er soll einen Profikampf gegen den amtierenden Weltmeister, den Amerikaner Davey Moore (John Bosco Jr.) bestreiten, und zwar vor heimischem Publikum in Helsinki.

Um überhaupt eine Chance gegen den Titelverteidiger zu haben, der bereits in 64 Kämpfen gesiegt hat, muss der 25-Jährige hart trainieren und außerdem auch noch einige Kilos abspecken, um die 57-Kilo-Marke des Federgewichts nicht zu überschreiten. Deshalb zieht Olli von Kokkola nach Helsinki, wo ihn sein ehrgeiziger Trainer Elis Ask (Eero Milonoff) unter seine Fittiche nimmt. Elis war früher selbst einmal Boxchampion, aber sein Ehrgeiz hat nicht nur sportliche, sondern auch finanzielle Gründe: Elis steckt in wirtschaftlichen Schwierigkeiten, und erhofft sich vom spektakulären Boxkampf die Gesundung seiner Finanzen. Dafür hat er nicht nur Sponsoren aufgetrieben, sondern auch eine ganze PR-Maschinerie einschließlich Dokumentarfilm in Gang gesetzt.

Deshalb zeigt sich Elis verwundert, ja sogar verärgert, als er Olli am Bahnhof abholt und feststellen muss, dass der schüchterne Boxer seine Freundin Raija mitgebracht hat. Denn Olli soll sich mit allen Sinnen auf den Boxkampf konzentrieren und sich nicht durch seine Liebe ablenken lassen. So versucht der Manager Raija immer wieder auszuschließen. Zwar lässt er widerstrebend das Paar im Kinderzimmer seiner eigenen Wohnung Quartier nehmen, aber Elis versucht sie beispielsweise vom Training fernzuhalten. Einen gewissen Höhepunkt erreicht Elis´ unterschwelliger Kampf gegen Raija, als die junge Frau von den Aufnahmen für den begleitenden Dokumentarfilm ausgeschlossen wird. Doch Olli fühlt sich ohne Raija genauso verloren wie bei den Pflichtterminen mit Sponsoren. Ohnehin wird der Druck immer unerträglicher, nachdem er zum nationalen Hoffnungsträger aufgebaut werden soll.

Jarkko Lahti gestaltet den einfachen Jungen aus der Provinz, der sich unversehens im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses wiederfindet, wunderbar natürlich mit einem Hang zum Zweifeln und zur Melancholie. Das natürliche Spiel Jarkko Lahtis wird von der ebenfalls bodenständig wirkenden Oona Airola bestens unterstützt. Eine nostalgische Melancholie strahlen ebenfalls die naturalistisch wirkenden, körnigen Schwarz-Weiß-Bilder des Kameramanns J-P Passi aus. Die 60er Jahre-Anmutung wird noch dadurch unterstützt, dass Kuosmanen seinen Film im 16-Millimeter-Format dreht.

Der Mittelpunkt von "Der glücklichste Tag im Leben des Olli Mäki" verschiebt sich immer mehr vom Sport- zum Liebesfilm. Obwohl der Kampf gegen den Weltmeister weiterhin die Handlung vorantreibt, gewinnt Ollis Liebe zu seiner Verlobten Raija immer mehr Bedeutung. Dadurch ist Kuosmanens Film keine typische Sportlergeschichte a la "Rocky", sondern eher eine lakonisch erzählte, mit kleinen humorvollen Momenten gespickte melancholische Liebesgeschichte, die von einem kurzen Auftritt der echten Olli und Raija Mäki am Ende des Filmes gekrönt wird. In seiner unaufgeregten, ja lakonischen Erzählweise steht "Der glücklichste Tag im Leben des Olli Mäki" in bester finnischer Tradition, wie sie der mitteleuropäische Zuschauer besonders aus den Filmen des Regiemeisters Aki Kaurismäki kennt. Ebenso wie Kaurismäkis Meisterwerke "Wolken ziehen vorüber" (1996) und "Der Mann ohne Vergangenheit" (2002) strahlt auch Kuosmanens Spielfilmdebüt eine tiefe Menschlichkeit aus.
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